Trachtenkauf fürs Oktoberfest:Im Dirndlrausch

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Das Dirndl Olga für tausend Euro? Oder lieber die Billigversion für 19,90? Wer in diesen Tagen bei den Wiesn-Ausstattern einkauft, braucht sehr gute Nerven - etwas Geschmack ist auch nicht schlecht.

Melanie Staudinger

Olga ist schwarz und kostet 979 Euro. Wahrscheinlich ist der Preis einer der Gründe, warum die Kunden einfach vorbeigehen anstatt ihr Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie - nobel wie sie sich präsentiert - nicht in ihre Umgebung passen will.

Eine Stadt im Trachten-Wahnsinn: Edle Stoffe und gut gefertigte Lederhosen sind ebenso zu finden wie die Erzeugnisse der Billigkonkurrenz. Nicht jeder Kunde will übrigens wirklich ein Dirndl oder eine Lederhose kaufen - manche wollen einfach nur fotografieren. (Foto: Stephan Rumpf)

Olga ist ein Dirndl, sieht aber nicht so aus. Gut, sie hat eine schwarze Spitzenschürze und Haken auf der Brust, die von einem Band zusammengehalten werden. Trotzdem könnte Olga mit ihrem schmalen Schnitt und dem leicht glitzernden Schimmer auf dem seidenen Stoff genauso gut als Cocktailkleid durchgehen. Mit Franziska, Anna, Christina oder Maria hängt sie in der Trachtenabteilung im vierten Stock des Kaufhauses Beck.

Warum die Hersteller genau diese Namen gewählt haben, erschließt sich dem Laien nicht. Macht auch nichts. Die Kundin jedenfalls hat die Wahl - einfarbig oder knallig bunt, verspielt mit Blumen- oder Hirschmuster, auffällig mit großen Perlen, Schleifchen oder Pailletten behängt. Es gibt Schürzen mit Bambi als Motiv oder der Silhouette von München. Wer etwas kaufen will, muss zumindest für die Trachtenkleider mit Namen einiges bezahlen. Unter 249 Euro ist keine Maria, Christina oder Olga zu haben.

Lisa Daniel aus Fürstenfeldbruck braucht hier erst gar nicht hineingehen. Für eine komplette Ausstattung mit Dirndl, Bluse und Schürze kann die 14-Jährige höchstens 150 Euro ausgeben. Mehr will Sabine Daniel, ihre Mutter, keinesfalls spendieren, soll das Kleid doch nur für einen einzigen Wiesnbesuch sein. Mutter und Tochter sind zwischen Marienplatz und Isartor unterwegs. Drei Läden später kommt die erste Erkenntnis: "Es ist wirklich schwer, ein passendes Dirndl zu finden", sagt Lisa.

In den Geschäften im Tal fühlt man sich in der Tat schnell verloren. Eines wirbt mit "Dirndl ab 19,90". Die Farben: hellblau, grellgrün, neongelb oder sattes lila. Das Oktoberfest beginnt zwar erst in einer Woche,aber die Blasmusik ist schon jetzt unvermeidlich. Es ist einer dieser Märsche, die man zwar schon hundert Mal gehört hat, sich den Titel aber nicht merken kann. Vor der Kasse stehen zwei Frauen und trinken Sekt. Stammkunden. Sie plaudern mit dem Verkäufer, der in Lederhose und mit Kinnbart ein wenig an König Ludwig II. erinnert.

Die Ständer sind dicht behängt, das Licht ist spärlich. Zieht der Kunde ein Stück heraus, fallen mindestens zwei andere auf den Boden. Links an der Wand hängen die Dirndl, Blusen sind rechts zu finden, Schürzen in der Mitte. Also beginnt erst einmal die Suche nach der richtigen Kombination - auf Hilfe sollte man nicht hoffen. Die Verkäuferin ist mit anderen Kunden beschäftigt, die von grellen Angebot irritiert umherblicken.

Vor der Umkleidekabine drängen sich japanische Touristinnen. Eine von ihnen hat ihren Sohn dabei. Er reicht ihr bis zur Hüfte - und hat großen Spaß dabei, Schürzen von den Bügeln zu reißen. Mama ist gerade beschäftigt, sie steht mit einer Freundin in der Umkleide. Von außen ist ein Klicken zu hören - die Frauen fotografieren sich gegenseitig. Keine halbe Stunde später, gerade als aus den Lautsprechern "Lieschen Lieschen" von Alpenrammler dröhnt, verlassen sie das Geschäft. Die Trachten bleiben in der Kabine zurück.

Das ist der Grund, warum wir die Schilder aufgehängt haben", schimpft Andreas Mehta, der im Tal drei Almenrausch-Läden hat. Auf den Plakaten steht: "No Pictures. Keine Fotos." Es sind vor allem die Amerikaner, Japaner und Australier, die ihm seine Nerven rauben, wie er sagt. Die kämen in großen Gruppen ins Geschäft und belagerten die Umkleiden; kaufen wollten sie nichts. "Denen geht es nur darum, ein Foto von sich im Dirndl heimzuschicken", berichtet Mehta.

Er und seine Mitarbeiterinnen, alle in hauseigene Trachtenkreationen und Turnschuhe gekleidet, könnten dann hinterher den Saustall wegräumen. Dabei ist ohnehin viel zu tun in diesen Tagen. 2500 Dirndl hat Mehta auf Lager, täglich kommen bis zu 400 Kunden. In der großen Mehrheit verlangen sie moderne Dirndl - in Rosa, Türkis, Brombeer, Pink oder Hellblau. Traditionelle Trachten in Schwarz-Blau oder Rot-Weiß findet man hier kaum. Die Wiesn-Besucherin von heute will mit schillernder Tracht auffallen.

Doch das dürfte schwierig werden - schlicht deshalb, weil fast alle so herumstolzieren werden. Wer schon unbedingt im Mittelpunkt stehen will, sollte vielleicht lieber das klassische Dirndl aus der vergangenen Saison aus dem Schrank holen. Damit dürfte man ziemlich einzigartig sein in den Bierzelten - und man erspart sich den quälenden Lauf durch übervolle Läden.

Lisa Daniel hat sehr genaue Vorstellungen: Türkis soll ihre Tracht sein oder lilafarben. Und über dem Knie aufhören. "Das sieht bei Jugendlichen besser aus ", erklärt sie. Die 14-Jährige findet eine Mitarbeiterin, die ihr ein paar Modelle zeigt. Doch sie bleiben im Laden. Es war nichts dabei, Lisa Daniel wird im Tal auch nichts finden. Corinna trägt derweil eine Plastiktüte, in der ein knalliges Kleid ist. Die 13-Jährige nutzt die letzten Ferientage für eine Einkaufstour mit Schwester Daniela, 16 Jahre.

Eineinhalb Stunden suchen die beiden bereits. Corinnas Outfit muss gut aussehen. Sie benötigt das Dirndl nicht nur für den Oktoberfest-Besuch. Zu Schulbeginn würden Klassenfotos gemacht. "Wir wollen alle in Tracht drauf sein", erzählt das Mädchen. Dass sich vor wenigen Jahren kaum jemand mit Tracht in die Schule traute, will sie nicht glauben. "Das ist doch cool."

Vor dem Schaufenster stehen zwei ältere Damen - es fällt überhaupt auf, dass an diesem Tag fast ausschließlich jüngere Frauen in die Läden gehen, als würden die Auslagen alles über 30 irgendwie abschrecken. Auch die beiden älteren Damen finden das, was sie da sehen, alles andere als cool. Sie blicken auf all die grellen Dirndl in Lila, Hellblau und Pink. "Das ist wirklich ein Kasperltheater", sagt die eine. Und die andere antwortet: "Die Wiesn wird immer mehr zum Fasching."

Corinna und Daniela können darüber nur lachen. "Die Zeiten ändern sich eben", sagen sie und gehen weiter. Was sie nicht mehr hören: Die beiden älteren Damen sprechen darüber, was sich geändert hat. Früher, so erzählen sie, sei das Dirndl doch das Alltagsgewand der armen Frauen gewesen. Es habe sich erst später zum Festgewand entwickelt. "Da waren die Farben aber noch gedeckter und die Ausschnitte nicht so üppig", sagt eine der Passantinnen.

Das mit dem Ausschnitt und den kurzen Röcken ärgert auch eine andere Frau. Den grassierenden Dirndl-Wahnsinn findet sie eher abstoßend, alles sei mittlerweile so aufgemotzt. Sie zeigt auf ein Dirndl: "Schauen Sie sich doch nur mal all diese Perlen, Herzchen und Rüschen an. Und dann auch noch in Pink." Für sie habe das mit Tradition gar nichts mehr zu tun. Doch darum geht es den Läden im Tal auch nicht. "Die verkaufen doch hier auch nur dieses neue Wiesn-Image, diese Spaßgesellschaft", sagt die Frau.

In den kommenden Tagen wird sie mit ihrer 18-Jährigen Tochter ein Dirndl kaufen gehen. "Hoffentlich geht das gut", sagt sie. Eine Olga wird es wohl eher nicht werden: "Meine Tochter will etwas Buntes."

© SZ vom 10.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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