Tätowierer Peter Laubach:Der Stich fürs Leben

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Seine eigenen Tattoos? "Ich habe aufgehört zu zählen", sagt Peter Laubach, seit 31 Jahren Tätowierer, in seinem Studio an der Dachauer Straße. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie viele Tattoos er insgesamt gestochen hat? Peter Laubach weiß es nicht. Aber klar ist, dass der Münchner Tätowierer Miroslav Klose und einige andere Prominente verziert hat. Sein Laden hat einen guten Ruf - doch wenn er aufhört, wird die Tradition wohl sterben.

Von Julian Dorn

Mit elf Jahren griff Peter Laubach das erste Mal zur Nadel. Ein Freund wünschte sich das Tattoo eines Segelschiffs und bot als Bezahlung: vier Leberkäs-Semmeln. Danach schlug Laubach nicht nur die Anerkennung seines ersten Kunden entgegen, sondern auch die kräftige Hand von dessen Vater.

Aus Liebe werden ziemlich viele Tattoos gestochen. (Foto: Stephan Rumpf)

Heute ist Peter Laubach 60 Jahre alt, und aus dem Jungen von damals ist ein kerniger Körpermaler geworden mit kurzen grau melierten Haaren und Schnauzbart. Umringt von Hunderten fein säuberlich aufgereihten Farbtuben nimmt er die Kunden in seinem Studio "Rainbow Tattoo" an der Dachauer Straße in Empfang. Im Laden hat sich wenig verändert, die Kundschaft um so mehr im Vergleich zum vergangenen Jahrhundert. Heute entblößen sich zwar noch immer Rocker vor ihm, aber eben auch Bauarbeiter, Hausfrauen, Ärzte oder Anwälte. Tattoos sind heute Mainstream, zu Lebzeiten von Laubachs Großvater waren sie noch eine Attraktion.

Das wusste Peter Laubach senior, der 1920 sein Tattoo-Studio in Köln eröffnete, auch für sich zu nutzen: Von Kopf bis Fuß überzog er seine Gattin damals mit Tätowierungen und reiste mit ihr von Varieté zu Varieté. Das Kalkül ging auf: Laubachs Vorstellungen waren ausverkauft, die Menschen wollten diese kuriose Rarität bestaunen. Über seine Frau, die sich den Künstlernamen Rosella gab, erzählte er dann immer die gleiche Geschichte: In Amerika hätten Indianer sie entführt und in einer Nacht am ganzen Körper bemalt. "Natürlich war das gelogen, aber es hat dem Geschäft geholfen", sagt der Enkel.

Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme seiner Großmutter erinnert in Laubachs Laden an die Zeit, als die Tattoo-Kunst zur Familientradition wurde: Die korpulente Frau im engen schwarzen Kleid schaut, den Kopf auf den tätowierten Arm gestützt, von der Wand auf die Kundschaft ihres Enkels herab.

Zu Beginn von Laubachs Tattoo-Karriere in München fiel der Blick der Großmutter vor allem auf zwielichtige Gestalten wie Rocker mit Stiernacken, und auf Zuhälter. Vor 30 Jahren waren sie die einzigen Kunden des Tätowierers. Damals kam ein Tattoo daher auch immer einem Stigma gleich. Ein Tätowierter galt sofort als gewalttätig und vorbestraft.

Aus seinem ersten Geschäft wurde Laubach deswegen sogar vertrieben, zu groß waren die Vorbehalte der Anwohner gegenüber seiner damaligen Kundschaft. Die Suche nach einem neuen Laden gestaltete sich schwierig. "Was? Ein Tattoostudio?", waren zumeist die letzten Worte, die er von potenziellen Vermietern hörte. Das hat sich mittlerweile geändert. Tattoos seien nun in allen Bevölkerungsschichten weit verbreitet, sagt Laubach. "25 Prozent der Deutschen sind inzwischen tätowiert", erzählt der 60-Jährige. "Ich hatte hier schon mal einen sitzen, der wie ein verkappter Doktor gewirkt hat: dünn, schüchtern und mit Nickelbrille." Der Anblick, der sich dem Tätowierer dann unter der Kleidung des Mannes bot, verblüffte ihn: "Der Typ war beinahe am ganzen Körper bemalt."

In mittlerweile 31 Jahren hat Laubach in seinem Geschäft weit mehr als tausend Tattoos gestochen. Hinter einem hohen Massivholz-Tresen beginnt sein "Atelier", das nun auch Ingenieure, Bankdirektoren und Pfarrer durch eine Schwingtür betreten, die stark an den Eingang eines Western-Saloons erinnert.

Neben der Kundschaft haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auch die Tattoo-Motive verändert. Auch bei Tätowierungen gibt es Moden. "Der Hype um japanische Schriftzeichen ist vorbei", sagt Laubach und führt dabei die Nadel in rotierenden Bewegungen sanft über den muskulösen Oberarm eines Kunden. Dagegen seien im Augenblick 3-D-Tattoos und Sternchen-Motive sehr gefragt.

Der Tatowierer sticht auch nach Vorlagen seiner Kunden - doch es gibt Tabus. (Foto: Stephan Rumpf)

Viele Leute kommen bereits seit Jahren und Familienmitglieder mehrerer Generationen zu ihm. "Ich tätowiere schon die Kinder und Enkel mancher Kunden." Sein ältester Dauergast ist 86 Jahre alt. Ihm hat er in diesem Jahr erst das Porträt seiner Mutter auf die Brust tätowiert. Wirft man einen Blick in sein Gästebuch, wird man dort auch das eine oder andere bekannte Gesicht auf einem Foto entdecken. Besonders Fußballspieler hätten ein Faible für Tattoos, sagt Laubach. Miroslav Klose habe sich bei ihm schon die Namen seiner Kinder auf den Oberschenkel stechen lassen.

Wenn Peter Laubach die Ärmel seines schwarzen Sweatshirts nach oben schiebt und den Blick auf seine kräftigen und mit Tattoos in leuchtenden Farben übersäten Arme freigibt, kann man seine ursprüngliche Hautfarbe nur noch erahnen. Ein untätowierter Tätowierer sei schließlich auch seltsam, meint Laubach. "Das wäre wie ein Automechaniker, der selbst kein Auto fährt." Ein kleiner Pilz auf dem Unterschenkel ist sein erstes Tattoo, das er sich mit elf selbst gestochen hat. In 49 Jahren sind unzählige Verzierungen dazugekommen. Er habe irgendwann aufgehört, sie zu zählen. "Mein ganzer Körper ist ein einziges Tattoo. Irgendwann merkt man es gar nicht mehr." Und auch bei seiner Frau Susi ist die Vorliebe für gestochene Körperfarben zu sehen. Die Passion der beiden hat sie auch zusammengebracht. "Sie lag bei mir auf der Pritsche und wollte sich eigentlich nur eine Rose tätowieren lassen." 14 Tage später haben die beiden geheiratet.

In Laubachs Laden kann der Kunde aus mehr als 60 000 vom Tätowierer überwiegend selbst gestalteten Vorlagen auswählen. Auch nach mitgebrachten Skizzen tätowiert Laubach. Doch nicht jedem Kundenwunsch will er nachkommen. "Gesichtstattoos mache ich grundsätzlich nicht." Nationalsozialistische Symbole seien für ihn ebenfalls tabu. Und Verzierungen im Intimbereich kosteten das Doppelte. Auch Kunden mit bizarren Bitten hat Laubach bereits abgewiesen. Ob er seinem Kampfhund nicht einen hellen Fleck auf der Nase schwarz tätowieren könne, wurde er einmal von einem Mann gefragt, erzählt er und verdreht dabei die Augen. "Den habe ich sofort vor die Tür gesetzt. Tiertattoos steche ich nicht." So manchem ersparte ein Besuch in Laubachs Studio auch den Gang zum Schönheitschirurgen. "Manchmal tätowiere ich auch Brustwarzen nach, die durch eine Operation entstellt oder verschoben wurden." Selbst Akne-Narben überdecke er gelegentlich.

Vor Jahren betrat ein Kunde Laubachs Laden, der sich das Porträt seiner Frau auf die Brust stechen lassen wollte. Einige Wochen später kam er wieder vorbei, die Beziehung war inzwischen zerbrochen. Peter Laubach gab sein Bestes, um das Werk zu verändern. "Ich habe versucht, aus dem Gesicht der Freundin das einer Indianerin zu machen. Am Ende kam die wohl erste Indianerbraut mit Dauerwelle dabei heraus", sagt er.

Peter Laubach hat seine Arbeitsutensilien fein säuberlich aufgereiht. (Foto: Stephan Rumpf)

Tätowierte Jugendsünden muss Laubach des Öfteren korrigieren. "Vor einiger Zeit kam ein Mann zu mir, der sein Tattoo aus der Jugend nachbessern wollte." Ein Segelschiff. Der Münchner traute seinen Augen kaum. Er erkannte die Zeichnung sofort wieder. Vor ihm saß also sein erster Kunde, sein ehemaliger Schulkamerad, dessen Haut er mit elf Jahren verziert hatte. Sie trafen sich an diesem Tag nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder. "Das Boot sah mittlerweile mitgenommen aus. Es war im Laufe der Jahre eher zu einem Faltboot geworden", sagt Laubach und schmunzelt.

Wenn Peter Laubach in Rente geht, wird wohl auch die Tattoo-Tradition der Familie nach fast einem Jahrhundert enden. Einen Nachfolger für das Geschäft gibt es nicht. Doch aufzuhören kommt für den 60-Jährigen noch lange nicht infrage. Sein Großvater habe schließlich auch bis zu seinem 85. Lebensjahr fremde Haut bemalt, wie ein Künstler seine Leinwand.

© SZ vom 05.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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