SZ-Serie: Revolution! Folge 8:Die Armee übernimmt die Kontrolle

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München ist von Konterrevolutionären eingeschlossen. Am 27. April setzen Betriebsräte die Kommunisten ab, einen Tag später putscht die Rote Garde. In der Stadt herrscht nun eine Militärdiktatur

Von Melanie Staudinger

Am Ende muss Ernst Toller fliehen. Rein zufällig, so wird er es später berichten, sei er an jenem 28. April 1919 im Münchner Hofbräuhaus gewesen. An jenem Tag, an dem eine kommunistische Revolution auf ihr endgültiges Ende zusteuert. Betriebs- und Soldatenräte haben die kommunistische Führung abgesetzt, jetzt wählen sie eine neue Regierung, den Aktionsausschuss. Doch nun umzingeln die Roten Garden das Gebäude. Die Armee übernimmt die Kontrolle über die Stadt. Und der Sozialist Toller, der im Streit mit den Kommunisten aus der Regierung ausgeschieden ist, verbirgt sich im Büro des Hofbräuhauspächters, der ihn am Ende aus dem Haus schafft. Seine politische Karriere ist vorbei.

Nur etwa zwei Wochen, nachdem sie die Macht übernommen hat, ist die kommunistische Räteregierung schon wieder abgesetzt. Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten konnten sich nicht einigen: Sollen sie mit der Regierung des vom Landtag gewählten bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann in Bamberg verhandeln? Oder doch die Entscheidung in der Schlacht suchen? "Der Kampf der Revolutionäre untereinander wird immer wütender", berichtet Toller.

Kämpfe ist die Räterepublik eigentlich gewöhnt. Von Anfang an muss sie sich gegen die von Norden anrückenden Truppen, die Hoffmann entsandt hat, wappnen. Zugleich will sie die konterrevolutionären Bestrebungen im Inneren beseitigen. Schon am ersten Tag der kommunistischen Regierung, am 13. April 1919, rufen die Räte einen zehntägigen Generalstreik aus: In diesem Zeitraum soll die Bourgeoisie entwaffnet, die Arbeiter sollen militärisch organisiert werden. Der Streik soll sicherstellen, dass ständig Männer in ausreichender Zahl im Einsatz sein können.

Vom 28. April 1919 an hatten nicht mehr die Arbeiter- und Soldatenräte das Sagen in München, sondern der Oberkommandierende der Roten Armee, der Matrose Rudolf Egelhofer. Hier führt er eine knappe Woche zuvor in seinem Wagen die Truppenschau der Rotarmisten an. (Foto: Scherl/SZ-Photo)

Verantwortlich für die Mission ist Rudolf Egelhofer, ein gebürtiger Münchner, der 1918 am Kieler Matrosenaufstand beteiligt war und dort angeblich zum Tode verurteilt wurde. Anfang 1919 trifft er mit anderen bewaffneten Matrosen aus Wilhelmshaven wieder in Bayern ein und tut sich gleich als Revolutionär hervor. Egelhofer tritt der KPD bei, er gilt als mutig und eloquent. Der Schriftsteller Oskar Maria Graf schreibt in seinem Buch "Wir sind Gefangene" über eine Parade der Roten Armee in der Ludwigstraße: "Vom offenen Fenster herab sprach Egelhofer, der Kommandant der Armee. Entschlossen und ungeziert, in Matrosenuniform, stand er da. Manchmal hob er seine Faust. Wer ihn hörte, musste ihm glauben." Als Stadtkommandant und Vorsitzender der Militärkommission kümmert Egelhofer sich vor allem um die Beschaffung der Waffen. Die Polizei wird ihres Amtes enthoben. Zur Verteidigung gegen die Truppen der Hoffmann-Regierung dient die Rote Armee.

Wie stark die Einheiten wirklich sind, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Manche Quellen sprechen von 5000 bis 6000 aktiven Rotarmisten in und um München, andere nennen 10 000. Mitglieder von KPD und USPD schließen sich ebenso an wie parteilose Gewerkschafter und christliche Arbeiter. Etwa zwei Drittel entstammen dem Industrieproletariat, ein Drittel der Bauernschaft. Die Führung besteht vor allem aus ehemaligen Soldaten und Matrosen. Aber auch frühere Offiziere wie der Generalstabsoffizier Oberleutnant Eugen Maria Karpf, der Kommandeur der Infanterie der Dachauer Armeegruppe, Leutnant Erich Wollenberg, oder Armeearzt Rudolf Schollenbruch sind dabei.

Den letzten Tag des Generalstreiks am 22. April 1919 nutzt die Räteregierung für eine Machtdemonstration. Etwa 12 000 bis 15 000 bewaffnete Arbeiter ziehen bei einer Truppenschau durch die Innenstadt. In den größten Münchner Sälen finden elf große Massenversammlungen statt, bei denen Mitglieder des Vollzugsrats, in dem die Betriebs- und Soldatenräte organisiert sind, Reden halten. Gegen 17 Uhr demonstrieren die Teilnehmer von der Theresienwiese bis zum Siegestor. Der Marsch löst sich erst vor dem Wittelsbacher Palais auf.

SZ-Serie: Was heute vor 100 Jahren in München geschah. SZ-Grafik (Foto: oh)

Die Euphorie aber hält nicht lange. Bei der Versammlung der Betriebsräte im Hofbräuhaus vier Tage später kommt es zum offenen Streit zwischen den Kommunisten um Eugen Leviné und Max Levien und den "Unabhängigen Sozialdemokraten" um Ernst Toller, Emil K. Maenner und Gustav Klingelhöfer. Leviné und Levien wollen kämpfen, die Sozialdemokraten verhandeln - eine unnötige Diskussion, wie sich herausstellen wird. Die Regierung des Freistaats sowie die Reichsregierung wollen die bedingungslose Kapitulation.

Nach heftigen Auseinandersetzungen treten Maenner, Toller und Klingelhöfer am 26. April zurück. Maenner habe "keine Lust mehr, in einem "Marionettentheater" zu sitzen. Toller betrachtet die Räteregierung gar als "Unheil für das werktätige Volk" und als "Gefahr für das Proletariat und die Räterepublik". Für einen Tag erringen die Betriebs- und Soldatenräte die Macht und drängen am 27. April die Kommunisten aus der Verantwortung. "Damit war die kommunistische Räteregierung gestürzt. Das Münchner Proletariat hatte seine Feuerprobe nicht bestanden", schreibt Leutnant Wollenberg später in seiner Reportage über die Münchner Räterepublik.

Aufgeheizt ist die Stimmung nicht nur bei den politisch Verantwortlichen. "Auf den Straßen macht sich etwas Neues bemerkbar: ein allgemeines Misstrauen aller gegen alle", schreibt Alfred Andersch in "Die Kirschen der Freiheit". Er berichtet von Spitzeln der Roten, die anfingen, über die Räterepublik zu schimpfen. Tue einer mit, werde er verhaftet. "Es scheint auch sehr viel denunziert zu werden."

Sieg oder Niederlage - die Kommunisten wollen sich nicht geschlagen geben und setzen alles auf eine Karte. Am 28. April wird zwar eine neue Regierung gewählt, der weder Toller noch Klingelhöfer angehören, aber auch kein einziger Kommunist. Doch diese muss machtlos zusehen, wie die Einheiten der Rotarmisten das Hofbräuhaus umstellen. Egelhofer fordert, dass das Oberkommando der Roten Armee mit allen Vollmachten ausgestattet werden müsse, "um einen erfolgreichen Kampf gegen die Weiße Garde und besonders gegen die innere Reaktion führen zu können". Egelhofer will gar "Angehörige der Bourgeoisie" auf der Theresienwiese zusammentreiben und beim Einmarsch der weißen Truppen erschießen. Die Stadtkommandantur lehnt das Ansinnen ab - und doch wird es in den darauffolgenden Tagen zu Blutvergießen kommen.

Die nächste Folge erscheint am 30. April.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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