SZenario:Was für ein Theater

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Mit Shakespeare und Hip-Hop startet Matthias Lilienthal seine Intendanz bei den Kammerspielen. Der Premierenbeifall fällt zurückhaltend aus, und auch der vegane "Schweinsbraten" kommt nur mager an. Richtig wild wird es dann nach Mitternacht

Von Christian Mayer

Es berlinert gewaltig an der Maximilianstraße an diesem Freitagabend, und das liegt nicht nur an dem Mann, der sich selbst gerne als "Edelpenner" bezeichnet und im Kleiderschrank nicht lange suchen muss, um das Outfit für diese Rolle zu finden. Matthias Lilienthal hat sich für seine Verhältnisse fast fein gemacht, er trägt ein blaues Schlabberhemd, das offenbar etwas zu heiß gewaschen worden ist, und darüber einen beinahe schon hipstermäßigen Kapuzenpulli. Eine leichte Nervosität merkt man dem neuen Intendanten der Kammerspiele schon an, als er alte Bekannte aus Berlin an seinen integrationswilligen Bauch drückt und neue Bekannte aus München freudig begrüßt - dieser Lilienthal muss ein begnadeter Netzwerker sein, wenn er, wie es aussieht, schon zu Beginn seiner Amtszeit die halbe Stadt kennt, einschließlich der hiesigen Kulturschickeria, die mehr zum Edlen als zum Pennermäßigen neigt.

Viele Theaterfreunde sind zum Spielzeitauftakt gekommen: der herrlich grantige Schauspieler und Autor Josef Bierbichler, der standfeste, hellwache Münchner Ehrenbürger Hans-Jochen Vogel, der von Neugier getriebene Nachbar-Intendant Martin Kušej vom Residenztheater, dazu jede Menge Kritiker und Kollegen. Christian Stückl, Intendant des Volkstheaters, zwinkert mit den Augen, wenn man ihn auf den ganzen Wirbel anspricht, den der Neue aus Berlin bereits verursacht hat: "Jetzt lasst den doch einfach mal machen. Lasst den Theater machen! Bei jeder neuen Intendanz heißt es ja immer, das werde die Theaterlandschaft komplett verändern - und dann machen sie am Ende halt gute und weniger gute Inszenierungen, das ist alles."

Das Publikum erlebt dann eine Shakespeare-Nummernrevue, einen Kaufmann von Venedig mit vielen Rollenwechseln, viel Leerlauf, viel Musik und wunderbaren Schauspielern, die schon mal richtig Lust machen auf die Lilienthal-Zeit. Dennoch bleibt der Premierenbeifall zurückhaltend kurz, es geht ohnehin alles sehr rasant an diesem Abend. Im nächsten Moment steht man bei der Party im Innenhof vor dem Blauen Haus. Hans-Georg Küppers nimmt sich das Mikrofon: "Ich bin der Kulturreferent und Schuld daran, dass dieser Intendant in München ist." Applaus. Dem Publikum, sagt Küppers, werde beim Kaufmann von Venedig etwas "zugemutet". Auch von Lilienthal ist keine große Rede zu erwarten, nur das Bekenntnis eines Workaholics, der innerhalb weniger Tage fünf Premieren zu stemmen hat: "So was wie Schlaf finde ich vollkommen unnötig." Allen, die nicht so ganz einverstanden sind mit der ersten Inszenierung des neuen Hausregisseurs Nicolas Stemann, ruft er zu: "Wir haben's nie böse gemeint. Wir haben uns vielleicht was gedacht."

Danach trinken sich die einen diesen ersten Abend schön, mit Bier und Weißwein, während die anderen, die mutigen unter den Gästen, damit den veganen "Schweinsbraten" herunterspülen, eine weitere Innovation des Intendanten. Großartig, welche Emotionen diese Interpretation eines bayerischen Klassikers hervorruft: Die Bewertungen reichen von "schon interessant" über "hat die Konsistenz eines Dichtungsrings" bis hin zu "wie halbaufgetaute Calamares ohne Geschmack". Der Premieren-Junkie Wolfgang Heubisch, früher Kulturminister und heute FDP-Stadtrat, ist sich übrigens sicher, Versatzstücke der Kaufmann-Inszenierung irgendwo mal gesehen zu haben, vielleicht in Bayreuth bei Frank Castorf - "aber das macht nichts, denn am Schluss war's ja grandios".

Noch etwas grandioser wird es um 23.59 Uhr. Im Schauspielhaus gibt die schottische Hip-Hop- und Soul-Band Young Fathers ein Mitternachtskonzert, der Altersdurchschnitt im Publikum liegt bei geschätzten 29. Spätestens beim Song "The Queen is Dead" bebt das Jugendstilhaus, die Zuschauer springen aus ihren Sitzen, 200 Bärte wackeln im Takt. Ein paar Mal öffnet Matthias Lilienthal von außen die Tür, um nachzusehen, ob noch alles steht auf der Bühne, auf der die Musiker Kayus Bankole, Alloysious Massaquoi und Graham Hastings durch die Decke gehen.

Es berlinert nicht nur in den Kammerspielen. Es geht alles wild durcheinander. Alles gut? Wir werden sehen.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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