Wörthsee:Pizza und Pommes bis zum Abendrot

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Für Il Kiosko-Pächter Gene Aurigemmma und sein Team sind die Tage am Seeufer im Sommer lang. Stammgäste begrüßt der Wirt mit Küsschen, für alle anderen hat er gern einen lockeren Spruch parat

Von Christine Setzwein, Wörthsee

Noch hat der Wörthsee seine Ruhe an diesem Ferienmorgen. Kein Schwimmer teilt das Wasser, kein Stand-up-Paddler gleitet dahin. Kein Mensch zu sehen am Badeplatz Birkenweg in Steinebach. Stimmt nicht ganz, einer ist schon da. Generoso Aurigemma ist längst auf den Beinen. In dem kleinen Laden auf dem Campingplatz Pilsensee, den er mit seiner Frau Franca betreibt, hat er Brot und Croissants geholt; jetzt steht er um halb acht in seinem Kiosk am Wörthsee, backt Brezen, Cookies und Sfogliatelle napoletane auf - kleine, sündhaft gute Kalorienbomben aus Blätterteig mit Ricottafüllung. Ein Lkw-Fahrer quält sich den schmalen Weg herunter zum Seeufer. Es ist der Lieferant des Lebensmittel-Großhändlers Rittner, der die bestellte Ware bringt. Der Tag im Il Kiosko kann beginnen.

Nach und nach trudeln die Mitarbeiter ein. Sechs Portugiesen, zwei Rumänen und Eli Ni Nyoman, die aus Indonesien stammt. Dazu hat Aurigemma, der von allen nur "Gene" genannt wird, zahlreiche Aushilfen, vor allem am Wochenende. Eli und Jose Ribeiro gehören zur Kernmannschaft, bleiben auch im Winter angestellt. "Sie sind unser rechter und linker Arm", sagt Aurigemma.

Pizzabäcker Lois Lopes kommt, bindet sich eine Schürze um und fängt an, den Teig zu mischen. Mehl, Hefe, Öl, Salz und Wasser. Abgewogen wird nur die Hefe, die anderen Zutatenmengen hat er im Gefühl. Auch Koch Manuel Rebello ist jetzt da. Gesprochen wird nicht viel, jeder weiß, was er zu tun hat. Der Besteckkasten mit Salz, Pfeffer, Zucker, Ketchup und Majo muss nach draußen getragen werden, ebenso die Handyladestation. Francisco Borges pickt rund um den Kiosk Zigarettenkippen und anderen Müll auf. Tische, Stühle und Bänke werden abgewischt. Auch in der Küche wird emsig vorbereitet. Rebello schneidet Paprika, Zucchini, Auberginen und Pilze für die Antipasti und grillt sie. Die Calamari müssen gesäubert werden. Viele Calamari, denn der Salat mit den kleinen gegrillten Tintenfischen ist eins der Lieblingsgerichte der Gäste. Außer Currywurst Schnitzel, Burger und natürlich Pizza. Und Pommes. Es soll Gäste geben, die nur wegen der Pommes kommen. Sie sind dicker als üblich, dreieckig geschnitten und innen hohl. Wo sie herkommen, will Gene nicht verraten. Aus Belgien? Aus Frankreich? Er lässt sich nicht erweichen.

9.50 Uhr, der erste Gast ist da und bestellt Cappuccino. Die Frau mit Hund bleibt nicht lange alleine. Es werden immer mehr, Radfahrer, Spaziergänger - und Hunde. "Bitte Hunde an die Leine. Danke", steht auf dem Schild am Ufer. Die Herrchen und Frauchen nehmen keinerlei Notiz davon. So tollen die kleinen und großen Vierbeiner auf der Liegewiese herum, markieren die Bäume und freuen sich ihres Hundelebens.

Es ist Mittag, die Terrasse füllt sich, die Küche hat zu tun. Eli sitzt an der Kasse und nimmt die Bestellungen an. Die 36-Jährige ist Balinesin, gelernte Hotelfachfrau, hat in Hotels und Restaurants gearbeitet, bis sie die Liebe nach Steinebach verschlagen hat. Erst einmal musste sie Deutschkurse absolvieren. Niveaustufe A2 war vorgeschrieben für die Aufenthaltsgenehmigung. Sie machte weiter bis B1. Heute spricht sie sogar Deutsch, wenn sie mit ihrer Mutter in Bali telefoniert. "Das fällt mir erst auf, wenn mich Mama unterbricht und sagt, sie versteht mich nicht", erzählt Eli Ni Nyoman. Für die Aurigemmas hat sie schon gejobbt, als diese noch eine Pizzeria in der Hauptstraße hatten. "Sie ist die Seele bei uns", sagt Gene.

Es ist ein kleines Team, das im Il Kiosko auf engem Raum zusammen arbeiten muss. Sie reden italienisch, portugiesisch und deutsch miteinander. "Wir sind wie eine große Familie", sagt Aurigemma. Eine Familie, die funktionieren muss und in der jeder auch auf den anderen schaut. Koch Rebello zum Beispiel macht jeden Mittag Essen für die Crew. Ganz wichtig für das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Denn "dem, der dich füttert, dem hilfst du auch", weiß Aurigemma. Ihm ist es wichtig, "dass die Leute selber denken", dass sie eigenständig handeln, auch wenn er mal nicht da ist. Aber Gene ist fast immer da. Wenn Gäste ihm erzählen, dass sie in Restaurants schlecht bedient worden seien, lautet seine erste Frage. "Und wo war der Chef?" Der Chef muss immer da sein, das ist sein Credo.

Es ist früher Nachmittag, jetzt ist Marius Narcis ein gefragter Mann. Er steht hinter der Kühltheke und schaufelt Kugelweise Eis in Waffeln und Becher. 14 Sorten gibt es meistens im Il Kiosko. Aurigemma bezieht es von der Gelateria Engert in München. Aber Narcis ist nicht nur Eisverkäufer. Aurigemma: "Er ist derjenige, der unser Lager im Kopf hat. Er weiß genau, wo was steht."

Auf dem Weg zum Pilsensee schaut Franca vorbei. Das Ehepaar betreibt neben dem Il Kiosko seit dem vergangenen Jahr auch den Laden und den Kiosk auf dem Campingplatz Pilsensee. Franca ist um 2 Uhr früh aufgestanden, um die Buchhaltung zu machen. Die Löhne müssen ausbezahlt, Bestellungen notiert werden. Die Lagerflächen am Wörthsee und am Pilsensee sind klein, deshalb muss der Nachschub an Lebensmitteln öfter geordert werden.

Seit 1984 sind Franca und Gene Aurigemma Wirte in Steinebach. 2010 übernahmen sie den von der Gemeinde Wörthsee neu gebauten Kiosk. Zunächst lief der Betrieb noch parallel zur Pizzeria. Ein anstrengendes Geschäft, das Gene schließlich ins Krankenhaus brachte. Das Restaurant wurde aufgegeben. Beide sind Seiteneinsteiger. Gene hat Feinmechaniker gelernt, Franca war Friseurin und Kosmetikerin. Aber ums Essen drehte sich bei Gene schon in der Kindheit alles. 1962 in Pasing geboren, wuchs er bei seiner Großmutter in Avellino auf, ein Provinzstädtchen in Kampanien, während seine Eltern in Deutschland arbeiteten. Die Oma hatte einen Hof, auf dem Gemüse angebaut wurde. Alles, was nicht frisch verbraucht wurde, wurde eingemacht, vor allem Tomaten. Da ist die Geschichte mit den Tri Top-Sirupflaschen. Eine deutsche Erfindung, die bald gehortet wurde in Avellino. Der Deckel konnte richtig fest zugeschraubt werden, die eingemachten Sugos blieben in der Flasche. Vor Tri Top war es immer wieder vorgekommen, dass sich Deckel von Gläsern oder Flaschen selbständig machten und die Tomatensoße in der Küche von den Wänden und der Decke tropfte. Ein sorgloses, lustiges Leben im südlichen Italien, mit vielen Cousins und Cousinen, "das war meine schönste Zeit", erinnert sich Gene. Mit sieben Jahren holten ihn die Eltern nach Germering. Ein Kulturschock für den kleinen Italiener, der kein Wort Deutsch konnte.

Es ist mittlerweile Abend geworden. Die Sonne versinkt langsam tiefrot hinter den Baumwipfeln am Ufer gegenüber. Alle Tische sind besetzt. In der Küche des Il Kiosko drängen sich nun sieben Mitarbeiter. Getränke werden eingeschenkt, Salate angerichtet, Calamari gegrillt. Vor dem Pizzaofen herrscht eine Affenhitze. Gespültes Geschirr muss eingeräumt, schmutziges abgewaschen werden. Gene steht draußen an der Essensausgabe, nimmt die Pager entgegen, die den Gästen surrend mitteilen, dass ihre Bestellung fertig ist. Er schneidet Pizzen, stellt die Teller auf Tabletts zusammen, die an einen Tisch gehören. Seitdem er das macht, gibt es an der Ausgabe keine Schlange mehr.

Es kann noch so viel los sein, ein lockerer Spruch geht immer. Stammgäste werden herzlich umarmt, ob Mann oder Frau, da macht der Chef keinen Unterschied. Charmant kann er sein, der Italiener aus Steinebach.

Die Sonne ist untergegangen, die Gäste machen sich langsam auf den Heimweg, und die Crew fängt zu putzen an. Wenn Aurigemma abgerechnet hat, wird nichts mehr ausgeschenkt, dann ist Schluss im Kiosk. Nicht ganz. Jetzt haben die Mitarbeiter Muße zum Essen. Spareribs gibt es, zubereitet von Beikoch Rui Campos. Zeit, sich noch mal auszutauschen, bevor ihr Arbeitstag endet. Erst dann gehen im Il Kiosko am Wörthsee die Lichter aus.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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