The Boss Hoss auf dem Tollwood:Cowboyhut, Kippe, Bier und High Five

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Sie haben schon Oliver Pocher und Wladimir Klitschko die Show gestohlen: "The Boss Hoss" ist eine der mitreißendsten Livebands, die derzeit auf der Bühne stehen. Bei ihrem Auftritt in München allerdings wirken sie ein wenig zu professionell, zu glatt, zu abgeklärt - bis kurz vor dem Ende.

Jürgen Schmieder

Es heißt ja immer, dass die Teilnahme an einer Castingshow im deutschen Fernsehen der künstlerischen Karriere eines jungen Menschen eher hinderlich denn förderlich ist. Diese Behauptung ist natürlich Quatsch, weil die Teilnahme an diesen Shows vielen jungen Menschen eine künstlerische Karriere überhaupt erst ermöglicht, obwohl sie - ganz objektiv betrachtet - niemals eine künstlerische Karriere haben sollten.

"Seid nicht so verdammt professionell! Rockt einfach!" The Boss Hoss - hier bei einem Auftritt im Juni in Wien. (Foto: dpa)

Diese Behauptung ist aber auch falsch, wenn man sich die Laufbahn von The Boss Hoss ansieht. Freilich gab es die Kunst auch schon vor dem Engagement der beiden Frontmänner Boss Burns und Hoss Power als Jury in der Show "The Voice of Germany", der Mainstream-Karriere indes schadeten diese Auftritte nicht, ganz im Gegenteil. An diesem Dienstag trat die Band in München auf dem Tollwood-Festival auf, die Musik-Arena war ausverkauft.

Wie unglaublich diese Band live agieren kann, das hatten The Boss Hoss im Jahr 2009 bewiesen vor dem Kampf von Wladimir Klitschko gegen Ruslan Tschagajew in der Arena auf Schalke. Ein kurzer Auftritt war damals geplant gewesen, doch weil sich Oliver Pocher verspätete, mussten sie weiterspielen, improvisieren, die Leute bei Laune halten.

Das Resultat: Als Oliver Pocher in die Halle kam, wurde er einfach wieder hinausgebuht - und das lag nicht an Oliver Pocher. Die Menschen wollten weiter The Boss Hoss sehen. Manch einer vergaß gar, dass da später auch noch um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht geboxt wurde.

Nun, in München, da musste die Band nicht improvisieren oder ein Box-Publikum unterhalten, sondern sie musste spielen für die Zuschauer, die sie durchaus ihre Fans nennen dürfen. Viele Cowgirls und Cowboys aus dem Münchner Umland waren angereist, man sah Schlaghosen und Stiefel und Cowboyhüte. Vor allem aber sah man das, was neudeutsch mit "Tank Top" umschrieben wird, in Wirklichkeit aber nicht anderes ist als ein Grobripp-Unterhemd der Marke "Karl-Heinz".

Die Band beschreibt ihren Stil selbst als "Country-Trash-Punk-Rock", weshalb die Gruppe wie geschaffen ist für das Tollwood, das sich wohl - wenn es dürfte - ähnlich umschreiben würde. Wer vor dem Konzert günstig stand, der konnte sehen, wie sich so eine Country-Trash-Punk-Rock-Gruppe auf ein Konzert vorbereitet: Kippe, Umarmung, Bier, High Five - dann kann es losgehen.

Während des Konzertes war der Band dann anzumerken, dass sie sich des Dilemmas des neuen Bekanntheitsgrades wohl bewusst ist. Sollten sie nun Lieder wie "Don't Gimme That" oder "L.O.V.E." spielen, die eben dem Mainstream -Publium bekannt sind und wegen denen das riesige Zelt auch ausverkauft war? Oder doch lieber "Last Day" oder "Rodeo Radio", das weniger Menschen kennen? Oder gar die ganz alten Coverversionen im Country-Stil wie "Like Ice in the Sunshine" oder "Word Up!"?

Die Band entschied sich - oder vielmehr Setlist-Chef und Drummer Frank Doe - für eine Mischung aus allem: neu, alt, ganz neu, bekannt, Cover, neu, sehr bekannt. Diese Wahl war überaus clever, weil kaum ein Besucher unzufrieden nach Hause ging - vor allem etablierte Bands gründen Tournee-Erfolge auf eben dieser Strategie.

Zu glatt, zu abgeklärt

Nur: Es wollte lange Zeit auch keine wirklich Stimmung aufkommen, was freilich auch am Münchner Publikum lag, das ein rhythmisches Nicken des Kopfes als ungeheuerlichen Gefühlsausbruch interpretiert. Sie rissen aber auch nicht mit, sie spielten zu professionell, zu glatt, zu abgeklärt.

Erst gegen Ende des Konzertes, bei den Zugaben, als sich nicht wenige Menschen schon aufgemacht hatten in Richtung U-Bahn, da rockte The Boss Hoss. Da tobten die Mitglieder über die Bühne, da agierten sie wahrlich so, als müssten sie 50.000 Nichtfans durch geniale Improvisationen und wilde Arrangements begeistern. Und siehe da: Plötzlich nickte das Tollwood-Publikum nicht mehr nur mit dem Kopf. Es tanzte, es schrie, es jubelte.

Hoss Power und Boss Burns haben viele kluge Ratschläge verteilt während "The Voice of Germany". Weil ihr Schützling Ivy Quainoo darauf hörte, darf sie sich zu den erfolgreicheren Absolventen der Castingakademien zählen. Hätten die beiden Juroren ihr Konzert am Dienstag betrachtet, dann hätten sie der Band auf der Bühne wohl geraten: "Seid nicht so verdammt professionell! Rockt einfach! Ihr könnt es doch!"

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