Stream-Kritik:Fanal und Trost

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Momente von Hymnus und Intimität: die Sopranistin Diana Damrau und der Dirigent Asher Fisch. (Foto: Wilfried Hösl)

Leider nur im Netz: die "Montagsstücke" der Bayerischen Staatsoper

Von Egbert Tholl, München

Vielleicht kann man ja behaupten, dass es am Montag Abend wenigstens für eine gute Stunde einigen Menschen besser geht. Seit Beginn dieses tristen Monats kann man auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper die "Montagsstücke" anschauen. Das ist wie Fernsehen, nur im Internet, also ein Livestream, man braucht dafür nichts außer einem Computer und die richtige Uhrzeit (20.15 Uhr); guckt man live, kostet es nichts, guckt man ein paar Tage später, muss man per Video-on-demand ein paar Euro dafür zahlen.

Also immer montags. Die erste Folge der Reihe war eine Reprise: Nikolaus Bachler las aus Philip Roths Roman "Jedermann", Michael Nagy sang Frank Martins "Jedermann-Monologe", Sophie Raynaud begleitete ihn am Klavier. Das haben sie schon einmal gemacht, Anfang Juni, damals vor immerhin 50 Zuschauern, was für tolle Zeiten waren das. Jetzt ist niemand da, Bachler sitzt im Licht eines fahlen Spots ganz allein im Parkett, liest die neuzeitliche Paraphrase vom eher beiläufigen Sterben eines Mannes, der durch sein eigenes und das Leben anderer Menschen treibt, oben auf der Bühne wiederholt Nagy die faszinierende Theatralität seines einstigen Auftritts, Raynaud begleitet hingebungsvoll.

Der Staatsoper gelingt das Kunststück, hier Trost und Fanal gleichermaßen zu produzieren. Es ist sehr hübsch, im Internet etwas vorgelesen zu kriegen. Und gleichzeitig ist da der Schrei der Leere des sanft beleuchteten Zuschauerraums. Es wäre ein Leichtes, diesen auszublenden, die Kamera nur auf die Vortragenden zu konzentrieren. Aber das hieße auch, die Realität, die Trostlosigkeit auszublenden, mit der die Kunst gerade zu kämpfen hat. Diese Ambivalenz zieht sich durch alle der drei bislang vorhandenen Montagsfolgen.

In der zweiten, "Ballo Barocco", macht die Spielfreude, macht das unmittelbare Miteinander des Musizierens die Tristesse partiell vergessen. Elf Musikanten, zwei Sängerinnen, zwei Sänger, Monteverdi und Purcell - durchaus ein kleines Fest. Wenn auch ohne Gäste.

Die aktuelle Folge ist Richard Strauss gewidmet, die Kamera fährt an den Reliefs der Ränge entlang, an den erschreckensgroß aufgerissenen Mündern der Masken. In der technischen Perfektion der Darbietung und der Übertragung wirkt Strauss' Instrumentalmusik, etwa das erste Hornkonzert mit Johannes Dengler als Solist, wie ein hochpoliertes Fundstück aus einer fernen Zeit. Das Staatsorchester trägt Frack oder Abendkleid, der Dirigent Asher Fisch lässt keinen Zweifel an der Kompromisslosigkeit des Auftritts, aber das Fehlen von jeder Reaktion, von jedem Applaus macht das Ganze gespenstisch. Dann singen Diana Damrau und Klaus Florian Vogt ausgewählte Strauss-Lieder, kommen einen als Menschen nah, verführen mit Intimität und auch hymnischen Ton. Verhallt der letzte herrliche Ton in der Leere, ergreift einen Einsamkeit.

© SZ vom 19.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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