SZ-Serie: München - eine literarische Annäherung, Folge 6 und Ende:"Nur für Lebensmittel"

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München wurde von vielen beschrieben, bedacht und besungen. Aber wie sieht es heute aus? Die SZ-Fotografen begeben sich mit einem Zitat auf Spurensuche - diesmal zum Thema "Bauen, brauen, sauen"

Von Florian Peljak (Fotos) und Wolfgang Görl

"Im übrigen lebte die Stadt sich selber, ein lautes, ungeniertes Leben im Fleisch und im Gemüt. Sie war zufrieden mit sich. Ihr Wahlspruch war: Bauen, brauen, sauen."

(Lion Feuchtwanger)

Bauen, brauen, sauen - an sich ist diese Themenstellung ja prädestiniert für Lokaljournalisten. SZ-Fotograf Florian Peljak musste zumindest nicht lange überlegen, als er das Zitat von Lion Feuchtwanger als Aufgabenstellung bekam. "Als ich den Titel das erste Mal gelesen habe, sind mir gleich einige passende Archivbilder eingefallen", sagt er. Bauen, brauen, sauen hat mit Leben zu tun - und das Leben ist in Corona-Zeiten schließlich eingeschränkt. Aber auch das Archiv hat geniale Schnappschüsse zu bieten - zum Beispiel der Tank auf dem Lastwagen mit der Aufschrift "Nur für Lebensmittel", verbunden mit der Hoffnung, dass es sich hier um brauen, und nicht um bauen handelt. Und was das Sauen betrifft, so "ist mir wirklich keine bessere Idee gekommen, was das Aufmacherbild hier jetzt toppen hätte können".

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Provinziell - wie Lion Feuchtwanger seine Geburtsstadt München sah

Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, aufgewachsen im Lehel, liebte seine Geburtsstadt München. Spätestens aber nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik und dem Erstarken reaktionärer, nationalistischer und antisemitischer Kräfte in den Zwanzigerjahren erkaltete diese Liebe. In seinem satirischen Roman "Erfolg", erschienen 1930, kommt München gar nicht gut weg. Wie auch? Die einst heitere, schöne Kunststadt ist zum Sammelbecken obskurer politischer Kreise geworden, in der Stadt treiben demokratiefeindliche Figuren wie Robert Kutzner (unverkennbar trägt er Züge Hitlers), General Vesemann (Ludendorff) oder Franz Flaucher (Ministerpräsident Gustav von Kahr) ihr Unwesen. München selbst ist in diesen frühen Zwanzigerjahren noch stark ländlich geprägt. Das Zentrum des Bauernlands Altbayern, schreibt Feuchtwanger, ist "eine dörfliche Stadt mit wenig Industrie". Die "geistig Regeren" sind abgewandert, Kleinbürgertum und zugezogene Bauernsöhne prägen die Atmosphäre. "Im übrigen lebte die Stadt sich selber, ein lautes, ungeniertes Leben im Fleisch und im Gemüt. Sie war zufrieden mit sich. Ihr Wahlspruch war: Bauen, brauen, sauen."

Gerade der letzte Satz wird noch heute gerne zitiert, wenn es gilt, München als provinzielles Kaff zu denunzieren, in dem derbe Lackl skrupellos Geschäfte machen. Dass die Stadt ein gutes Pflaster ist, um sehr viel Geld zu machen, pfeifen auch die zeitgenössischen Spatzen vom Dach, und zwar mit noch größerem Recht als in den Zwanzigerjahren. Damals war München im Vergleich zu Berlin, Hamburg oder den Industriemetropolen des Ruhrgebiets wirtschaftlich zweitklassig; der Aufstieg als prosperierender Wirtschaftsstandort begann nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Jahrzehnten, als Berlin abgeschottet war und die alte Schwerindustrie im Norden und Westen dahinsiechte.

Schon wahr, vereinzelt begegnen sie einem noch immer, die krachledernen Gschaftlhuber mit altbayerischem Stammbaum, die mit Immobilien oder Börsenspekulationen ihren Reibach machen; aber der vorherrschende Typ des Münchner Besserverdienenden sieht anders aus, etwa so wie überall auf der Welt: Feiner eleganter Zwirn für sie und ihn, High Heels oder handgefertigte Lederschuhe und die sonstigen Accessoires, die der globale Business-Dresscode vorschreibt. Und ja, falls der Mensch in der IT-Branche arbeitet, darf er auch deutlich lässiger daherkommen.

War die Münchner Einwohnerschaft, was die Herkunft betrifft, zu Feuchtwangers Zeit relativ homogen - Alteingesessene, ländliche Zuwanderer sowie einige Fremde, die als Preißn galten, egal, wo sie herkamen -, so wäre das heutige München mit seinen vielen Neubürgern aus aller Welt ein Graus für die völkischen Demagogen der Weimarer Zeit. Und doch hat man nicht das Gefühl, Feuchtwangers Roman wäre veraltet. Die Niedertracht, das Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip, die Lügen und Intrigen sind ja nicht ausgestorben. Nur die Akteure treten anders auf, vielleicht etwas geschmeidiger als damals. Und auch die völkischen Plärrer gibt es wieder.

© SZ vom 01.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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