SZ-Serie: Bühne? Frei!:Die Freiheit im Inneren

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Andrea Lissoni. (Foto: Sebastian Gabriel)

Kultur-Lockdown, Tag 34: Andrea Lissoni, Direktor des Haus der Kunst, über die Kunst drinnen und draußen

Protokoll: Susanne Hermanski

Wir denken die digitale Welt bei allen unseren Projekten und Ausstellungen bereits mit. Auch wenn wir Besucher leibhaftig in unseren Räume begrüßen können. Und ja, es gibt sie, Kunst, die sich ganz wunderbar eignet, um fotografiert oder gefilmt und samt stolzer Betrachter davor via Instagram auf die Smartphones in aller Hände geschickt zu werden. Trotzdem dürfen wir, die Ausstellungsmacher, die Museumsleute und schon gar nicht die Künstler selbst Sklaven von Instagram oder anderen sozialen Plattformen werden. Deren Bilderwelten sind so etwas wie die Eiscreme im Leben, reines, süßes, herrliches Entertainment, das direkt aus dem Museum geliefert wird.

Aber staatliche Kunstgalerien und Museen sind in ihrem Kern etwas anderes, meiner Meinung nach. Auf alle Fälle aber sind sie mehr. Und dieser Mehrwert, dieser höhere Wert erklärt sich aus der Möglichkeit, sie physisch zu betreten. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es wichtig und richtig sein mag, sie derzeit für Besucher geschlossen zu halten. Wir Direktoren von staatlichen Häusern kommen uns in diesen Monaten vor wie Schiffskapitäne, die für die Unversehrtheit aller an Bord verantwortlich sind. Wir müssen an die Mannschaft denken, also die Mitarbeiter, die weder auf dem Weg in die Arbeit noch bei uns im Haus einer Gefahr der Ansteckung mit dem Virus ausgesetzt sein sollten. Und dasselbe gilt natürlich auch für die Gäste, unser Publikum.

Dennoch macht mir diese schwierige Situation eines besonders bewusst: Welches ungeheure Privileg genießen wir doch, wenn wir uns im analogen Raum eines Gebildes wie dem Haus der Kunst bewegen können. Man mag dort zunächst durch eine Art Einlass, ja ein Nadelöhr müssen. Aber befindet man sich erst im Inneren, kann man darin vollkommen frei schreiten und sich mental entfalten. Die Kunst ist jedenfalls eine ständige Aufforderung dazu. Sie reflektiert nicht nur die Welt, in der wir leben; sie nimmt sie sehr oft auch vorweg. Und alle Künstler spielen mal bewusster und gezielter, mal eher indirekt mit dem Betrachter und dessen Vorstellungskraft. Ein Künstler wie Franz Erhard Walther tut dies ganz konkret. Viele seiner Arbeiten kann und soll der Besucher betreten, sie halten und durch seinen eigenen Körper ergänzen, ja vervollständigen. Eine seiner Arbeiten heißt zum Beispiel "Nähe". In der verbinden sich zwei Menschen durch eine Art doppelte Halskrause, die sie dann gemeinsam, auf etwas Abstand, tragen. Das ging nun nicht physisch, weil die Ausstellung zuletzt nur digital beschritten werden konnte. Aber im Netz kann man das sehen. Die Szene bewegt mich, denn sie macht so klar, wir Menschen sind wie Tiere, wir brauchen es, zusammen zu sein.

Es gibt auch Arbeiten wie die von Kapwani Kiwanga, die die Außenwelt bewusst in die Innenwelt des Museums tragen. Auf unserer Homepage erzählt die französisch-kanadische Künstlerin in Film und Podcast davon. Ihre Arbeiten sind wie gemacht für die Zeit, in der wir leben. Auch an eins der Wortkunstwerke Walthers denke ich da. Da stehen Lettern auf farbigem Grund: "Ich war draußen", sagen sie dem Betrachter. Ein einfacher Satz, in dem so vieles mitschwingt. Auch die Sehnsucht von uns Museumsleuten, wieder Menschen einlassen zu können.

© SZ vom 05.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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