Tassilo Kulturpreis der SZ:Das lyrische Ich

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Vor Jahren hat Amelie Satzger begonnen, Tagebuch mit eigenwillig inszenierten Selbstporträts zu führen. Heute folgen der jungen Fotografin in den Netzwerken Tausende. Ihr nächstes Projekt ist ein Kurzfilm

Von Lena Schnelle

Tagebucheinträge. Den meisten Menschen helfen sie dabei, sich daran zu erinnern, was sie in bestimmten Situationen empfunden haben. Amelie Satzger führt Tagebuch mithilfe von Fotos, "Konzeptfotos" nennt sie sie. "Ich bin ein sehr visueller Mensch und verbildliche gerne Dinge", sagt die 22-Jährige aus Untergiesing. Sie knipst nicht wild drauflos. Hinter ihren Fotos steckt mehr: Sie verarbeitet darin ihre Emotionen. Etwa, als eine lange Freundschaft ohne Grund zerbrach.

Das hatte Amelie Satzger heruntergezogen. Mit ihren Selbstporträts konnte sie den Schmerz verarbeiten. Begonnen hat sie mit ihren Konzeptfotos vor mehr als drei Jahren. 2013, nach dem Abitur, hing sie in der Schwebe: Die Schule war vorbei, das Studium hatte noch nicht begonnen. Viele Beziehungen brachen damals ab, ihr Hund war gerade gestorben. Es ging ihr seelisch nicht gut. Der Urlaub mit ihren Eltern auf der Insel Föhr fühlte sich nicht an wie Urlaub. Ihr war langweilig und sie vermisste ihren Hund. Um sich abzulenken, begann sie, Fotos von sich selbst in der Natur aufzunehmen. Nur für sich. Die Fotos lud sie dann auf Instagram hoch. Nach nur einem Monat hatte sie 500 Abonnenten - inzwischen sind es fast 10 000.

Die Ideen entstehen vor allem dann, wenn Amelie Satzger Musik hört. Zu bestimmten Liedzeilen kommen ihr Bilder in den Kopf, die sie umsetzt. Die Locations für die Selbstporträts findet sie auf ihren vielen Spaziergängen, oder wenn sie mit dem Auto durch die Gegend fährt. Hat sie ein Motiv - etwa einen Wasserfall - vor Augen, sucht sie im Internet nach einem geeigneten Platz. Geht sie auf Reisen, stöbert sie vorher nach ansprechenden Örtlichkeiten und fährt gezielt dorthin, oder entdeckt unterwegs interessante Plätze.

Ihre Konzeptfotos macht Amelie Satzger in erster Linie für sich selbst. (Foto: Amelie Satzger)

"Wenn ich eine Idee habe, möchte ich sie so schnell wie möglich umsetzen", sagt die 22-Jährige. "Wenn es zum Beispiel regnet, und die Tropfen an der Fensterscheibe runterlaufen, kann ich nicht erst nach einem Model suchen." Ein Model könne das Motiv gar nicht so darstellen, wie sie es gerne hätte. Außerdem: Die Geschichten hinter dem Foto sind meist viel zu persönlich, um sie mit einem Model zu besprechen. Amelie Satzger mag da nicht von einem anderen Menschen abhängig sein.

Dem Betrachter erschließen sich ihre Bildmotive nicht immer gleich. Sie sind komplex, lyrisch, geheimnisvoll. "Die Fotos vieler Fotografen sind oberflächlich schön und ästhetisch, und es steckt nichts dahinter", sagt sie selbstbewusst. Das sehe man an Instagram: Die Menschen liken ein Foto und scrollen schnell weiter, ohne sich genauer damit zu befassen. "Ich mag Bilder, bei denen etwas drinsteckt, was nicht offensichtlich ist. Zum Beispiel einen Fehler, den nur ich sehe." Auf einem ihrer Fotos liegt Amelie Satzger ausgestreckt auf einer Holztreppe, die Arme an die Seite gelegt, die langen Haare um den Kopf geschlungen, so dass man ihr Gesicht nicht sieht. Ein Galerist hat sie darauf angesprochen, dass ihre Füße schmutzig sind. Sie selbst hatte das gar nicht bemerkt, weil es nicht beabsichtigt war. Für die junge Fotografin passt das ins Konzept: "Es hat Charme, macht es persönlich und erst vollkommen. Die Zufälle, die reinspielen, machen das Bild erst lebendig."

Amelie Satzger wirkt uneitel, wie sie auf der Fensterbank eines Münchner Cafés sitzt, ihren Kakao trinkt und erzählt. Sie ist schlank, kaum geschminkt, hat kurze, braune Haare. Sie strahlt Ruhe aus, lächelt oft. Dass sie gut aussieht, scheint ihr nicht sonderlich wichtig zu sein. Auf einem ihrer Lieblingsbilder liegt Amelie Satzger mit angewinkelten Beinen, den Kopf auf einen weißen Grabstein gestützt, auf dem Rasen eines Friedhofs. Um sie herum sind in symmetrischer Anordnung andere Grabsteine. Die Haare verdecken das Gesicht. Ihr bordeauxrotes Kleid sticht heraus, die schwarzen Stiefel. Und die Bildunterschrift: "You must know life to see decay" - "Du musst das Leben kennen, um den Verfall zu bemerken". Eine Zeile aus dem Lied "After the storm" von Mumford & Sons.

Sieh mich an: Die Fotografin setzt sich in ihren Bildern in unterschiedlichen Posen in Szene - hier unter dem Motto "Matches". (Foto: Amelie Satzger)

Für ihr neues Projekt nimmt sie zwar auch wieder die Kamera in die Hand, aber am Ende soll ein Kurzfilm entstehen. "Ich wollte schon immer mal Bewegtbilder machen und mich in anderen Dingen ausprobieren", erzählt Amelie Satzger. "Bisher ist das Konzept nur in meinem Kopf, aber es ist sehr ästhetisch und erinnert an meine Konzeptfotos." Das Projekt entsteht für ihr Studium. Amelie Satzger studiert seit dreieinhalb Jahren Fotodesign an der Hochschule München. Seither beschäftigt sie sich auch mit Modefotografie. Ihre Modestrecken sind unter anderem im Elegant Magazine, im Kaltblut Magazine und Lucy's Magazine erschienen.

Im Laufe des Jahres wird Amelie Satzger ihr Studium mit dem Bachelor beenden. Danach will sie einem Fotografen assistieren und in der Modebranche als Fotografin einsteigen. Sie möchte nach Paris oder London gehen - aber das steht noch in den Sternen. Ihre Konzeptfotos macht sie weiter. Derzeit aber eher selten, denn sie ist glücklich: "Wenn man Probleme hat, ist der Drang größer, sich mitzuteilen."

Vorschläge für den Tassilo-Preis können per E-Mail unter tassilo@sueddeutsche.de oder stadtviertel@sueddeutsche.de oder per Post an die Stadtviertel-Redaktion geschickt werden: Hultschiner Straße 8, 81677 München. Einsendeschluss ist Mittwoch, 28. Februar.

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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