SZenario:Wahrheit und Wahrnehmung

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Klaus Volk hat als Strafverteidiger Josef Ackermann oder Borsi Becker beraten. (Foto: C. Bertelsmann Verlag)

Das Gehirn als Regisseur: Klaus Volk, der Boris Becker verteidigte, stellt ein Buch vor

Von Philipp Crone, München

Wenn Klaus Volk zu Beginn seiner Buchvorstellung am Mittwochabend sagt: "Unterbrechen Sie mich ruhig, ich bin das gewohnt", ist das bemerkenswert. Zum einen war der 71-Jährige Rechtsprofessor an der LMU, da lässt man sich eher nicht stören. Als Strafverteidiger schon eher. In dieser Funktion hat Volk Boris Becker oder Josef Ackermann beraten. Engagierte Juristen werden eben regelmäßig unterbrochen. Aber an diesem Satz merken die Zuhörer im Hearthouse auch, worauf es noch ankommt vor Gericht: Charme und Entertainer-Fähigkeiten. Zu seinen Mandanten sagt Volk wenig Spannendes, dafür zur Wahrheitsfindung um so mehr.

"Man kann fest davon überzeugt sein, etwas gesehen zu haben, was nie passiert ist." Volk beschreibt ein Experiment, bei dem Jurastudenten eine inszenierte Handgreiflichkeit im Hörsaal mit geradezu abenteuerlichen Ausschmückungen wie Pistolen und Schüssen ausschmückten. "Das Gehirn schreibt die Geschichte, nicht das Auge." Außerdem gebe es Versuche, in denen Studenten durch geschickte Suggestivfragen vermeintliche Missetaten aus ihrer Vergangenheit bis hin zu Verhaftungen zugaben, die sie niemals begangen hatten. Hirn-Forscher hätten gezeigt, dass die "neuronalen Muster bei echten und falschen Erinnerungen nicht zu unterscheiden sind".

Volks Fazit zur Wahrheit: "Man muss nur Vertrauen aufbauen, überlegenes Wissen vorspielen, vermischt mit wahren Details, um zu hören, was man hören will." Diese psychologische Technik stehe natürlich auch der Polizei zur Verfügung. Außerdem spiele sich das Gehirn bei der Übertragung von Kurzzeit- in Langzeiterinnerungen als Regisseur auf. "Die Geschichten werden dabei geschönt und ergänzt." Gibt es dann also nur subjektive Wahrheiten? Und worum geht es dann vor Gericht, fragt ein Zuhörer. Volk lächelt und sagt: "Man kann immer nur Wahrscheinlichkeiten ermitteln." Das Gericht komme im besten Fall zu dem Schluss: "Nach unserer Überzeugung steht fest, dass . . ." Aber eine Lücke zur Gewissheit bestehe immer.

Es ist ein erhellender und kurzweiliger Abend, wobei das ist auch nur eine Annahme ist, schließlich könnte das Gehirn des Autors dieses Erlebnis bereits geschönt haben.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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