Streit um angeblichen Deal:Ein Rechtsanwalt auf der Anklagebank

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Der Münchner Verteidiger Stephan Lucas steht vor Gericht, weil er in einem Drogenprozess den BGH belogen haben soll. Doch sind die Richter unvoreingenommen?

H. Holzhaider

Es könnte ein interessanter Prozess werden: ein Rechtsanwalt als Angeklagter, zwei Richter als Zeugen, und ein Gericht, das sich entscheiden muss, wem es glauben soll: den beiden Kollegen oder dem Angeklagten, der ebendiesen als Strafverteidiger ein Jahr lang das Leben schwergemacht hat.

Streit um einen angeblichen Deal: Rechtsanwalt Stephan Lucas. (Foto: Foto: ddp)

Das ist der Vorwurf: Der Münchner Rechtsanwalt Stephan Lucas soll den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe belogen haben, um die Aufhebung eines Urteils gegen seinen Mandanten zu erreichen. Es geht um ein Gespräch, das der Anwalt während eines Drogenprozesses mit dem Vorsitzenden Richter der 3. Strafkammer am Landgericht Augsburg, Karl-Heinz Haeusler, und seinem Beisitzer Johannes Ballis geführt hat, um Möglichkeiten für eine Absprache, einen "Deal", auszuloten.

Dass dieses Gespräch stattgefunden hat, ist unstreitig; über seinen Inhalt aber gehen die Darstellungen auseinander. Rechtsanwalt Lucas sagt, die beiden Richter hätten ihm eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als fünf Jahren in Aussicht gestellt. Die Richter Ballis und Haeusler bestreiten das.

Warum aber sollte dieser Umstand zu einem Strafverfahren gegen den Rechtsanwalt führen? Diese Frage führt tief hinein in die aktuelle Debatte über Absprachen im Strafprozess. Gerade hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) im Kabinett einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zu klaren Verfahrensregeln für einen Deal führen soll. "Absprachen" sollen danach nur noch in öffentlicher Hauptverhandlung stattfinden, und sie sollen in jedem Stadium penibel dokumentiert werden.

Wäre das jetzt schon Gesetz - es hätte dem Rechtsanwalt Lucas eine Menge Ärger erspart. Sein Mandant war wegen Drogenhandels in 26 Fällen angeklagt; insgesamt sollte er rund 130 Kilo Marihuana verkauft haben. Mit einer Freiheitsstrafe von unter fünf Jahren wäre der Angeklagte gut bedient gewesen, meint Lucas.

Aber der in Aussicht gestellte Deal sei daran gescheitert, dass der Mandant zu keinem Geständnis bereit war. Also musste "streitig" verhandelt werden, und Lucas, der in der Rolle eines Staatsanwalts in einer Fernseh-Gerichtsshow eine gewisse Popularität erlangt hat, tat das in solchem Ausmaß, dass die Stimmung im Gerichtssaal außerordentlich angespannt war.

Mehr als ein Jahr lang wurde verhandelt, schließlich wurde der Angeklagte zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Ein hartes Urteil, wenn man bedenkt, dass von den 26 Fällen und den angeblich 130 Kilo Marihuana nur sechs Fälle mit insgesamt 25 Kilo bewiesen werden konnten.

Lesen Sie weiter, ob Stephan Lucas in Augsburg mit unvoreingenommenen Richtern rechnen kann.

Natürlich legte Lucas Revision gegen das Urteil ein. Unter den zahlreichen Gründen, die er auf 77 Seiten darlegte, war einer die "eklatante Diskrepanz" zwischen der im Falle eines Geständnisses in Aussicht gestellten vergleichsweise milden Strafe und dem letztlich - ohne Geständnis - ergangenen Urteil.

Man nennt das in Juristenkreisen neuerdings die "Sanktionsschere", und der BGH hat schon einmal ein Urteil aufgehoben, weil die "Sanktionsschere" zu weit auseinanderklaffte. Ein Gericht, entschied der BGH, dürfe nicht mit überhöhter Strafe drohen, um einen Angeklagten zu einem verfahrenskürzenden Geständnis zu drängen.

Die von dem Rechtsanwalt Lucas angestrengte Revision hätte also zumindest in diesem Punkt durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn nicht die beteiligten Richter der Darstellung des Anwalts entschieden widersprochen hätten. Sie hätten überhaupt nichts in Aussicht gestellt, versicherten sie in einer dienstlichen Erklärung. Der Anwalt Lucas habe lediglich "Hypothesen aufgestellt", wie die Strafvollstreckung für seinen Mandanten ablaufen könne, falls er zu weniger als fünf Jahren verurteilt werde. Es gab also in diesem Punkt zwei sich widersprechende Darstellungen.

Die Richter des 1. Strafsenats aber wiesen die Revision nicht nur ab, sondern fügten ihrer Entscheidung die Bemerkung an, der Senat müsse "mit Befremden zur Kenntnis nehmen, dass er mit unwahren Vorbringungen konfrontiert wurde", womit unmissverständlich der Rechtsanwalt Lucas gemeint war. Ohne irgendein weiteres Beweismittel legten sich die Bundesrichter also darauf fest, der Anwalt habe gelogen, die Berufsrichter dagegen hätten die Wahrheit gesagt.

Der Augsburger Staatsanwaltschaft genügte dieser Hinweis, um gegen Lucas Anklage wegen Strafvereitelung zu erheben. Damit nicht genug - der Augsburger Landgerichtspräsident Frank Arloth wandte sich an die Münchner Rechtsanwaltskammer mit der Anregung, sie möge doch "geeignete Maßnahmen" gegen Lucas ergreifen. Am Landgericht Augsburg ordnete eine Amtsrichterin einem von Lucas verteidigten Angeklagten aus "Fürsorge" einen weiteren Pflichtverteidiger bei - für den Fall, dass gegen Lucas ein Berufsverbot verhängt würde.

Ob Stephan Lucas unter diesen Umständen in Augsburg mit unvoreingenommenen Richtern rechnen kann, erscheint zumindest fraglich. Ursprünglich war die Anklage gegen Lucas ausgerechnet der Strafkammer zugewiesen worden, deren Vorsitzender Richter Karl-Heinz Haeusler einer der beiden Belastungszeuge wäre. Erst nach einem Ablehnungsantrag durch Lucas' Verteidiger kam die Staatsanwaltschaft zu der Erkenntnis, dass Karl-Heinz Haeusler als Richter in diesem Fall wohl nicht in Frage kommt.

© SZ vom 10.02.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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