Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst:Ich gegen mich

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Thomas Böhle hat eine schwierige Doppelrolle: Er vertritt die kommunalen Arbeitgeber Deutschlands und ist zugleich Personalreferent der Stadt. Das erfordert häufig einen Spagat - der künftig noch komplizierter werden dürfte

Von Heiner Effern und Dominik Hutter, München

Ungewöhnlich ist das schon: Da vertritt der Personalreferent einer der reichsten deutschen Städte die Finanzinteressen der ärmsten Kommunen. Und zwar ohne Kompromisse. Denn wenn Thomas Böhle für die kommunalen Arbeitgeber Tarifverhandlungen führt, kann er nicht auf die Zahlungsfähigkeit der deutschen Durchschnittsgemeinde setzen. "Das Maß setzen die Ärmeren", sagt Böhle. Mainz, Offenbach, Erfurt, Gera - Städte, die wohl Schwimmbäder und Bibliotheken schließen müssten, wenn Böhle in den Gesprächen mit den Gewerkschaften Münchner Verhältnisse voraussetzen würde. "Es gibt extreme Unterschiede zwischen armen und reichen Kommunen", berichtet Münchens oberster Personaler, der als Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände derzeit als Verhandlungsführer bei den Tarifgesprächen im öffentlichen Dienst tätig ist.

Nur: Wären für eine Stadt wie München, die in vielen Bereichen händeringend Leute sucht, höhere Löhne nicht sogar sinnvoll? Um die besten Leute zu kriegen, für die beste Verwaltung? In seinem Hauptjob als Personalreferent ist Böhle für die Akquise von gut qualifizierten Leuten für die Münchner Stadtverwaltung zuständig. Parallel dazu bemüht er sich als Verhandlungsführer, die Gewerkschaften mit ihren Lohnforderungen im Zaum zu halten. Im Sommer wechselt Böhle auf den Stuhl des Kreisverwaltungsreferenten. In dieser Behörde, die mehr Publikumsverkehr hat als jedes andere städtische Referat, gibt es seit Monaten immense Wartezeiten. Manchmal, weil die Computer ausfallen. Manchmal aber auch wegen des ständig wachsenden Andrangs, den die Mitarbeiter nicht mehr meistern können. München wächst stark, da sollte eine Verwaltung eigentlich in gleichem Maße mitwachsen.

Münchens Personalchef einerseits, Deutschlands Arbeitgeber- Vertreter andererseits - ist ein solcher Spagat überhaupt zu meistern?

Böhle selbst sieht keinen Interessenskonflikt. Die Anreize in den Mangelberufen würden in München nicht über den Flächentarifvertrag, sondern über Zulagen geschaffen. Wie etwa die 200 Euro pro Monat, die der Stadtrat 2015 den Erziehern gegönnt hat. Die zahlten andere Kommunen nicht. Dafür seien dort aber auch die Lebenshaltungskosten niedriger. Die Mitarbeiter der Stadt müssten aber schon häufig schlucken, wenn sie ihren Personalchef in den Medien sprechen hörten, sagt der Münchner Verdi-Chef Heinrich Birner. "Er gibt als Verhandlungsführer Äußerungen von sich, die nicht zu seiner Rolle als Personalreferent passen. Das wird schon auch kritisch gesehen."

33,5 Millionen Euro würde der aktuell von den Arbeitgebern vorgeschlagene Drei-Prozent-Abschluss München zusätzlich kosten - pro Jahr. Böhle räumt durchaus ein, dass die Stadt bei den meisten Tarifrunden theoretisch mehr zahlen könnte. Aber es gibt eben einen bundesweiten Flächentarifvertrag, die Perspektive des eigenen Vorgartens hilft daher nicht wirklich weiter. Schließlich nehme die Verschuldung der deutschen Kommunen noch immer zu, berichtet Böhle. Aktuell liege sie bei 145 Milliarden Euro. Dazu komme ein Investitionsstau von 132 Milliarden Euro. Insofern sei es nicht inkonsequent, als überzeugter Sozialdemokrat auf der Arbeitgeberseite zu verhandeln. Die Kommunen müssten handlungsfähig bleiben.

Für den Münchner Ableger der Gewerkschaft Verdi ist die Doppelfunktion Böhles praktisch. Denn um direkt bei den Arbeitgebern für höhere Löhne zu demonstrieren, müssen sie nicht an den Verhandlungsort Potsdam reisen. Böhle hat sein Büro im dritten Stock des Rathauses, der symbolische "Weckruf" der kommunalen Angestellten konnte bequem am Marienplatz stattfinden. Der Arbeitskampf hat deshalb in München einen etwas persönlicheren Charakter - und wird gelegentlich auch mit härteren Bandagen geführt. "Einfach nur hinterfotzig" seien die Arbeitgeber, tobte am Donnerstag Münchens Verdi-Chef Heinrich Birner, der in einer etwas eigenwilligen Rechnung Böhles Angebot von drei auf weniger als 1,5 Prozent herunterrechnete. Allerdings will Birner klarstellen, dass mit hinterfotzig nicht Böhle persönlich, sondern die Verhandlungsstrategie der Arbeitgeber gemeint sei. In Münchner Belangen kenne er den Personalreferenten als "konstruktiv, fair und verlässlich". Böhle ist trotzdem sauer und weist den Vorwurf der Zinkerei empört zurück - mit dem Begriff hinterfotzig sei "eine Grenze brutal überschritten". Vor allem, wenn der Absender des Schmähworts selbst eine völlig falsche Rechnung präsentiere.

Für Böhle bedeutet der "Zweitjob" einen immensen Aufwand. Eine Tarifauseinandersetzung nehme "locker die Hälfte meiner Zeit in Anspruch", so der Mann, der trotz des Wechsels ins Kreisverwaltungsreferat seine Amtszeit bei den Arbeitgeberverbänden auf Bundes- und Landesebene komplett ausfüllen will. Weil er Spaß daran hat, und weil es nicht einfach ist, sich in die Materie einzuarbeiten. 2018 steht erneut eine Tarifrunde an. Die wird Böhle dann als KVR-Chef bestreiten.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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