Trabrennsport:Die Stimme der Rennbahn

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„Wie eine Seuche, das wirst du nicht mehr los“: Für Willi Zwingmann sind Trabrennen mehr als ein Zeitvertreib. Ab und an klettert er selbst in den Sulky. (Foto: Claus Schunk)

Seit 34 Jahren kommentiert Sprecher Willi Zwingmann die Veranstaltungen in Daglfing. Seine Begeisterung für den Pferdesport ist ungebrochen.

Von Raphael Weiss, München

Als die Pferde die letzten Meter beim Großen Preis von Bayern vor sich haben, ist Willi Zwingmann komplett in seinem Element. Das gesamte Gewicht seines Körpers hängt auf einem wackeligen Holzbrett am Fenster der Sprecherkabine. "Tyrolean Dream an der Spitze legt zu. Michael Larsen sitzt da immer noch wie im Kino. An dritter Stelle Soccer, der schreit ein bisschen um Hilfe - so geht es in den Schlussbogen. Tyrolean Dream und Lighten up Today in Führung", ruft Zwingmann in das Mikrofon, ohne Luft zu holen. Die Adern treten am Hals hervor, die Cowboystiefel stampfen wie Pferdehufe auf den Boden. "Jetzt: Tyrolean Dream an der Spitze geschlagen, vorne Lighten up Today", Zwingmann klatscht in die Hände: "Außen kommt seine Schwester, Celestial Light! Celestial Light ist vorne! Von ganz außen kommt Azimut, Azimut fliegt heran - und Azimut ist der Sieger im Großen Preis von Bayern!" Drei Stockwerke weiter unten springen erwachsene Männer vor Freude im Kreis, die Fäuste gen Himmel geballt.

Zwingmann ist seit 34 Jahren der Sprecher der Daglfinger Rennbahn. Der großgewachsene, schlanke Mann mit dem breiten Grinsen gehört zu der Trabrennbahn im Münchner Osten, wie das grau-braune Geläuf. Mehr als sein halbes Leben arbeitet der 59-Jährige dort. "Mein Job ist es, die Menschen hier zu unterhalten", sagt Zwingmann, "wenn ich auf der Schlussgeraden explodiere, dann kommt da unten auch Stimmung auf. Wenn ich einfach runtermoderiere, passiert da kaum was." Seit seiner Kindheit liebt Zwingmann Pferde. Sein Vater nahm ihn und seine Brüder oft mit auf die Rennbahn. Seither ist er von den Tieren begeistert, kaufte sich Pferde und fuhr 13 Jahre lang selbst Rennen. Auch jetzt sitzt er noch ab und an im Sulky. "Das ist wie eine Seuche, das wirst du nicht mehr los. Es ist das schönste Gefühl, ein Rennen zu fahren. Und eins zu gewinnen: Priceless", sagt Zwingmann.

Die Fünf-Quadratmeter-Kabine mit den grün-braunen Holzwänden ist ein beliebter Treffpunkt für die Mitarbeiter der Rennbahn - nicht zuletzt, weil hier geraucht werden darf. Immer wieder öffnet sich die Tür. Auch Peter Zwingmann sitzt, wie fast jeden Arbeitstag seines jüngeren Bruders, mit ihm im Zimmer, trinkt Spezi, streckt Willi den Daumen entgegen und sagt: "Der war gut", wenn er einen Gag durch die Lautsprecher jagt, oder füllt mit ihm zusammen Wettscheine aus. "Meinen ersten Wettschein hab ich dem Peter gegeben, zehn Mark auf den Außenseiter. Ich war zu jung - mein Bruder hat gesagt, den kann man gleich wegschmeißen", erzählt Zwingmann lachend und fügt an: "Der hatte den gar nicht erst abgegeben und mein Pferd hat gewonnen. Ich hab dann als Ausgleich 25 Mark bekommen."

Im sechsten Rennen biegt Rudi Haller als Erster auf die Schlussgerade. Zwingmanns Stiefel stampfen auf, das Holzbrett biegt sich. "Provenzano setzt sich ab, Provenzano liegt uneinholbar vorne - Rudolf Haller gewinnt, endlich ein Haller-Sieg", ruft er und schaltet sein Mikrofon aus. "Au weh, der Haller schon wieder", sagt er zu seinem Bruder. Nicht, weil er Haller nicht mag, das Problem ist der Musikgeschmack - jeder Fahrer darf sich das Lied aussuchen, das bei der Siegerehrung gespielt wird. Haller mag Helene Fischer. Zwingmann, der 15 Jahre lang beim Radio gearbeitet hat, im Fernsehen seine eigene Musiksendung hatte und mit David Bowie auf Tournee war, eher nicht. Haller ist einer der erfolgreichsten Fahrer in Daglfing. Helene Fischer an jedem Renntag zu hören - mindestens ein bis zwei Mal.

Während die Lautsprecher also "Atemlos" über die Rennbahn plärren, hetzt Zwingmann drei Stockwerke nach unten in den Siegerkreis, vorbei an den Zuschauern. Zwingmann führt ein kurzes Interview mit dem Sieger, dann wieder schnell nach oben. Bruder Peter hat schon einen Wettschein fertig. Liest sich gut: Willi steigt mit 20 Euro ein. Zwingmann nickt in Richtung des Fernglases, das auf dem Holzbrett am Fenster steht. "Wenn ich das mal brauche, um zu kommentieren, hör ich auf", sagt er und grinst. Zwingmann drückt seine Zigarette aus, liest die Aufstellung vor, während sich unten auf der Bahn die Pferde dem Start nähern. "Uuuuund, Start ab", ruft Zwingmann. Das nächste Rennen beginnt.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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