Terrordrohung gegen Oktoberfest:Weiche Ziele, hart getroffen

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Die Stadt München versucht eine angemessene Reaktion zu finden auf die Anschlagsdrohungen gegen das Oktoberfest. Sind die Drohungen ernst zu nehmen oder schürt man so nur die Hysterie?

A. Ramelsberger und H. Leyendecker

Es war der 11. September 2001, und in elf Tagen sollte das Oktoberfest beginnen. Vor den Augen der Welt hatten Attentäter zwei entführte Passagiermaschinen in die beiden Türme des World Trade Center (WCT) in Downtown Manhattan gesteuert. Tausende Menschen starben. München liegt 6488 Kilometer entfernt von New York, doch die Schockwellen des Anschlags erreichten sofort das Innenministerium am Odeonsplatz in München.

Es war nicht mehr viel Zeit zu verlieren, es wurde ernst. Es ging darum, ob das 168. Oktoberfest, das am 22. September 2001 beginnen sollte, abgesagt werden musste. Millionen Menschen aus aller Welt wollten kommen - keine einfache Lage. Damals gab es höhere Polizeibeamte, die dem Innenminister dringend rieten, das Fest abszusagen. Die Sicherheit sei nicht zu gewährleisten.

Auch geisterten Warnungen über einen angeblich drohenden Anschlag aufs Oktoberfestdurch die Medien. Sicherheitsfachleute diskutierten damals ernsthaft darüber, wie die Fotos von auf den Bänken tanzenden und vielleicht sogar halbnackten Wiesnbesuchern auf Gotteskrieger am Hindukusch wirken könnten. Andererseits: War al-Qaida sofort zu einer weiteren großen Aktion fähig?

Der zuständige Innenminister in Bayern hieß damals Günther Beckstein (CSU), und er entschied sich dafür, das Fest nicht abzusagen. Er wollte Panik vermeiden: "Es war eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens", sagte er später. Beckstein wusste: Wäre etwas passiert, hätte er noch am gleichen Tag zurücktreten müssen.

Nun steht Becksteins Nachfolger Joachim Herrmann vor einem ähnlichen Problem. Die Drohungen der al-Qaida gegen Deutschland waren noch nie so heftig wie in den vergangenen Monaten und Wochen.

In immer kürzeren Abständen sind sie eingetroffen, und sie sind nicht misszuverstehen. In Videos greifen islamistische Propagandisten die Deutschen direkt an. Sie nennen den Verteidigungsminister Franz Josef Jung einen "Kriegsminister" und machen ihn zur Zielscheibe. Sie stellen Wahrzeichen wie den Kölner Dom, das Brandenburger Tor und eben auch Aufnahmen vom Oktoberfest ins Internet.

Die Drohungen an die Deutschen hat der Christian Science Monitor so zusammengefasst: "Leave Afghanistan or lose Oktoberfest."

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagt jetzt in dieser Situation: "Eine Absage des Oktoberfestes stand zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion. Obwohl das weltbekannte Fest ein attraktives Ziel für Terroristen sein könnte." Man habe alle vernünftigen Sicheheitsvorkehrungen getroffen, nun gelte es, sich nicht in Panik versetzen zu lassen. "Die Terroristen wollen Angst und Schrecken verbreiten. Wir sollten ihnen diese Genugtuung nicht bereiten."

Übertrieben, martialisch, panisch?

Er geht natürlich weiter auf die Wiesn. "Hundertprozentige Sicherheit gibt es an keinem Ort in Deutschland."

Sind die Drohungen ernst zu nehmen oder machen sich nur Propagandisten der Terrorholding wichtig? Der Innenminister und der Polizeichef wissen auf diese Fragen keine sichere Antwort. Die Lage ist fast so kompliziert wie damals: Schicken sie noch mehr Polizisten raus, riegeln sie noch mehr Straßen ab und räumen sie allerorten Schließfächer, dann wirkt das völlig übertrieben, martialisch, panisch - zumindest dann, wenn nichts passiert ist.

Doch wenn etwas passieren sollte, werden die Fragen anders lauten: Warum gab es keine ganz dichten Kontrollen? Warum nicht noch mehr Warnungen? Warum wurden die Straßen nicht wirklich großflächig abgeriegelt? Warum wurden potenziell Verdächtige nicht sofort festgenommen?

Die Behörden versuchen, so gut es geht, die Lage in den Griff zu bekommen, und das ist ein Balanceakt: Sie wechseln zwischen Warnung und Beruhigung und wollen dabei im Gleichgewicht bleiben. Das hört sich dann so an: Die Lage ist todernst, aber wir haben alles im Griff - hoffentlich.

Diese nicht leicht zu verstehende Dialektik hängt auch mit einem Umstand zusammen, der für Staatsschützer eigentlich ungewöhnlich ist: Noch nie haben sie über potenzielle Attentäter so viel gewusst, wie über die blutigen Heiligen des islamistischen Terrors und deren Rekruten. Amtsbekannt sind in Deutschland rund hundert "Gefährder", denen das Schlimmste zugetraut wird.

Sie werden observiert, ihre Gespräche werden belauscht. Etliche Spitzel sind in islamistische Gruppierungen eingeschleust worden. Mehr als 200 Terrorverfahren sind eingeleitet worden.

Zwei in München lebende Islamisten wurden in Vorbeugehaft genommen, ein außergewöhnlicher Akt. Kurz vor Beginn des Oktoberfests fand bei einer Gruppe von deutschen Konvertiten , die ihren Schwerpunkt in Oberbayern hat, eine Razzia stattt - damit sich die Leute nicht in Sicherheit wiegen. Nachweisen kann man ihnen vermutlich nichts.

"Wir wissen so viel", sagt ein hochrangiger Berliner Regierungsbeamter, "dass wir bei einem Anschlag mit einiger Sicherheit die Täter kennen werden, weil wir sie in unseren Listen hatten. Wenn etwas passieren sollte, wäre das nicht nur eine Katastrophe - das wäre auch ein Fiasko für die Sicherheitsbehörden".

Seit 2001 haben die Sicherheitsbehörden schon einige Male Erfahrungen beim Umgang mit Anschlagsdrohungen machen können. Während der Fußballweltmeisterschaft fürchteten Sicherheitsexperten ein Attentat auf Stadien und fuhren die Kontrollen deswegen stark hoch. Es passierte nichts.

Kurz nach der WM wurden in zwei Zügen, die den Kölner Hauptbahnhof verlassen hatten, zwei scharfe Bomben gefunden, die nur wegen eines handwerklichen Fehlers nicht explodiert waren. Im Prozess gab einer der beiden Täter an, die Bomben hätten eigentlich in einem Stadion gezündet werden sollen -die Kontrollen seien aber zu scharf gewesen.

Hauptsache, das Oktoberfest geht friedlich zu Ende

Auch die sogenannte Sauerlandgruppe hatte es eigentlich auf den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein abgesehen, überlegte dann aber angesichts der Militärsperren davor, ob man nicht auch in Pubs und Diskotheken Bomben legen könnte, um dort sehr viel einfacher Amerikaner zu töten.

"Weiche Ziele" nennen die Sicherheitsexperten das - Ziele, die man nicht schützen kann, weil es zu viele von ihnen gibt: Restaurants, Kaufhäuser, die U-Bahn. Es wirkt meist sehr martialisch, wenn Polizei und Verfassungsschutz versuchen, einer Gefahr mit ihren Mitteln zu trotzen.

Wenn die Polizei keinen konkreten Verdacht hat, sondern nur jenes "Hintergrundrauschen" hört und die chiffrierten Mitteilungen im Netz liest - was soll sie dann tun? Die Amerikaner warnen ihre Bürger. US-Touristen, die nach Deutschland wollen, wurden vom US-Außenministerium zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Der Hinweis gilt bis zum 11. November.

Dann ist das 176. Oktoberfest längst vorbei. Wenn alles gut geht, wird dann wieder Bilanz gezogen mit den normalen Themen: Rund ums Bier, Wiesn kulinarisch, Souvernirs, Souvenirs.

Hauptsache, das Fest 2009 geht friedlich zu Ende.

© SZ vom 01.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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