Utting:Verdrängte Geschichte der Schande

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Versteckt liegt der jüdische Friedhof im Uttinger Ortsteil Holzhausen. Hier wurden die jüdischen Zwangsarbeiter beerdigt. (Foto: Georgine Treybal)

Studentinnen der LMU in München haben sich mit dem KZ-Außenlager "Kaufering X" in Utting befasst. Außer einem Friedhof und zwei Mahnmalen erinnert nichts an die Stätte, an der viele Menschen qualvoll starben

Von Tabea Braun, Utting

Es fehlt an Informationen: Außer dem kleinen jüdischen Friedhof und zwei Mahnmalen erinnere wenig ans KZ-Außenlager "Kaufering X" in Utting, stellten Susanne Maslanka und Sophie Rathke fest. Weder Informationstafeln noch ausführliche Erläuterungen auf der Internetseite der Gemeinde ließen sich finden. Die beiden Studentinnen der Ludwig-Maximilians-Universität München forschten zusammen mit Kommilitonin Theresa Weiß, ihre ernüchternden Erkenntnisse präsentierten sie am Samstag den Uttingern.

Im 1944 errichteten Außenlager zwischen Utting und Holzhausen waren wohl um die 650 Menschen inhaftiert. Tagsüber leisteten sie in der Uttinger Firma Dyckerhoff & Widmann sowie dem Rüstungsbunker "Weingut II" bei Landsberg Zwangsarbeit. Nachts schliefen sie in den Erdhütten des Lagers. "Das war schlimmer, als gleich getötet zu werden. Sie quälten die Menschen zu Tode, indem sie sie bei Schwerstarbeit verhungern ließen.", schrieb der Überlebende Solly Ganor später in seinem Buch "Das andere Leben". Wie er stammten viele der jüdischen Häftlinge aus Osteuropa, vor allem aus Litauen.

"Wir können nur noch von Leuten erzählen, die überlebt und berichtet haben", weiß Rathke. Es ist ihr wichtig, zumindest diese Erinnerungen zu bewahren - zum Beispiel von Jakob Feinstein aus Litauen: Seine Frau und zwei kleine Kinder wurden 1941 in Kaunas erschossen. Vom KZ Stutthof (bei Danzig) deportierten die Nazis den jüdischen Mitarbeiter einer Bernsteinmanufaktur 1944 an den Ammersee. Feinstein überlebte das KZ und den Todesmarsch. Nach dem Krieg lernte er seine zweite Frau Gertrude kennen. Sie berichtete den drei Studentinnen des Elitestudiengangs Osteuropastudien von den Erzählungen ihres Mannes. Bei einem Besuch im Lager habe er ihr verbogene Drähte über dem Ofen, auf denen sie heimlich Schnecken brieten, gezeigt. Laut Ganor drohten ihnen dafür Schläge. Neben Hunger quälte auch Ungeziefer die Menschen: Vergeblich versuchten sie Läuse auf der Kleidung am Ofen platzen zu lassen. Trotzdem erkrankten viele an Infektionen wie Typhus.

Waren Insassen zu schwach für die Zwangsarbeit, wurden sie ins Krankenlager "Kaufering IV" gebracht. Meist starben sie dort. Andere kamen bei der Arbeit ums Leben, auf der Bunkerbaustelle bei Landsberg waren es wohl bis zu 40 Menschen pro Tag. Dyckerhoff & Widmann, Zulieferer für Beton und -fertigteile, setzte Zwangsarbeiter beim Verlegen von Schienen und gefährlichen Arbeiten in der Kiesgrube ein.

Vom Lager gewusst haben wohl die meisten Uttinger Bürger, schlussfolgerte die Projektgruppe. Täglich liefen Gruppen von Zwangsarbeitern durch den Ort. Doch viele schauten weg oder profitierten gar von den Häftlingen. Andererseits gibt es Berichte, dass vereinzelt Bewohner den Abgemagerten Nahrungsmittel zusteckten. Nach Kriegsende versuchten die Menschen, das Geschehene zu verdrängen. Als das Ehepaar Feinstein nach dem Krieg Utting besuchte, stellte Gertrude Feinstein schockiert fest, dass die Passanten nur sieben Monate nach Räumung des Lagers vorgaben, nichts davon gewusst zu haben. Das Lager geriet in Vergessenheit: Auf dem Gelände entstand ein Wertstoffhof und die heutige Schönbachsiedlung. Der Friedhof, auf dem knapp 30 jüdische Opfer begraben liegen, war lange nur über einen Schrottplatz zugänglich.

Zunächst begannen Privatpersonen in den 60er-Jahren sich mit dem dunklen Kapitel der Ortsgeschichte zu befassen, später kamen Schulprojekte hinzu, die evangelische Gemeinde organisierte Schweigemärsche. Ein Mahnmal an der Holzhauserstraße gedenkt seit 2005 den Todesmärschen, bei denen die Uttinger Häftlinge im April 1945 erst nach Dachau und dann in Richtung Süden getrieben wurden. Nahe Bad Tölz befreite die US-Armee die wenigen Überlebenden. Auf dem ehemaligen Werksgelände von Dyckerhoff & Widmann enthüllte die Gemeinde erst 2011 drei Steinstehlen zum Gedenken an die Opfer der Zwangsarbeit.

Ausführliche Ergebnisse des LMU-Projektteams finden sich unter www.muenchner-leerstellen.de

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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