Tassilo-Preisverleihung in Krailling:Ein Fest für die Kultur von unten

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Spielt ausgezeichnet und wurde ausgezeichnet: Julian Heidenreich, Tassilo-Preisträger. (Foto: Johannes Simon)

Ein introvierter Bildhauer, fulminante Schlagzeuger, engagierte Organisatoren: Bei der Verleihung des Tassilo-Preises in Krailling treffen sich Künstler aus der Region, die eines eint - die Liebe zum kreativen Tun.

Von Gerhard Fischer

Christian Benning steht sicher auf der Bühne, wird keinen Moment nervös und wirkt, als habe er keine Zweifel. Ist der wirklich erst 18? Dann spielt er auf seinem Marimbaphon so famos und virtuos, dass er den stärksten Beifall bekommt, den das Publikum an diesem Abend einem Künstler zuteil werden lässt. Zuhörer murmeln "Wunderkind", und dass dieser 18-Jährige wohl schon "ein paar Wiedergeburten hinter sich" habe. Benning bekommt so viel Lob, dass man ihm wünscht, er möge gefestigt genug sein, um damit auch umgehen zu können.

Nico Kiese kommt wie Christian Benning aus dem Landkreis Dachau. Wie Benning ist er Künstler. Bildhauer, genau gesagt. Kiese tritt ganz anders auf als der professionelle Benning, er ist ein Zweifler, er ist ein bisschen schüchtern, sein Humor ist nicht so direkt wie jener von Benning, sondern trocken und subtil. Kiese, 31, ist wie die männlichen Figuren in der Literatur, die leise daherkommen und zunächst auf Verlierer machen, aber schnell Sympathien gewinnen mit ihrem etwas schlurfigen Charisma.

Furios bis nachdenklich und immer kreativ

Der furiose Christian Benning, der nachdenkliche Nico Kiese, der Musiker und der Bildhauer - sie stehen für die Bandbreite der Künstler, die die Süddeutsche Zeitung am Donnerstagabend mit einem Tassilo-Kulturpreis auszeichnet. Seit 14 Jahren werden damit Künstler und Kultur-Organisatoren aus den Landkreisen rund um München geehrt, die nicht immer im Rampenlicht, aber für die kulturelle Vielfalt der Region stehen. Beim Tassilo-Fest mit rund 300 Gästen im Zelt des Kraillinger Kultart-Festivals werden sieben "Tassilos", dotiert mit je 500 Euro, überreicht (darunter an Christian Benning), einer für das Lebenswerk und drei Hauptpreise - dafür gab es je 2000 Euro.

Tassilo-Preisverleihung
:Feiern mit den Kreativen

Musiker und Künstler, Netzwerker und Organisationstalente: Mit dem Tassilo-Preis werden die Menschen geehrt, die nicht immer im Rampenlicht, aber für die kulturelle Vielfalt der Region stehen. Eindrücke eines besonderen Festes.

Einer davon geht an Nico Kiese. Einige seiner Werke werden in Krailling auf einer Leinwand präsentiert. Ein großes Tor etwa, das er aus Gießkannen gebaut hat, die er auf Friedhöfen fand. Solche Sachen stellt er aus, und am Ende dankt er seinen Freunden für die Hilfe, das Ganze durch die Gegend zu fahren. "Und die immer noch meine Freunde sind, obwohl ich sie nur anrufe, wenn ich sie brauche, um das Ganze durch die Gegend zu fahren." Man kann ihm offenbar nicht böse sein.

Auch Annunciata Foresti bekommt einen Tassilo-Hauptpreis. Die Malerin hat vor vier Jahren in Dießen ein Stellwerk gekauft, in dem sie selber ausstellt und das sie zur Verfügung stellt für andere Künstler. Außerdem diskutiert sie dort coram publico über Kulturpolitik oder macht eine Kunsterversteigerung für Ärzte ohne Grenzen.

Der dritte Hauptpreis geht an die Organisatoren des Gräfelfinger Kultur-Festivals, das seit 1978 auf einem Hügel im Paul-Diehl-Park stattfindet, in den Anfängen noch mit lokalen Bands. Heute kommen Hochkaräter aus der ganzen Welt zu diesem ältesten bayerischen Openair-Festival, aber die Stimmung ist immer noch familiär geblieben und die Organisatoren sind immer noch Idealisten, die ehrenamtlich arbeiten.

Schmales Budget, großes Engagement

Es sind genau solche Freiwilligen, die die SZ auszeichnen möchte, sagt Christian Krügel, SZ-Ressortleiter für München, Region und Bayern, bei der Preisverleihung: Menschen, die "Kultur von unten" machten, und die das Preisgeld gebrauchen können, schließlich müssen viele mit schmalem Budget arbeiten, manche sogar ohne Geld von kommunalen Stellen. Susanne und Christoph Kessler etwa kommen ganz ohne diese Hilfe aus, sie finanzieren ihre Klassik-Konzerte in Icking über Spenden. Die Kesslers waren nicht anwesend, sie machen derzeit Urlaub am Nordkap, mit Wohnmobil und Hunden.

Sehr präsent ist hingegen Gerd Pöllitsch von den Garchinger Pfeifern. Er ist nicht darauf aus, Lacher im Publikum abzugreifen, denn er drängt nicht forsch nach vorne - er reagiert nur trocken, lustig und listig auf die Fragen der Moderatoren. Die Garchinger machen stille, unaufgeregte, feine, altbairische Volksmusik mit der seltenen Schwegelflöte, die zum Teil bis auf das Jahr 1781 zurückgeht und alles andere als volkstümelnd ist - und die sie schon seit 42 Jahren spielen. Auf die Frage, die Garchinger Pfeifer seien wohl die ersten gewesen, die eine andere Volksmusik machten, fernab von Kitsch und Edelweiß-Romantik, antwortet Pöllitsch bescheiden: Andere hätten damals auch schon angefangen. Aber dann waren sie vielleicht "die Authentischsten"? "So alt bin ich auch wieder nicht", erwidert Pöllitsch. Er bezog das auf 1781. Alle lachen.

In diese Stimmung und in diesen Kreis aus Künstlern und Kulturmachern passt der Ehrengast des Abends perfekt: die Kabarettistin Luise Kinseher. Sie stammt selbst aus einer Region, in der Kultur keine Selbstverständlichkeit war: "Ich bin in Niederbayern aufgewachsen, in einer Region, wo die SZ keine Ausgabe hinschickt." Dort gebe es also keinen Tassilo-Preis der SZ - schon aber auch irgendwie Kultur. Inzwischen ist die Kabarettistin mehrfach ausgezeichnet, ein Star der Szene, ein Kind der Großstadt München. Und doch liebt sie die Kulturszene der Region, die kleine Kabarettbühnen, die Kneipen, die zu Konzertsälen oder Theater-Bühnen werden. Vieles sei hier authentischer als in der Stadt, vieles eher möglich, weil der Konkurrenzdruck noch geringer sei, Mieten eher bezahlbar und die Menschen oft authentischer seien.

Kein Wunder also, dass Kinseher ihr neues Kabarett-Programm daher auch erst in der Region präsentiert, bevor sie damit in die Münchner Lach- und Schießgesellschaft kommt: Im September stellt sie "Ruhe bewahren" in Etterschlag vor - weil dort das beste Publikum sei. In dem Programm geht es um die alltägliche Hektik, die uns gefangen hält. Kinseher entkommt ihr am besten auf der Bühne, sagt sie - und fühlt dabei mit Nico Kiese. Ideen lassen sich nicht finden, sie finden den Künstler, sagt der und Kinseher stimmt voll zu.

Die Stimmung? Familiär, heiter, witzig

So ist die Stimmungslage bei dieser Preisverleihung familiär, weil sich die Künstler, egal welcher Gattung, als Brüder und Schwestern im Geiste fühlen. Die Atmosphäre ist heiter, die Tonlage witzig. Sei es bei Hedwig Gruber, deren fast 100 Musiker umfassendes Grafinger Jugendorchester ebenfalls einen Tassilo-Preis bekam und mit dem Trommlerensemble "Drumline" das Fest fulminant eröffnet. Oder bei Hilde Seyboth vom Haus 10, einer Kulturwerkstatt in Fürstenfeldbruck: In ihrer Malwerkstatt klebt ein Spruch, der besagt Sei freundlich. Immer. "Immer?", wird sie gefragt. "Nein, ned immer", sagt sie. "Wann werden Sie wütend?". "Heid ned", sagt Seyboth. Heute nicht. Heute ist bei ihr vermutlich alle Tage.

Was noch auffällt: Keiner trumpft auf, keiner stellt sich in den Vorgerund, alle wirken so, als verschwände ihr Ego gerne und freiwillig hinter der Kunst und Kultur, die sie anbieten oder organisieren.

Tassilo-Preisverleihung
:Feiern mit den Kreativen

Musiker und Künstler, Netzwerker und Organisationstalente: Mit dem Tassilo-Preis werden die Menschen geehrt, die nicht immer im Rampenlicht, aber für die kulturelle Vielfalt der Region stehen. Eindrücke eines besonderen Festes.

Am Ende spielt noch einmal Christian Benning, das sogenannte Wunderkind mit 18 Jahren. Diesmal bleibt manchen der Mund offen stehen, wie der Junge, der gerade das Abitur gemacht hat, mit den Klangstäben sein Marimbaphon bearbeitet. Andere müssen sich bei einer Hochschule für Musik bewerben. Bei Benning war es umgekehrt: Hochschulen haben sich bei ihm beworben. Er bleibt in München.

© SZ vom 19.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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