SZ-Serie: Auf die Plätze:Im Revier der Jagdgöttin

Lesezeit: 3 min

Die Brunnenfigur der Diana überblickt den Kufsteiner Platz, der zur Keimzelle des Herzogparks wurde. Schon Thomas Mann ist hier mit seinem Hund Gassi gegangen

Von Ulrike Steinbacher

Diana hat den Überblick. Wie sie da oben lässig an einem Sechzehn-Ender lehnt, den Jagdbogen in der Linken, kann sie den ganzen Kufsteiner Platz betrachten. Sie war schon da, als Thomas Mann während des Ersten Weltkriegs mit seinem Hund Bauschan Gassi ging, sie schaute zu, wenn die Volksschauspielerin Rosl Mayr in den Siebzigerjahren beim Metzger auf der anderen Straßenseite einkaufte, und heute hat sie ein Auge auf die Angestellten, die sich in der Mittagspause auf den Bänken am Brunnen zu ihren Füßen sonnen. Ein wenig unbeholfen wirkt diese steinerne Diana: Der Jagdfalke krallt sich an ihrem Daumen fest, das Hirschgeweih scheint auf ihrem Kopf zu wachsen. In den Jahrzehnten, die sie da oben sitzt, hat sich der Platz stark verändert, nicht unbedingt zu seinem Vorteil.

Der Brunnen wurde am 12. Juni 1908 eingeweiht. Entworfen hat ihn Mathias Gasteiger, der Schöpfer des Brunnenbuberls am Karlstor, der Auftrag kam von der Terrain-Aktiengesellschaft Herzogpark München-Gern. 45 000 Mark kostete das Ensemble aus Jurakalk, Tuffstein und Bronze mit Jagdgöttin, Hirsch, Falke und Rehen. Der Brunnen sollte daran erinnern, dass der Herzogpark tatsächlich einmal ein herzoglicher Park war, ehe er zu einer feinen Wohnadresse wurde: eine feuchte Auenlandschaft an der Isar, das Jagdgebiet von Herzog Max in Bayern, Kaiserin Sisis Vater. Dessen Sohn Carl Theodor verkaufte den völlig verwilderten Park im Jahr 1900 für vier Millionen Mark an die Terraingesellschaft und finanzierte damit die Aussteuer seiner Tochter. Die Investoren begannen 1906, das 1,3 Millionen Quadratmeter große Gelände zu bebauen - repräsentative Mietshäuser im südlichen Teil, stattliche Villen nördlich davon. Das Geschäft florierte, ehe Krieg und Weltwirtschaftskrise es ruinierten: Nach den Recherchen des Vereins Nordostkultur standen 1913 im Herzogpark 42 Mietshäuser und 38 Einfamilienhäuser.

1 / 3
(Foto: Catherina Hess)

An ihren Hirsch gelehnt überblickt Diana den Kufsteiner Platz. Der verwitterte Brunnen von Mathias Gasteiger ist 50 Jahre älter als das Haus des Deutschen Evangelischen Frauenbunds, vor dem er steht.

2 / 3
(Foto: privat)

Errichtet wurde der Diana-Brunnen für das stattliche Mietshaus von 1908.

3 / 3
(Foto: Catherina Hess)

Heute stammen fast alle Gebäude am Kufsteiner Platz aus der Nachkriegszeit.

Die Bewohner kamen aus Münchens besten Kreisen. Allerdings seien es nicht die Superreichen gewesen, die sich damals im Herzogpark niederließen, berichtet Stadtteilhistorikerin Gisela Scola, nicht die Unternehmer und Brauereibesitzer und Bankiers. Die hätten sich ihre Villen oben an der Möhlstraße gebaut. Im Herzogpark residierten vielmehr die Intellektuellen, die Schriftsteller, Schauspieler und Künstler. Die Malerin Helene Raff gehörte dazu, der Architekt Carl Jäger und ein bisschen später der Schauspieler Carl Wery oder die Sopranistin Maria Ivogün. Wie vornehm die Adresse von Anfang an war, zeigen die Überlegungen der Investoren, aus dem Herzogpark eine "gated community" zu machen, also die edle Gegend mit Zaun und Tor zu sichern.

Als eines der ersten Gebäude wurde 1907 das Haus Kufsteiner Platz 1 errichtet, für dessen Frontseite Gasteiger dann den Diana-Brunnen entwarf: Alte Ansichtskarten zeigen ein elegantes vierstöckiges Gebäude, 1907 nach den Plänen von Hofoberbaurat Eugen Drollinger errichtet. Schnell quartierte sich Münchner Prominenz dort ein - eine Prinzessin und ein Bankdirektor, ein Hauptmann und diverse Professoren. Staatsminister Ritter Eugen von Knilling, später zwei Jahre lang bayerischer Ministerpräsident, bewohnte sieben Zimmer im zweiten Stock, Schriftsteller Karl Friedrich Henckell mietete drei Zimmer plus Dienstbotenraum, Kammern, Küche und Bad im Dachgeschoss, wo es einen Zugang zum Belvedere auf dem First gab.

Nach den Unterlagen von Gisela Scola verkaufte die Terraingesellschaft das imposante Haus nach dem Ersten Weltkrieg. In den Dreißigerjahren ist die italienische Gutsbesitzerin Maria Montebugnoli als Eigentümerin eingetragen. Ihr gehörte das Gebäude noch, als es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von einer Brandbombe zerstört wurde. Dieselbe Bombe hat vielleicht auch die Nachbarhäuser in Schutt und Asche gelegt: Auf Hausnummer 3 stand einmal "eine gradlinige Dreißiger-Jahre-Villa", sagt Gisela Scola, die dem Korps Suevo-Salingia gehörte, Nummer 2 war das Haus des Architekten Heinrich Stengel.

Heute erhebt sich auf Nummer 2 bis 4 ein Fünfzigerjahre-Ensemble von fünfstöckigen Wohnhäusern mit Geschäften im Erdgeschoss, davor Asphalt und Parkplätze. Schlimmer getroffen hat es Hausnummer 1, architektonisch zumindest. Die Ruine des eleganten Drollinger-Baus wurde in den Fünfzigerjahren abgeräumt, als der Deutsche Evangelische Frauenbund (DEF) das Grundstück kaufte. In einem banalen Nachkriegsneubau richtete der DEF ein Wohnheim für ledige Frauen ein. Heute ist dort der bayerische Landesverband des Frauenbunds untergebracht. Das nüchterne gelbe Apartment-Haus und der pathetische Diana-Brunnen sind aber ein geradezu schmerzhaft ungleiches Paar.

Die Polizei stieß am Kufsteiner Platz auf Akteure eines missglückten Drogengeschäfts. (Foto: Catherina Hess)

Diana thront also auf dem letzten Rest Gründerzeit-Pracht, der nach 1945 am Kufsteiner Platz übrig geblieben ist, einmal abgesehen vom Haus mit der Apotheke, das aber genau genommen schon an der Kufsteiner Straße liegt. Damit nicht auch ringsum alte Bausubstanz verschwindet - diesmal nicht durch Kriegswunden, sondern durch Immobilienentwickler, die ihre Gewinne maximieren wollen -, fordern die Bogenhauser Stadtviertelvertreter besseren Schutz für den Herzogpark. Wenn es nach ihnen geht, sollen ein Bebauungsplan und eine Gestaltungssatzung den Bauherrn konkrete Vorgaben machen. Nach Ansicht der Stadtverwaltung ist das gar nicht nötig. Der Denkmalstatus biete dem Quartier genügend Schutz.

Diana kann das egal sein. Ihr Domizil steht auch auf der Denkmalliste, der Brunnen ist aber inzwischen ziemlich verwittert. Jetzt im Frühjahr gibt es von da oben aus ziemlich viel zu sehen auf dem Kufsteiner Platz, denn der Herzogpark ist ein Anziehungspunkt für die Münchner Prominenz geblieben. Und das gelbe Haus in ihrem Rücken, das verdeckt ja der Hirsch.

Diana wacht über den Kufsteiner Platz. Der verwitterte Brunnen ist 50 Jahre älter als das Haus des Deutschen Evangelischen Frauenbunds, vor dem er steht. (Foto: Catherina Hess)
© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: