Straßennamen:Aufs Schild gehoben

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Stadtteilhistoriker Reinhard Bauer möchte die Lebensgeschichte derer, nach denen Straßen in Feldmoching und im Hasenbergl benannt sind, deutlich werden lassen. Viele von ihnen sind Opfer des NS-Regimes

Von Simon Schramm, Feldmoching

Zum Beispiel Wilhelm Olschewski. Der Mann war Offizier im Ersten Weltkrieg und in den Zwanzigerjahren Geschäftsführer der Münchner KPD. Nach der Internierung im Konzentrationslager Dachau gründete er 1939 mit seinem Sohn Wilhelm junior und Hans Hartwimmer die Hartwimmer-Olschewski-Gruppe - eine Widerstandsgruppe, die Sabotage-Aktionen gegen das NS-Regime plante, welche aber nicht mehr realisiert wurden. 1942 verhaftete die Gestapo Mitglieder der Gruppe, in der Untersuchungshaft wurde der Senior ermordet, Sohn Wilhelm wurde vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.

Die Familie Olschewski und ihr Widerstand gegen das NS-Regime sind nicht jedem Münchner bekannt. Vielleicht sogar nicht einmal den Anwohnern des Olschewski-Bogen selbst, einer Straße in der Lerchenau. Reinhard Bauer möchte das ändern. Denn es gibt, wie der Stadtteilhistoriker entdeckt hat, im 24. Stadtbezirk ziemlich viele Straßen, die nach Personen benannt sind, die zur Zeit des NS-Regimes verfolgt wurden oder Widerstand leisteten. Grund dafür, vermutet Bauer, sind die vielen Neubaugebiete im Bezirk, deren Straßenzüge eben neu benannt werden mussten - und das nach bedeutenden Persönlichkeiten. "Mehr als neunzig Prozent der Namen, nach denen Straßen im Bezirk benannt sind, kennen viele nicht, was schade ist", sagt Reinhard Bauer, denn: "Es sind durchaus Vorbilder, bei denen es sich lohnt, sich mit ihnen zu beschäftigen und zu identifizieren." Sein Anliegen ist es, die Person hinter dem Schild und deren Geschichte zu erzählen. In einer Ausstellung stellt er mehr als 40 der Zeitzeugen vor.

"Straßennamen sind Transportmittel für politisches und zeitgeschichtliches Bewusstsein", sagt Bauer, "und ein Ausdruck von Ehrung". Auf Ausstellungstafeln gibt er einen biografischen Überblick über die einzelnen Menschen, zum Beispiel über die Lehrerin und NS-Gegnerin Antonie Pfülf, nach der eine Straße und eine Schule benannt sind, oder Otto und Anne Reinach, Münchner Juden, die von den Nazis ermordet wurden. Die Idee zur Ausstellung hatte Bauer auch, weil er auf Stadtteilführungen durch die Lerchenau eine Frage immer wieder beantworten musste: "Gab es hier eine Adolf-Hitler-Straße?"

Plädoyer für eine gewaltlose Kapitulation

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(Foto: N/A)

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gründeten einige Widerstandskämpfer die "Freiheitsaktion Bayern". In Rundfunksendungen riefen sie zu einer gewaltlosen Kapitulation auf und wehrten sich gegen die Vorgabe der SS, bis zum letzten Zeitpunkt zu kämpfen. Diese Aktion begrüßte der Arzt Harald Dohrn (Foto: Wikipedia), nach dem eine Straße im Hasenbergl benannt ist. Der Münchner übernahm 1912 die Leitung des Festspielhauses Hellerau bei Dresden, musste das Gelände 1938 an die Nazis veräußern und gründete 1941 in Bad Wiessee dann eine physiotherapeutische Praxis. Seine Stieftochter heiratete 1941 das "Weiße-Rose"-Mitglied Christoph Probst. Ein Denunziant verriet Harald Dohrns schließlich; die SS ermordete Dohrn daraufhin im Perlacher Forst. Die katholische Kirche hat den Konvertiten Harald Dohrn als Glaubenszeugen in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen.

In Gestapo-Haft für die Meinungsfreiheit

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(Foto: FRS)

Im Neubaugebiet in der Fasanerie-Nord, vergangenes Jahr fertiggestellt, ist eine Straße nach dem Geistlichen Michael Höck (Foto: privat) benannt. 1934 wurde der katholische Gelehrte Schriftleiter der Münchner Katholischen Kirchenzeitung. In dieser Funktion geriet Höck in Konflikte mit der Gestapo und der Reichsschrifttumskammer in Berlin. Die Zeitung wurde 1940 verboten, Höck wohnte und arbeitete als Seelsorger in der Fasanerie-Nord. Die Gestapo verhaftete Höck 1941 während des Religionsunterrichts in einer Feldmochinger Schule. Er wurde zunächst im KZ Oranienburg und danach in das KZ Dachau als Sonderhäftling interniert. Obwohl die Stadt im vergangenen Jahr die Vorgabe gemacht hatte,bei der Neubenennung von Straßen öfter Frauennamen auszuwählen, hatte sich der Bezirksausschuss letztlich dann ausdrücklich für die Straßenbezeichnung "Prälat-Höck-Bogen" ausgesprochen.

Die Antwort lautet: Ja. Mitte der Dreißigerjahre legten die Nazis eine neue Siedlung an, die heute in etwa den Osten der Lerchenau darstellt. Die Bezeichnung einer Straße als Ehrung nutzten die Nazis natürlich auch als Mittel zur Propaganda, als Mittel, um "omnipräsent zu sein", so Bauer. Darum hätten die Nationalsozialisten alle Straßennetze in Deutschland nach jüdischen Namen durchforstet und die Straßen umbenannt. Bauer behandelt in der Ausstellung auch den Hintergrund einiger Straßen in der Fasanerie-Nord, der nach seiner Einschätzung bisher in der Stadtteilgeschichte noch nicht ausführlich behandelt wurde. Rund um den Bahnhof gründeten die Nazis Mitte der Dreißigerjahre eine Siedlung für verdienstvolle Parteimitglieder.

Die Schwabenspiegelstraße zum Beispiel hieß bis zur Umbenennung 1945 Reichsschatzmeister-Schwarz-Straße, benannt nach einem Vertrauten Hitlers, der SS-Oberstgruppenführer war. Auch eine neue Erkenntnis für Reinhard Bauer: Zwischen der heutigen Ebereschen- und Schleißheimer Straße benannten die Nazis Straßen im Andenken an den Sieg von Arminius dem Cherusker in der Varusschlacht: Die Cherusker- und Lippstraße wurden geändert, die Detmoldstraße, bezeichnet nach der Residenzstadt, gibt es noch. Kurz nach dem Krieg ordneten die Alliierten an, die Straßentitel zu ändern, zunächst mit Begriffen aus der Pflanzenwelt; es ging ihnen um Entpolitisierung.

Straßennamen entstanden früher auf "natürliche" Weise, meint Reinhard Bauer - "ad munichen, bei den Mönchen", erklärt er beispielsweise. Bürgerliche Namen führten die Monarchen Anfang des 19. Jahrhundert ein; der erste nach einem Bürger benannte Ort ist laut Bauer der Stiglmaierplatz, benannt nach dem Erzgießer Johann Baptist Stiglmaier. Im Hasenbergl sind viele Straßen nach Bergsteigern oder Bergsteig-Literaten benannt - wegen des "-bergl", sagt Bauer.

Blick zurück: Reinhard Bauer geht es um die Geschichte der Namen. (Foto: Stephan Rumpf)

Nun hat der Stadtrat beschlossen, alle Straßennamen in München auf historische Belastung zu untersuchen. Reinhard Bauer hält es für unwahrscheinlich, dass im 24. Stadtbezirk noch strittige Namen geändert werden müssen. Und das ehemalige Stadtratsmitglied hält es für wichtig, in die Diskussion auch den Faktor der Abwägung einzubeziehen: "Wenn in einer Straße 2000 Menschen wohnen, dann müssen sie alle ihre Adresse ändern, das ist mit hohen Kosten verbunden."

Die Ausstellung ist bis 15. Februar 2017 im Kulturhistorischen Verein Feldmoching, Josef-Frankl-Straße 55, zu sehen; samstags von 14 bis 17 Uhr, im Juli auch sonntags. Reinhard Bauer wird durch die Ausstellung führen - am Donnerstag, 23. Juni, und am Dienstag, 28. Juni. Anmeldung und Terminvereinbarungen unter Telefon 351 42 81.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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