SZ-Serie: Sakrale Glaskunst, Folge 2:Das rote Leuchten

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Von außen fügt sich das Eingangsportal der denkmalgeschützten Bogenhauser Kirche Heilig Blut unauffällig in die Fassade. Von innen aber entzünden Josef Alexander Henselmanns Glastüren ein wahres Farbfeuer. Und dennoch sind sie ein verstecktes Kunstwerk

Von Ulrike Steinbacher

Sie leuchten. An sonnigen Nachmittagen leuchten sie so sehr, dass sie Schatten auf den Steinfußboden werfen, die länger und länger werden, bis der rote Teppich den Altarraum erreicht und das Silber des Tabernakels im Widerschein schimmert. Sie sind ein Augen-Magnet, ziehen den Blick an und halten ihn fest, entzünden ein Farbfeuer im kühlen, dunklen Eingangsraum der Kirche. Und doch sind die Glastüren von Heilig Blut ein verstecktes Kunstwerk. So richtig auf sie aufmerksam wird der Betrachter erst, wenn er die Kirche wieder verlässt und auf den Ausgang zugeht. Beim Eintreten dagegen sind sie unsichtbar. Denn von außen ist das Glas grau und opak, von außen fügt sich das Hauptportal unauffällig ein in die fensterlose Giebelfront an der Scheinerstraße. Keiner käme auf den Gedanken, dass drinnen dieses rote Leuchten wartet.

Der Kontrast ist für Josef Alexander Henselmann "der Clou an der Tür". Der Bogenhauser Künstler - groß, schlank, grau meliertes Haar - hat das Portal geschaffen, mit Hilfe der Mayer'schen Hofkunstanstalt. Technisch sei es ganz schön aufwendig gewesen, die vier Schichten Glas zusammenzufügen, erzählt der 55-Jährige. Zuerst außen das feuerfeste Floatglas, dann die isolierenden Sicherheits- und Trägerschichten, das mundgeblasene Antikglas innen, alles verbunden in einem geschmiedeten und verzinnten Bronzerahmen, dessen Grau mit dem des Glases korrespondiert. Die Kirche Heilig Blut steht unter Denkmalschutz. Große Veränderungen waren also tabu, als die Pfarrgemeinde entschied, sich zum 75-jährigen Bestehen 2009 ein neues Eingangsportal "zu leisten", wie es Pfarrer Engelbert von der Lippe formuliert. Entworfen hatte die Saalkirche der Architekt Hans Dollgast 1934, als die alte Bogenhauser Kirche St. Georg wegen der vielen Neubausiedlungen zu klein geworden war. Und Dollgast leitete auch nach Krieg und Bombenzerstörung 1950 den Wiederaufbau von Heilig Blut.

Zum 75-jährigen Bestehen 2009 war eine Renovierung fällig, was Pfarrer von der Lippe auf die Idee mit der neuen Tür brachte. "Da habe ich unseren Nachbarn gefragt", erzählt er. Josef Alexander Henselmann, der sein Atelier gleich nebenan an der Donaustraße hat, ließ sich nicht lange bitten. Schon sein Großvater, der Bildhauer Josef Henselmann, hat an der Ausstattung von Heilig Blut mitgearbeitet und das Kriegergedächtniskreuz beigesteuert.

Der Enkel schlug für das Portal den Werkstoff Glas vor. Für die Außenseite nahm er einen Abdruck von der alten Holztür, das Floatglas wurde in diese Form hineingeschmolzen. Wer sich das Türblatt anschaut, kann Ornamente und Zierleisten des hölzernen Vorgängermodells erkennen. Für die Innenseite verwendete Henselmann mundgeblasenes Antikglas aus Waldsassen. Das flüssige Glas wurde rot und gelb eingefärbt und geblasen, die Zylinder dann aufgeschnitten und zu etwa fliesengroßen Tafeln geglättet. Ergebnis des Prozesses sind leicht unebene farbige Glasflächen mit kleinen Lufteinschlüssen, jede ein Unikat. Die Struktur ist es, die dem Antikglas seine Leuchtkraft gibt, sein "Eigenleben", wie es der Künstler nennt.

Ehe er aus den Tafeln die Innentürflügel zusammensetzte, ließ er einzelne Glasflächen nach seinen Entwürfen nachbearbeiten: Das Rot wurde an bestimmten Stellen weggeätzt, darunter kam wieder weißes Glas zum Vorschein. In den weißen, gelben, vor allem aber roten Farbwirbeln und -schlieren kann sich der Betrachter verlieren. An Blut lassen sie denken, natürlich, aber auch an Feuer und an Licht, suggerieren ein Fließen, eine ständige Bewegung.

Zum Kunstwerk gehört auch die Widmung: "Joseph Ratzinger, Kaplan in Hl. Blut, 1951-52" ist oben in den linken Türflügel geätzt. "Deus Caritas Est, Benedikt XVI." steht im rechten. Der spätere Papst, dessen erste Enzyklika den Namen "Gott ist die Liebe" trug, hatte als junger Mann in Heilig Blut gearbeitet. Es war seine allererste Kaplanstelle nach der Priesterweihe. Auch daran erinnert das Portal.

"Aber die hatten hier immer aufregende Kaplane", weiß Josef Alexander Henselmann. Hermann Wehrle zum Beispiel. Als er in der Beichte gefragt wurde, ob das Wissen um die Vorbereitung eines Attentatsplans schon eine Sünde sei, verneinte er. Der Volksgerichtshof verurteilte ihn 1944 als Mitwisser des Attentats vom 20. Juli zum Tod. Oder Alfred Delp, der von 1941 bis 1944 Kirchenrektor der Schwesterkirche St. Georg war. In seinem Notizbuch fanden die Nazis den Namen des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Delp wurde wegen Hoch- und Landesverrats hingerichtet. Eine Kopfbüste des Jesuitenpaters steht in Heilig Blut auf einem Steinsockel am Eingang. Auch sie stammt von Henselmann. Nur trägt sein Delp inzwischen keine Brille mehr. "Die habe ich abnehmbar gemacht", erzählt der Künstler. "Irgendwann wurde sie geklaut."

Pfarrer von der Lippe ist mit der modernen Ausstattung seiner Kirche bis heute glücklich. Das Glasportal nennt er ein "wunderschönes, ungewöhnliches Kunstwerk", das sich einerseits sehr zurücknehme und andererseits einen kräftigen Akzent setze. Bei einigen Gläubigen habe die Farbigkeit zu Irritationen geführt, die meisten seien aber von der Lichtwirkung begeistert. Künstler Henselmann wiederum lobt den Pfarrer: "Er hat mir wirklich freie Hand gelassen." Der Entwurf, der ihm selbst am besten gefallen habe, sei verwirklicht worden: "Von außen grau und unauffällig, und innen kommt der Knaller."

Nächste Folge: die Glasfenster der Wallfahrtskirche Maria Eich.

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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