Weßling:Mörder und Kobolde

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Heiter bis makaber: Autor Oliver Pötzsch (am schwarzen Pult) zusammen mit (von links) Valentin Schmitt, Veronika Rüfer und Peter Weiß. (Foto: Arlet Ulfers)

Oliver Pötzsch berichtet bei seiner Weßlinger Krimilesung über Dichtung und Wahrheit

Von Blanche Mamer, Weßling

Nicht jeder könnte so offensiv mit seiner Herkunft umgehen wie der Krimiautor Oliver Pötzsch. Drei Jahrhunderte lang waren seine Vorfahren, die Kuisls aus Schongau, Scharfrichter. 14 von ihnen übten den Beruf des Henkers aus, der letzte starb 1807. Wer wäre also prädestinierter, historische Kriminalromane mit einer Henkerstochter als Hauptfigur zu schreiben?, findet Pötzsch. Nicht, dass es Erinnerungen gäbe, Aufzeichnungen oder eine Familienchronik. Die Verwandtschaftsverhältnisse waren einfach klar. Seine Oma, die vor einem Jahr gestorben ist, teilte die Kinder ein in "Kuisl", und " koa Kuisl", erzählt der Autor, der in Hechendorf aufgewachsen ist, bei einer Lesung im Pfarrstadel in Weßling. Seiner Tochter habe sie ein "Kuisl G'schau" attestiert.

Gleich die erste Geschichte mit der Henkerstochter Magdalena (2008) hatte jedenfalls so großen Erfolg, dass sich Pötzsch neue Fälle ausdachte. "Die Henkerstochter und das Spiel des Todes" ist bereits der sechste Roman der Reihe, ob des großen Erfolges, Lesereisen ins Ausland und Übersetzungen in 23 Sprachen, ist ein Ende nicht in Sicht. Auch bei der Autorenerzählung wie er den Abend nennt, legt er Wert auf Vertraute: Es liest sein Freund, der Schauspieler und ehemaliger BR-Kollege Peter Weiß aus Weßling. Der Musiker Valentin Schmitt, der mit seiner Gambe zur gruseligen Stimmung beisteuert, war Pötzschs Musiklehrer am Gilchinger Gymnasium, Veronika Rüfer (Gesang und Vihuela) tritt im Duo mit Schmitt auf und ist bei zahlreichen Lesungen dabei. Schon das Entrée mit der schaurig schönen dritten Strophe des Kirchenliedes "Oh Haupt voll Blut und Wunden" verspricht einen schaurigen Abend, ebenso der Bi-Ba-Butzemann in Moll. Der mit einem schwarzen Tuch behangene Tisch mit dem Totenschädel und den zahlreichen Gläschen und Flacons obendrauf und der Tisch mit der roten Samtdecke, einer Riesenkröte und einem Gnom erinnern an ein Hexenkabinett.

Er recherchiere sehr gründlich, sagt Pötzsch. So seien die Henker nicht nur fürs Foltern und Hinrichten zuständig gewesen, sondern hätten sich auch mit Krankheiten, Wunden und Schmerzen ausgekannt und Salben, Tinkturen und Heilmittel zur Hand gehabt. Deswegen hatten sie mächtige Feinde in den Ärzten, die sie öfters der Hexerei bezichtigten. Erst Ende des 18. Jahrhunderts sei es den Medizinern gelungen, den Henkern die Heilerlaubnis zu entziehen, so Pötzsch. Die Mittelchen, die er bereit hält, erinnern indes mehr an eine Spielzeug-Apotheke: das Antischlangengift riecht und schmeckt nach Schokolade, das Allheilmittel Theriak ist ein Kräuterschnaps.

Doch zurück zur Lesung, die Pötzsch immer wieder durch Anekdoten unterbricht: 1670, kurz vor Pfingsten, wird der Christus-Darsteller der Oberammergauer Passionsspiele tot aufgefunden. Er ist nach den Proben auf dem Friedhof gekreuzigt worden. 1633 hatte die Pest auch das Ammertal erreicht, in kürzester Zeit waren 80 Menschen im Dörfchen Oberammergau gestorben, erzählt Pötzsch. Die gläubigen Dörfler flehten zu Gott, und die Pest kam nicht zurück. Sie gelobten, alle zehn Jahre die Passion Christi aufzuführen. Es ging den Menschen damals schlecht. Die kleine Eiszeit brachte lange eisige Winter und kühle regenreiche Sommer. Er habe die Chronik des Pfarrers Joseph Alois Daisenberger, der von 1854 bis 1883 in Oberammergau tätig war, gründlich gelesen, so Pötzsch.

Weiß liest die ersten Seiten mit viel Pathos. Jeder verdächtigt jeden. Der Schongauer Henker Jakob Kuisl und sein Schwiegersohn, der Bader Simon Fronwieser, die sich privat in Oberammergau aufhalten, werden gebeten, bei der Aufklärung des Todesfalls zu helfen. Doch die Fremden stoßen auf Schweigen. Als ein zweiter Mord geschieht - diesmal stirbt ein Apostel-Darsteller - glauben die Dorfbewohner an eine Strafe Gottes und bleiben erst recht stumm. Doch dann kommt Kuisls Tochter Magdalena, und es findet sich eine Spur. Die führt sie tief ins Gebirge. "Es geht in diesem Roman auch um Fremdenhass. Ich habe die Geschichte geschrieben, als die Flüchtlingswelle anfing hochzukochen. Hass auf Fremde gab es immer wieder", so Pötzsch. Die "Venediger Mandl" etwa habe es wirklich gegeben: kleine italienische Männer, die als Mineraliensucher kamen, seltsam sprachen und auf die man alles Böse projizieren konnte. "Sie suchten nach Kobalt, einem Erz, das man für die Herstellung von Murano-Glas benötigte. Diese 'Kobolde' buddelten Stollen in die Berge, waren dreckig, trugen seltsame lange Mützen und vieles, was wir Zwergen und Gnomen zuordnen, kommt daher." So lehrreich kann Fiktion sein!

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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