SZenario:Ehrung für den Knotenlöser

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"Meine Sorge ist, dass alte Spaltungen in neuer Gestalt nach Europa zurückkehren." Frank-Walter Steinmeier bedankt sich am Montag. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Beharrliche und unermüdliche Vermittlungsarbeit - Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird von der Katholischen Akademie ausgezeichnet

Von Wolfgang Görl, München

Vom europäischen Haus ist am Montagmittag im Saal der Katholischen Akademie in der Mandlstraße mehrmals die Rede, und durchweg schwingt dabei die Sorge mit, dieses Haus könnte baufällig werden, wenn nicht gar einstürzen. Auch Frank-Walter Steinmeier, der Bundesaußenminister, den die Akademie in einem Festakt mit ihrem Ökumenischen Preis ausgezeichnet, räumt in seiner Rede ein, dass "das Haus Risse bekommen hat". Aber zu resignieren, den Dingen ihren Lauf zu lassen oder sogar beim Abbruch mitzuwirken, widerspricht den politischen Vorstellungen Steinmeiers. "Es ist unsere Aufgabe, das Haus zu stützen", fügt er sofort hinzu. "Es muss darum gehen, neue Wege des Dialogs und der Zusammenarbeit in Europa zu öffnen."

Mit dem Ökumenischen Preis, der aus Mitteln der Stiftung Wilhelm und Antonie Gierlichs finanziert wird, würdigt die Katholische Akademie Persönlichkeiten, welche die "Ökumene im Sinne Karl Rahners im Verhältnis der katholischen Kirche zu den Kirchen der Reformation" gefördert haben. Unter den bisherigen 15 Preisträgern waren acht Bischöfe und vier Theologieprofessoren; einen SPD-Politiker, der überdies evangelisch und dazu mit einer Katholikin verheiratet ist, suchte man bis dato vergebens auf der Preisträgerliste. So brauchte auch Kardinal Reinhard Marx, wie er in seinem Schlusswort verrät, erst einmal eine Nacht des Überlegens, nachdem er von der Absicht gehört hatte, Steinmeier den Preis zu verleihen. Am Ende der Überlegungen aber stand die Überzeugung: "Dies ist eine ausgezeichnete Idee."

Von welchen Ideen sich die Juroren leiten ließen, trägt Florian Schuller, der Direktor der Akademie, vor: "Frank-Walter Steinmeier zeigt durch die Art seines politischen Handelns, welche Kraft christlicher Überzeugung innewohnt, wenn sie eingebracht wird in Gesellschaft und Staat." In einer Welt, die in Unordnung geraten sei, hätten insbesondere Christen den Auftrag, "aktiv zu Frieden und Gerechtigkeit beizutragen". In diesem Sinne nehme Steinmeier eine Vorbildfunktion wahr.

Die eigentliche Laudatio hält Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Sternberg zufolge steht die Außenpolitik vor dem Hintergrund von Terrorismus, Kriegen und den daraus resultierenden Flüchtlingsströmen in vorrangiger Weise in der Pflicht. Steinmeier zeichne dabei, im Gegensatz etwa zur "unerträglichen Verantwortungslosigkeit der Spieler um den Brexit", eine Ernsthaftigkeit aus, die in der "beharrlichen und unermüdlichen Vermittlungsarbeit" wirksam werde. Der Außenminister sei ein "Knotenlöser", der unentwegt daran arbeite, die "teils alten, festen Verknotungen in Konflikten, Streitigkeiten und Verhärtungen geduldig aufzudröseln - im Gefüge der Staaten und Völker ebenso wie auch zwischen Konfessionen und Religionen".

Nach so viel Lob tritt Steinmeier erst einmal auf die Bremse. Er freue sich über den Preis, aber er habe sich sogleich gefragt, ob er der Richtige sei. "Die Ökumene war mir nicht in die Wiege gelegt", sagt er und erzählt von seiner Heimat Brakelsiek im nordrhein-westfälischen Kreis Lippe, wo man den reformierten Glauben pflegte und mit den Lutherischen, geschweige denn mit den Katholiken kaum in Berührung kam. Wer von dort kam, hatte einen weiten Weg zum Amt eines weltläufigen Außenministers. Ökumene bedeute für ihn, Trennlinien zu überwinden - eine Definition, mit der Steinmeier in der Gegenwart ist, in der nationalistische "Fliehkräfte" am vereinten Europa zerren. "Ich habe noch nie eine Zeit erlebt, in der die Krisen in solcher Dichte auf uns einströmen." Besonders beunruhigten ihn die "dumpfen Parolen", mit denen populistische Parteien den Islam an den Pranger stellten. "Solche Parolen mögen Applaus bringen, aber sie bringen uns nicht weiter im Umgang mit den Herausforderungen", sagt Steinmeier. Gerade die Europäer sollten es besser wissen und Konflikte zivilisiert austragen. Auch und nicht zuletzt für Christen sei es geboten, für das Haus Europa zu streiten, "ehe es zu spät ist".

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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