SZ-Serie: 18/18, Folge 2:Vom Luftkurort zur Pendler-Vorstadt

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Fürstenfeldbrucker Kommunalpolitiker wollen an die goldene Zeit des Tourismus vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfen. Damals lockte der Landkreis Münchner durch Landschaft und Ruhe

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Manche Kommunalpolitiker glauben, man müsse bloß Hotels, Wirtshäuser und Museen sowie ein paar Sehenswürdigkeiten und Freizeitanlagen richtig anpreisen, schon würde Fürstenfeldbruck ein Publikumsmagnet. Der Landkreis hat die Stelle eines Tourismusmanagers geschaffen und wirbt im Verbund mit anderen Kreisen aus dem Münchner Umland mit Broschüren und auf Fachmessen. Eine Schwächen-Stärken-Analyse, die der Kreis erstellen ließ, ging 2015 von etwa 265 000 Übernachtungen pro Jahr mit steigender Tendenz aus. Klingt imposant, aber nur auf den ersten Blick.

Denn Fürstenfeldbruck hinkt vielen oberbayerischen Landkreisen weit hinterher. Die Alpenanrainer spielen sowieso in einer höheren Liga, ebenso Erding und Freising wegen des Flughafens. Selbst beim Vergleich mit den Nachbarn schneidet Fürstenfeldbruck schlecht ab. Nach Angaben des Statistischen Landesamts für die Monate Januar bis Oktober 2017 lag Fürstenfeldbruck mit etwa 235 000 Übernachtungen knapp vor Landsberg am Lech, aber klar hinter Dachau und ist gegenüber Starnberg mit 624 000 weit abgeschlagen.

Rodelbahn mit eigenem Fernbahnanschluss: Tausende Münchner kamen vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig an den Wochenenden mit dem Zug zu den Wintersportanlagen am Abhang des Brucker Burgbergs. (Foto: Repro: SZ)

Die goldenen Zeiten des Tourismus in Fürstenfeldbruck werden nicht wiederkehren. Sie basierten auf einer Kombination aus guter Verkehrsanbindung, herausragenden Events, leidlichem Komfort, vor allem aber ländlicher Ruhe und Idylle für gestresste Großstädter. Der Maler Richard Riemerschmid, Mitgründer des Deutschen Werkbundes, besuchte die Gegend in den 1890er-Jahren und ließ sich zu Landschaftsbildern inspirieren, die als Zeugnisse einer Naturlyrik gelten, die den Jugendstil auszeichnete, wie Eva von Seckendorff, Leiterin des Brucker Museums, erklärt.

Die Erfolgsstory begann um 1850. Mit der Eisenbahn kamen die Gäste, mussten aber anfangs in Maisach in den Post-Omnibus umsteigen, eine Pferdekutsche. Denn die Brucker wollten erst keine Trasse für Dampfrösser haben. Die Besucher waren Tagesausflügler und Sommerfrischler, dazu ein paar Maler, die sich dauerhaft niederließen. Sie logierten in Brauereien und Gastwirtschaften sowie privaten Wohnungen. Wohlsituierte Familien rückten mit Dienstpersonal an und blieben in der Regel vier Wochen. Es gab etliche Restaurants und Cafés mit guter Küche, die Biergärten über den Sommerkellern lockten.

Mit einem Schaufelraddampfer konnte man bis 1939 vom Ammersee die Amper aufwärts nach Grafrath fahren. (Foto: Archiv Stangelmaier/J. Simon)

Dank Oskar von Miller hatte Bruck als einer der ersten Orte der Welt seit 1892 elektrisches Licht, dazu fließendes Wasser, die Straßen waren teilweise gepflastert, die Preise moderat. Die Bewohner hätten es sich zur Aufgabe gemacht, "jedem anständigen Fremden mit seltener Urbanität und ächt deutscher Gastfreundschaft, frei von schmutziger Habsucht der Bewohner anderer Kurorte entgegenzukommen", notierte ein Besucher anno 1890.

Zu den Sehenswürdigkeiten zählten die barocke Klosterkirche, die Pfarrkirche St. Magdalena und das Bezirksmuseum mit ein paar archäologischen Funden. Bruck wurde in Reiseführern als Luft- und Badekurort propagiert, mit ozonreicher und staubfreier Luft, ohne Fabrikschlote, umgeben von Wiesen und Wäldern. 1854 lancierte der Magistrat die Gründung eines Verschönerungsvereins, der sich um Spazier- und Radwege sowie Ruhebänke sorgte und das Marketing organisierte. Die Marktgemeinde warb mit der Heilkraft der Amper, obwohl Fäkalien eingeleitet wurden. Ein Bad wurde bei Gicht, Lähmungen, Geschwüren, Neurosen oder Melancholie empfohlen. 1896 richtete der Markt eine öffentliche Badeanstalt ein, dazu 1910 auf einer Insel gegenüber ein Sonnen- und Luftbad, was ebenfalls als Therapie galt. Der Erfolg stellte sich rasch ein: 1905 registrierten die Behörden über 1000 Sommerfrischler, für ein Kaff mit weniger als 4000 Einwohnern beachtlich. Am Pfingstsonntag 1897 wurden etwa 15 000 Besucher auf dem Bahnhof gezählt, überwiegend Ausflügler aus München. Sie spazierten nach Puch zum Denkmal von Kaiser Ludwig dem Bayern oder entlang der Amper zur Sunderburg und zum Jexhof, der mit Räuberpistolen über den bayerischen Hiasl lockte. Die Touristen genossen am Germannsberg ein Alpenpanorama und am Engelsberg einen weiten Blick über das Ampertal. Dort oben stand ein Caféhaus, dahinter in der Senke errichtete die Posthalterfamilie Weiß eine prächtige Gaststätte nahe bei einem Weiher, wo Kähne zu Bootsfahrten einluden. Eine weitere Attraktion war eine Dampferfahrt auf der Amper. 1873 wurde die Bahnstation Grafrath eröffnet. Die Besucher konnten dort die Wallfahrtskirche des heiligen Rasso besichtigen. Von 1880 an pendelte die "Marie Therese", benannt nach der bayerischen Königin, drei Mal am Tag zwischen Grafrath und Stegen am Ammersee. Die "Resl", wegen ihres Tutens auch "Mooskuh" genannt, war ein Schiff mit hohem Kamin und Sonnensegel für das Achterdeck der ersten Klasse. Die Kapazität reichte bald nicht mehr, zwei Kähne wurden angehängt.

In Puchheim richtete der Verein für Aviatik aus München im Moorgebiet einen Flugplatz ein. Zur allerersten Flugschau im Mai 1910 kamen etwa 15 000 Besucher. Bei der letzten Veranstaltung im Frühsommer 1914 beobachteten etwa 50 000 Menschen einen französischen Kunstflieger bei waghalsigen Loopings. Einige Monate später entstand auf dem Gelände eines der größten Lager für kriegsgefangene Russen und Franzosen in Bayern.

Bruck mauserte sich gar zum Wintersportort. Auf dem Nikolausberg entstanden eine Bobbahn, eine Sprungbahn mit Schanze, eine gemütliche Schlittenbahn sowie eine Eisbahn von der Burgruine herunter, deren Kurven mit Brettern erhöht waren. Im Februar 1907 kamen an einem Tag etwa 1200 Besucher aus München und blieben am Abend zur Faschingsparty. Es gab einen Hang für Skianfänger, auf dem Weiher konnte man Schlittschuhlaufen und Eisstockschießen. Im Winter setzte die Bahn Sonderzüge ein, die vor der Station an einer Rodelbahnschranke hielten.

Jahrhundert-Themen im Münchner Umland. SZ-Serie. (Foto: N/A)

Der Erste Weltkrieg beendete das Geschäft, spätere Versuche, an die große Zeit anzuknüpfen, scheiterten. 1928 erwog der Magistrat von Bruck ein Kurhaus für 50 Gäste bauen zu lassen. Die Weltwirtschaftskrise kam dazwischen. Während der NS-Zeit fertigte jemand im Rathaus eine Denkschrift an. Darin wird eine Entwicklung der "Gartenstadt" Bruck als Kurort und Erholungsort "für überarbeitete Menschen" empfohlen. Als Portfolio werden erneut die "Heilkraft des Amperwassers" sowie das Emmeringer Hölzl mit seinem "wildromantischen Charakter" angeführt.

Die "Mooskuh" in Grafrath wurde 1925 verkauft, zwei andere Dampfer fuhren bis zum Kriegsausbruch 1939 auf der Amper. Nach dem Krieg wurde kurz diskutiert, den Betrieb wieder aufzunehmen, aber die Schifffahrt war unrentabel geworden. Urlauber reisten schneller mit der Bahn an den Ammersee. Bruck präsentierte sich als "Amperstadt vor München" oder "Barockkleinod im Ampertal" wegen der Klosterkirche und mit ein paar Tennisplätzen.

Vom Aufschwung des Massentourismus im Wirtschaftswunderland konnte Bruck nicht profitieren. Es gibt weder Seen, Berge oder Schlösser noch attraktive Innenstädte mit alter oder herausragender moderner Architektur oder wenigstens einer Fußgängerzone. In der Amper sollte man wegen Krankheitserregern nicht baden, sagen die Behörden, von der schönen Landschaft ist wenig geblieben. Analysiert man die Übernachtungszahlen, wird man feststellen, dass es sich bei einem großen Teil um Geschäftsreisende handelt. Für die schönsten Wochen des Jahres bucht keiner freiwillig ein Zimmer in den Gewerbegebieten von Bruck oder Gröbenzell.

Das Kloster Fürstenfeld und das gleichnamige Veranstaltungsforum ziehen heute die meisten Besucher im Brucker Land an. (Foto: Johannes Simon)

In der dritten Folge am Donnerstag geht es um die Pulver- und Munitionsfabrik in Dachau.

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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