SZ-Serie: Schon gehört?, Folge 14:Dorf-Platz

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Während draußen das städtische Leben tobt, geht es auf dem Stemmerhof gelassen und gemütlich zu. Seit 1799 in Familienbesitz, ist dieser Fleck für viele Lieblingsort und Treffpunkt mitten im alten Sendling

Von Birgit Lotze

Wenn Miriam Paschke ihre Malschule im Stemmerhof abschließt, geht sie meist nicht direkt nach Hause. Sie setzt sich unten im Hof auf einen der Hocker an den langen Tischen zwischen den kleinen Stehlokalen. Manchmal isst sie noch etwas, trinkt ein Glas Wein. Meist sitzen dort schon einige und freuen sich, wenn sich wieder jemand dazugesellt. Man kommt vor den Lokalen sehr leicht ins Gespräch, freut sich Miriam Paschke. Sie schätzt die offene, nette Atmosphäre im Hof, den regen Austausch. Irena Maggion, Küchenchefin in einem Bogenhauser Hotel, hat bereits Platz genommen, genießt einen Teller Pasta und lobt die Qualität einiger Angebote im Hof: "So was findet man sonst kaum in München."

Für viele, die ungezwungen von einem Tisch zum andern gehen und den einen oder anderen Gast begrüßen, ist der Hof so etwas wie ein Wohnzimmer, ein Lieblingsort. Eher stylisch wirkt die Seite mit dem Feinkost-Italiener "Sapori Originali" und dem "Sendlinger Berg Fischer". Etwas rauer und holziger geht es dafür gegenüber beim "Hof-Laden" zu. Die Szenerie passt zu Sendling, meint die Medienexpertin Kriemhilde Klippstätter: "Man ist nie trendy oder en vogue, aber die Qualität muss schon stimmen. Ein versteckter Schatz." Für sie ist der Platz wie ein geschützter Raum - ideal, um auch alleine wegzugehen. Rainer Klamt nutzt den Hof - bei Kälte oder Regen auch die Innenräume - mittags für Geschäftstermine, abends auch als Wohnzimmer: "Eine sehr gute Kommunikationsdrehscheibe. Sehr lebendig."

Lange Tische, gute Gespräche: Auf dem Stemmerhof lässt sich einer der wenigen warmen Frühlingsabende prima aushalten. (Foto: Stephan Rumpf)

Viele der Nachbarn treffen sich im Stemmerhof; es gibt aber auch einige, die einfach vorbeischauen. So wie ein Programmierer, der auf dem Weg in seine Sollner Wohnung im Hof-Laden sein "Chill-out-Bierchen" trinkt. "Im Sommer scheint das Wetter hier schöner als woanders", gibt er seinen Eindruck wieder. Von einer besonderen Atmosphäre spricht auch Stefan Ebisch. Schon dass man sich beim Fischhändler Essen bestellen kann und der dann beim Italiener oder beim Hof-Laden serviert - "Wo findet man so was außer in Italien sonst noch?" Eine Hundebesitzerin, die die abendliche Gassi-Runde unterbricht, hängt ganz selbstverständlich, als ob es ihr Zuhause ist, Mantel und Leine an das Bierflaschenregal im Hof-Laden. Sie liebt das Konzept, sagt sie, die Leute, das Essen. Und das Gefühl, auf einem Bauernhof zu sein. So mitten in der Stadt.

Der Stemmerhof findet sich oben auf dem Sendlinger Berg im alten Sendlinger Zentrum und ist seit 1799 im Besitz der Familie Stemmer. Noch in den Neunzigerjahren wurden dort Milchkühe gehalten; heute kann man vom Hof aus die Autolawine beobachten, die sich die Lindwurmstraße hochschiebt. Doch die Familie kümmert sich darum, die landwirtschaftliche Tradition zu erhalten. Als Elisabeth, geborene Stemmer, und ihr Mann Walter Kunz den Hof übernahmen, wollten sie einen Dorfplatz aus dem Innenhof machen. Ein Biomarkt zog ein, schließlich erwartet man auf einem Bauernhof doch frisches Gemüse, sagt Walter Kunz. Danach wurde eine Gaststätte eingerichtet - auch wichtig für ein Dorf. In den Folgejahren kamen kleine Läden dazu, die sich mal mehr oder weniger halten konnten; über deren Wohl und Wehe entschieden vor allem die Gäste und ihr Kaufverhalten. So verschwanden die Suppenküche und der Blumenladen irgendwann wieder. Im Hof-Laden, ursprünglich als Geschäft für regionale Produkte gedacht, gibt es jetzt Schweinebraten, viel gefragt sind auch Kaffee, Kuchen, Wein, Sprizz und vor allem Bier. Das Sapori Originali ist ein italienischer Imbiss, in dem man nicht nur essen, sondern auch Spezialitäten kaufen kann. Der Fischhändler ist sein eigener Koch und bereitet seine Produkte gleich selbst zu.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Für die Atmosphäre sorgen auch: Andreas Klattenbacher vom "Sendlinger Berg Fischer",...

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(Foto: Stephan Rumpf)

... Dirk Scherer vom "Hof Laden"...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...und "Sapori Originali"-Chef Pierluigi Gardumi.

Die Grundidee der Stemmer-Kunz-Familie: Die Stühle und Tische im Außenbereich sind für alle da. Wer sich im Biomarkt eine Semmel und eine Wurst kauft, soll sie auch beim Italiener oder vor dem Fischladen essen dürfen, sagt Kunz: "Austausch ist ein wichtiger Faktor, es soll locker sein."

Abends, wenn die Geschäfte schließen, geht das Leben auf dem Dorfplatz weiter. Der Literaturkeller "Ars Musica" hat dort seine Bühne; seit Kurzem ist die Verlagsgruppe Random-House ins ehemalige Milchhäusl gezogen, veranstaltet Schulungen, Lesungen und stellt Bücher vor. Die Mischung aus den verschiedenen Charakteren macht für Walter Kunz die Stimmung auf seinem Hof aus. Und den Eigentümern ist ihr Konzept wichtiger als der Gewinn. Das heißt: Wenn ein Kulturverein sich die Miete nicht leisten kann, zahlt er vielleicht nur die Betriebskosten.

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© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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