SZenario:Zwischen Wehmut und Wermut

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Tradition beim Gastrosilvester ist, dass ein paar Tage nach Silvester und eine Stunde nach Mitternacht von Florian (links) und Jakob Faltenbacher Champagner aus der Magnumflasche spendiert wird. (Foto: Stephan Rumpf)

Beim Gastrosilvester im Lovelace feiert die Szene noch einmal die gelungene Zwischennutzung an der Kardinal-Faulhaber-Straße und debattiert über die Zukunft der Branche

Von Philipp Crone, München

Als um kurz nach Mitternacht mitten im Partytrubel eine Friteuse über den Gang geschleppt wird, muss Florian Faltenbacher lachen und sagt: "Die hat Michi wahrscheinlich gerade verkauft." Faltenbacher, das ist der eine Gastgeber des Gastrosilvesters am Donnerstagabend im Lovelace. Zum 22. Mal haben er und sein Bruder, die beiden Betreiber der Milchbar, die Kollegen aus der Branche zu einem nachgezogenen Silvesterfest eingeladen. Der Michi, das ist der zweite Gastgeber des Abends, Michi Kern, der das Lovelace als Zwischennutzung betrieben hat und nun zum Wochenende den Betrieb einstellt. Möbel sind bereits verkauft, und nun auch die Fritteuse? Es ist ein Abend zwischen Wehmut und Wermut. Auf der einen Seite feiern Barkeeper, Köche, Kellnerinnen und andere Gastronomen das Ende einer richtig gut gelungenen Ausgehidee in den Räumen der ehemaligen alten Staatsbank. Auf der anderen Seite schauen die meisten mit Ängsten in die Zukunft. Die Münchner Nachtgastronomie, wie wird sie sich in dieser Stadt entwickeln?

Florian Faltenbacher spricht wie viele Kollegen von dem beherrschenden Thema in der Gastronomie, den Mieten. Die Zahl der Clubs gehe in München zurück, sagt er. Wie jedes Jahr ist er zusammen mit seinem Bruder Jakob in insgesamt 630 Lokalen gewesen, um zur Party am Donnerstag einzuladen. Der 48-Jährige ist wohl einer von denen, die mit den besten Überblick über das Kommen und Gehen, das Eröffnen und Schließen verschiedener Gastro-Konzepte haben. "Oft kommen Spielautomaten-Läden in frühere Clubs", sagt Faltenbacher. "Das Crash? Automaten drin. Das frühere Domizil? Automaten." Oder Hotels. Nicht nur das Lovelace muss einem weichen, auch das Harry Klein, das Excess und das Jack Rabbit würden einem Hotel Platz machen müssen, sagt Faltenbacher. Ein Investor habe den Gebäudekomplex gekauft. In 15 Jahren werde es, wenn es so weitergehe, nur noch Systemgastronomie geben. Damit meint er Ketten wie "Hans im Glück" oder die Osterias.

Kern steht an der Balustrade und schaut nach Mitternacht auf die langsam sich füllenden Flächen. Knapp 2000 Gäste sind an diesem Abend gekommen; da sind Frauen in Kleid und Mütze oder in Hut und Strapsen, kräftige Hoodie-Männer, mutmaßlich Hip-Hop-DJs, an einer Theke unterhalten sich zwei auf Italienisch, ein paar Schritte weiter sprechen zwei Männer Englisch. Münchens Gastronomen sind international, im Schnitt etwa Ende 20 und in Sachen Getränke und Tanzfähigkeit sehr geübt. Während unten live musiziert wird, kreischt oben einer ein schrilles "Take on me" ins Karaoke-Mikro, während sich in der Nebenbar Florian und Jakob Faltenbacher auf den Countdown vorbereiten.

Kern sagt, dass "Zwischennutzungen immer wichtiger werden, weil sich die Gastronomie vieles nicht mehr leisten kann". Am Lenbachplatz etwa könne man einen Laden derzeit für 20 000 Euro im Monat mieten, "wie soll ein Gastronom 60 Euro pro Quadratmeter und Monat finanzieren?" Er sucht gerade nach einem Ersatz für das auslaufende Lovelace-Projekt.

Die Faltenbachers stehen um kurz nach eins auf dem Tresen, die Magnum-Flasche in der Hand. Traditionell zerstören sie den Korken und müssen nach einem Korkenzieher rufen, ehe der Champagner fließt. Ein Gastrojahr wird begossen. Wo im nächsten Jahr gefeiert wird, ist noch unklar, vielleicht zum ersten Mal in einem Hans im Glück?

© SZ vom 05.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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