Würde man die stimmungsvollen Reisebilder und die gekonnt verwackelten Nachtaufnahmen von Wolfgang Taschner zu heute üblichen Formaten aufblasen und auf schickes Alu-Dibond aufziehen, sie könnten sich auf dem Marktplatz der fotografischen Eitelkeiten durchaus behaupten. "Aber genau das wollte ich nicht", sagt der Reisejournalist und Fotograf Taschner, der seiner aktuellen Ausstellung im Rathaus Steinebach den Titel "Wo ist meine Brille?" gegeben hat.
Nach der Brille möchte der Ausstellungsbesucher - und vielleicht in den nächsten Wochen auch der ganz normale Rathausbesucher - gleich im Foyer greifen, denn dort hängt eine ganze Reihe von kleinen Bildern, auf denen zunächst nichts als ein paar verhuschte Farbspuren auf dunklem Grund zu erkennen ist. Hat da jemand mit einer wirklich sehr schlechten Kamera versucht, das Silvesterfeuerwerk zu dokumentieren? Oder hat er einfach nur zufällig auf den Auslöser gedrückt? Man muss nun sehr nahe rangehen oder wahlweise die Lesebrille aufsetzen, jedenfalls genau hinschauen, um diese kleinen Bildgeschichten zu entschlüsseln und womöglich die ihnen innewohnende bezaubernde Poesie zu entdecken.
Tatsächlich fotografiert Taschner mit einer sehr schlechten Handykamera, und tatsächlich sind diese Bilder mehr oder weniger Zufallsprodukte, die durch eine Kamerabewegung während des Auslösens noch zusätzlich "verschlechtert" werden. Und dann druckt er das Ganze in einem Format aus, das in etwa der Bildschirmgröße eines neueren Smartphones entspricht - mit dem Unterschied freilich, dass man das Bild an der Stellwand nicht größer ziehen oder gar wegwischen kann, wenn es einen nicht laut genug anschreit. Aber, wie gesagt, die Fotos haben durchaus etwas zu bieten: einen Blick in die Tiefe der Altararchitektur im Dießener Marienmünster, der einem Blick direkt in den Himmel gleichkommt. Oder die mattblau schimmernde Allianz-Arena, die wie ein riesenhaftes Tier neben der Autobahn schläft. Oder einfach ein Verwirrspiel aus tanzenden Lichtern und Spiegelungen.
Überhaupt hat Taschner eine Vorliebe fürs Spielerische: Im ersten Stock hat er Fotos mit Blütenmotiven in einen Blumenkasten gepflanzt. Die Bilder aus Ibiza formen in ihrem Rahmen ein "I" und die Motive aus Hawaii ein "H". Fotos von einer Bergtour sind so arrangiert, dass sie zusammen einen spitzen Gipfel ergeben. Kaum eines der gezeigten Fotos ist größer als eine Postkarte, die meisten haben Formate wie in einem Fotoalbum aus den Siebzigerjahren. Für Taschner geht es weniger um das einzelne Motiv, sondern mehr um die Gesamtwirkung seiner Collagen. Wieder muss der Betrachter genau hinschauen und am besten seine Brille aufsetzen. Erst ganz am Ende der Ausstellung wird er mit einem Spaziergang durch einen Olivenhain auf Mallorca und einer Strandwanderung auf Lanzarote belohnt, beides lässt sich dank größerer Bildformate auch ohne Blinzeln und ohne Brille erleben.
Wolfgang Taschner arbeitete als Chefredakteur verschiedener IT-Zeitschriften, er ist außerdem Autor von etwa sechzig Reise- und Wanderbüchern. Seit 25 Jahren lebt er in Wörthsee, mittlerweile im Ruhestand. Gestochen scharfe Hochglanzbilder und professionelle Bildbearbeitung waren einst sein berufliches Alltagsgeschäft, jetzt erlaubt er sich den Luxus, mit Bildern zu spielen. Den Ausstellungstitel "Wo ist meine Brille?" darf man wohl durchaus als Witz verstehen. Ein bisschen besseres Licht für die Bilder wäre dennoch wünschenswert, zumal die Gemeinde allein für das laufende Jahr acht weitere Ausstellungen im Rathaus angekündigt hat.
Die Ausstellung "Wo ist meine Brille?" von Wolfgang Taschner ist noch bis zum 24. Januar zu den üblichen Öffnungszeiten des Rathauses zu sehen.