SZ-Serie: "Wo Nachbarn miteinander ins Gespräch kommen", Folge 6:Geben, nehmen und reden

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Jeden Freitag wird es lebendig neben der kleinen Backsteinkirche an der Josephburgstraße. Die vielen Helfer der Berg am Laimer Tafel bauen die Stände und Regale auf, um Bedürftige kostenlos mit Lebensmitteln zu versorgen - und mit ihnen ins Gespräch zu kommen

Von Renate Winkler-Schlang

Ein normaler Freitagmittag im Herzen von Berg am Laim, Kinder haben Schulschluss und stehen in Grüppchen an der Kreuzung, Schülerlotsen in Neongelb helfen ihnen über die Straße. Die Standlleute vom Wochenmarkt packen schon ihre Waren ein. Im Café Aumüller gesellen sich zu den ratschenden Rentnern die Leute, die zum Wochenende früher Feierabend machen, die Tische vor dem Haus sind alle belegt, die Gäste trinken Kaffee, blinzeln in die Sonne, schauen der Trambahn nach. Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum gerade Freitagmittag besonders viele Menschen unterwegs sind: Es ist "Tafel-Tag".

Die ersten, die von der Caritas einen Berechtigungsschein zum Bezug von kostenlosen, gespendeten Lebensmitteln haben und an diesem Tag "dran" sind, dürfen sich um 14 Uhr anstellen, doch auf der Fläche neben der kleinen Backsteinkirche an der Josephsburgstraße 24 wuselt es schon Stunden vorher. Die vielen Helfer - insgesamt gibt es rund 50, die im Wechsel kommen - binden ihre blaugemusterten Tafel-Schürzen um. Zeltplanen werden zur Seite geschoben, Tische aufgestellt. Fritz Schöfinius, der Leiter, sperrt die Lagerschuppen auf. Die Lieferungen treffen ein, Kisten werden ausgeladen.

Es gibt immer etwas zu erzählen, und oft wird miteinander gelacht: Auch deshalb freut sich Norbert Dittmann (links) auf jeden Freitag. (Foto: Robert Haas)

Aber sie haben Zeit für ein Lächeln, eine kleine Berührung am Arm, eine schnelle Umarmung: "Servus, geht's Dir gut?" "Schön, Dich zu sehen." "Achtung, Salat!" "Hierher, hilf mir mal, du weißt ja, mein Kreuz macht nicht mehr so mit." Zunächst ist keine Zeit für ausführlichere Unterhaltungen, denn nun muss es zackzack gehen, der Ablauf ist zigfach erprobt.

Aber es dauert nicht lange, da nimmt das vermeintliche Chaos Kontur an, jeder steht auf seinem Posten, mit den Produkten bei der Hand: Kartoffeln, Bananen oder die bereits portionierten Suppenknochen, die gespendeten Osterhasen, die halbierten Aumüller-Brotlaibe oder fertigen Gerichte. Mancher kann kurz durchschnaufen und sich seinem Helfer-Nachbarn zuwenden: "Wir waren in den Bergen, super Wetter." "Meine Enkel kommen, deshalb kann ich nächste Woche nicht." "Gott sei Dank hab ich die Erkältung hinter mir." Die meisten Ehrenamtlichen machen seit Jahren mit, auch die Helfer aus dem Kreis der Bezieher.

Sie kennen sich, freuen sich aufeinander. "Rhabarber?" "Hier her!" "Hab ich Dir von meiner Bewerbung erzählt?" "Schön, dass es nicht regnet." "Wirsing ist ja nicht so beliebt." "Du bist aber immer in Eile, mein lieber Scholli."Hier redet jeder mit jedem. Fritz Schöfinius war Chef des Bildungszentrums der Handwerkskammer, Gerhard Hofmeister hatte eine Praxis, Karin Gresch einen Feinkostladen. Andere wie Herr Ali kommen von weit her, oder sie sind Hausfrauen, haben ihre Eltern gepflegt, gehören einem Orden an wie Schwester Martina. Über die Zeit haben sie alle viel voneinander erfahren, denn am Abend, wenn sauber gekehrt ist, gehen die Helfer miteinander essen. Und einmal im Jahr wird groß gefeiert. "Wir sind hier eine nette Clique", sagt Karin Gresch.

Birgit Schröder baut bald ihr Einlass-Pult auf: Vorher aber tauscht sie sich noch mit dem fröhlichen Gheny Hüsein Ali aus. (Foto: Robert Haas)

Weil die Berg am Laimer Tafel eine besondere ist, die mit den örtlichen Kirchengemeinden St. Michael und Offenbarungskirche kooperiert, bietet sie nicht nur Lebensmittel, sondern auch ein Zelt mit gebrauchter Kleidung, einen Tisch mit Hausrat und ein schwarzes Brett mit den Fotos gespendeter Möbelstücke, die man für einen symbolischen Betrag erwerben kann. Georg Jurenic verwaltet diesen Möbel-Service, der sogar Lieferung umfasst. Norbert Dittmann, ein "Bezieher-Helfer", der in besseren Jahren gut verdient hat und dann krank - und auch arm - wurde, hat ihm jahrelang geholfen. Klar, dass er auch zur Stelle war, als Jurenic selbst umgezogen ist, sie hatten sich längst angefreundet. Inzwischen ist Dittmann an der Bandscheibe operiert, er darf nicht mehr schwer heben, was er sehr bedauert. Doch das Mitgefühl der Helfer-Kollegen ist ihm sicher, denn manchen anderen plagt ebenfalls ein Leiden: "Auch da tauscht man sich aus. Man muss halt einfach unter die Leut'." Er lächelt.

Im Klamottenzelt behält Regine Kast den Überblick. Ihr Mann Siegfried, jahrelang im Kirchenvorstand, bringt Kaffee und Wasser. Diakon Richard Braun übergibt Betty Fleischmann Weihwasserflaschen für die Hausratecke: "Alle sauber gespült", sagt er, und die Helferin lacht mit ihm. Um 14 Uhr hat Birgit Schröder ihr Pult aufgestellt, sie ist die Frau am Einlass, die auf die Berechtigungsscheine und die Nummern schaut, denn es gibt so viele Bedürftige, dass außer den chronisch Kranken und den kinderreichen Familien die Bezieher nur jede zweite Woche kommen können. Gerade hat sie noch mit Gheny Hüssein Ali geplaudert, jetzt muss sie freundlich Konsequenz zeigen, dass sich keiner rein mogelt. Dieses Ehrenamt tue ihr gut, sagt sie, und: "Es erdet mich."

Alle sind stolz auf ihre Tafel-Schürzen. (Foto: Robert Haas)

Vor dem Eingang hat sich schon eine Traube von Menschen gebildet. Drei Ukrainerinnen sprechen miteinander, sind aber misstrauisch anderen gegenüber. Eine Frau aus Afghanistan erzählt vom Glück, hier zu leben und von ihrem Sohn, der ihr eine bayrische Schwiegertochter ins Haus gebracht habe. Gülten Bombe, lustige Künstlerin, sucht eine andere Bezieherin: Sie habe sie neulich getroffen und ihr versprochen, ihr für ihre Kinder die alten Spielzeugautos ihres Sohnes mitzubringen. Wenige Minuten später haben sich die beiden entdeckt.

Die Schlange der Hereingelassenen zieht vorbei an den Stationen und Gemüsesorten, an Menschen wie Erna Gradl, Katharina Ovar, Anneli Lenger, Franz und Heidi Weiß, Günther Klein, dem früheren Leiter, der immer noch aktiv ist. Kurze Begegnungen mit den Beziehern, die nach Rezepten fragen, stolz das Alter ihrer Kinder verraten. Diese Kontakte sind lockerer - und dennoch: Alle wissen, dass die Frau in Schwarz ihren Mann verloren hat, als der zur Beerdigung seiner Mutter nach Syrien zurückreiste, dass diese beiden Frauen mit den Rastalocken schwer traumatisiert waren und nur langsam auftauen, dass jene dort jede Nacht putzen geht: Sie würde alles für ihr behindertes Kind tun. Fritz Schöfinius hat aber auch eine andere, wichtige Erfahrung gemacht: "Manchmal schaut man jemandem in die Augen und weiß, es ist besser, man fragt ihn jetzt nichts."

Am Dienstag lesen Sie: der Emma-Zone-Laden am Pronnerplatz in Laim

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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