Weßling:Leben ohne Herd und Kühlschrank

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Der 84-jährige Viktor Ziegler wohnt neben der Weßlinger Leichenhalle und hat weniger als 500 Euro Rente zur Verfügung

Von Blanche Mamer, Weßling

Ein alter Mann wohnt auf dem Friedhof, im gemeindeeigenen Leichenhaus. Das kann nicht wahr sein, ist die erste Reaktion. Ist es aber: Der 84-jährige Viktor Ziegler (Name geändert), gehbehindert, herzkrank und fast blind, lebt von weniger als 500 Euro Rente und wohnt in einem Anbau der Leichenhalle auf dem Friedhof Weßling.

Der Zustand seiner Behausung ist desolat: Fast 20 Jahre lang war das Dach undicht, mit Wissen des Rathauses, wie Ziegler erzählt. All die Zeit habe es reingeregnet, erst vor zwei Jahren sei das Dach repariert worden. Beleuchtet wird sein Zimmer von zwei Glühbirnen, die übrigen Fassungen sind kaputt, aus den zwei Wasserhähnen kommt kaltes Wasser, für das er, wie er sagt, 50 Euro zahlt. Die Miete ist frei, auch die Stromkosten werden von der Gemeinde übernommen. Es gibt keine Kücheneinrichtung, keinen Kühlschrank, keinen Herd, nur einen alten Elektro-Campingkocher. Ein Becher Joghurt steht auf dem Fensterbrett, daneben eine Dose mit Bohnen, ein Glas mit Würstchen, eine Flasche Öl, einige Äpfel und ein Topf mit frischem Basilikum. Ziegler erzählt, er versuche, jeden Tag mit dem Rollator zum Einkaufen zu gehen.

Erst seit knapp zwei Monaten wird er von der Caritas betreut. Das hat die Klinik in Herrsching veranlasst, nachdem er seine Behandlung dort nicht bezahlen konnte. Ein Arzt aus Weßling hatte ihn unentgeltlich behandelt, im Krankenhaus ging das nicht, und so kamen hohe Schulden zusammen. Der Mann ist nämlich nicht krankenversichert. In die Klinik kam er, weil er mit Wasser in der Lunge und in den Beinen "nicht mehr schnaufen und nicht mehr gehen konnte". Ursache war ein unbehandelter Herzinfarkt. Vor drei Jahren war er auf der steilen Holztreppe so schwer gestürzt, so dass er gehbehindert ist und das obere Zimmer nicht mehr benützen kann. Eigentlich bräuchte er eine neue Hüfte, doch daran ist derzeit nicht zu denken.

Schwer haben es alte Menschen, wenn sie wenig Rente erhalten, gerade im Landkreis Starnberg. (Foto: Catherina Hess)

Die Sache mit der Krankenversicherung will sein Betreuer jetzt ändern. Allerdings muss Ziegler die Beiträge selbst zahlen und rutscht somit in die Grundsicherung. Damit beginnen neue Probleme: Der alte Mann will nicht umziehen, er will nur bessere Wohnbedingungen, eine Renovierung, eine bessere Einrichtung. Denn auch die Badewanne ist kaputt und mit Gerümpel vollgestellt, eine Dusche wäre für ihn geeigneter. Bis vor kurzem war auch die Kloschüssel defekt. Telefon, Radio oder Fernseher hat er nicht, Rundfunkgebühren muss er trotzdem zahlen.

Es dauert, bis er sich seine Nöte von der Seele geredet hat. Er wirkt zwar robust, doch es gelingt ihm nicht, die Trauer über sein schweres Los zu verbergen. Er kann gut erzählen, hat deutliche Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in einem Sudeten-Dorf und an den autoritären, ja brutalen Vater, der ihn früh aus dem Haus trieb. Als 14-Jähriger hat Viktor Ziegler die Heimat verlassen, musste sich Arbeit suchen. Er habe Gärtner gelernt, als Hafenarbeiter und Schiffslader gearbeitet, als Hilfsarbeiter auf dem Bau, in insgesamt 23 Stellen. Die Schwerarbeit habe seinen Rücken kaputt gemacht. Zudem sei er auf einem Auge erblindet.

Von Norddeutschland verschlug es ihn nach Augsburg und dann Richtung München, 1994 nach Weßling. Damals zog er in die Mesnerräume im Leichenhaus. Zunächst hat er als selbstständiger Gärtner auf dem Friedhof gearbeitet, Gräber gepflegt, Bäume und Hecken geschnitten und immer das Sterbeglöckchen geläutet. Diesen Dienst habe er erst vor kurzem gekündigt, sagt er.

Auf Anfrage sagte der Weßlinger Bürgermeister Michael Muther, der Mann habe sich nicht helfen lassen. Er habe stur auf jeden Vorschlag reagiert und niemanden in seine Bleibe gelassen, so dass das wahre Ausmaß des schlechten Zustands nicht klar gewesen sei. Unterstützung bekommt Ziegler von einem Weßlinger Gemeinderat und dessen Familie, der er früher beim Haus geholfen hat. Dort darf er duschen und übernachten, wenn es in seinem Gemäuer zu kalt ist, zudem wird seine Wäsche gewaschen. Kürzlich habe der Weßlinger ihm ein gutes gebrauchtes Bett gebracht, einen bequemen Sessel, einen Ofen und Holz zum Heizen, sagt der Betreuer. Es sei geplant, das Zimmer zu entrümpeln und zu renovieren, eine Kücheneinrichtung zu organisieren

Ziegler hätte gern eine Tür am Fuß der Treppe, damit die Hitze des Ofens nicht nach oben wegzieht. Holz und Heizmaterial braucht er und ein neues langes Ofenrohr, denn das alte beginnt zu rosten. Mit einem elektrischen Wasserkocher könnte er sich Tee aufbrühen, auch wenn das Feuer im Ofen aus ist. Ein Teppich wäre schön, weil das Haus fußkalt ist, einen Schrank könnte er ebenfalls gebrauchen und einen Staubsauger. Bisher war er immer genügsam, doch nun würde sich der 84-Jährige freuen über Spenden vom SZ-Adventskalender.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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