Tutzing:"Ursula, Politik ist unweiblich"

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Veränderungen sind schwierig und gehen langsam - vor allem in der CSU. Das weiß Ursula Männle aus eigener Erfahrung. Als Abgeordnete hat sie sich stets für mehr Frauen in der Politik eingesetzt. Und auch als erste Chefin der Hanns-Seidel-Stiftung bleibt die Tutzingerin dieser Prämisse treu

Interview von Christine Setzwein, Tutzing

Ein paar Tage hatte Ursula Männle Urlaub. Daheim in Tutzing hat sie nicht nur das schöne Sommerwetter genossen, auch Fensterputzen und Kochen gehörten zu den Beschäftigungen, die die 71-Jährige gern macht. Für sie sind sie Ausgleich zu den vielen Reisen und Terminen, die sie als Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung wahrnehmen muss. Aber viel daheim war Männle auch früher nicht. Schließlich war sie unter anderem Landesvorsitzende der Frauen Union, Bundes- und Landtagsabgeordnete, Ministerin für Bundesangelegenheiten. Bis 2009 arbeitete sie als Professorin an der Katholischen Stiftungsfachschule für Sozialwesen in Benediktbeuern. Seit Beginn ihrer politischen Tätigkeit setzt sich Männle für Frauen ein. Dafür hat sie jetzt den Ellen-Ammann-Preis erhalten.

SZ: Mit welcher Frau beschäftigen Sie sich gerade?

Ursula Männle: Ich bin am Überlegen, wie man die Frauen, die in der CSU Verantwortung hatten, besser ins Bewusstsein bringen kann. Da hab' ich mich mit Mathilde Berghofer-Weichner, aber vor allem mit Maria Probst beschäftigt.

Was gefällt Ihnen an ihr?

Sie ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Sie war eine der ersten Landtagsabgeordneten und die erste Direktabgeordnete der CSU im Bundestag. Sie hat auch sehr stark im sozialpolitischen Bereich gearbeitet. In der Bevölkerung hieß sie Maria-Hilf, bei den Beamten Maria-Heimsuchung. Sie war die erste Vorsitzende der Europäischen Frauenunion. Berghofer-Weichner liegt mir natürlich besonders am Herzen. Die jungen Frauen heute wissen gar nicht mehr, was früher andere unter schwierigen Bedingungen durchgesetzt haben. Das sollte nicht in Vergessenheit geraten.

Sie haben gleich nach dem Abitur 1964 Politik studiert. Wie kamen Sie darauf?

Zunächst habe ich im Hauptfach Soziologie studiert. Ausschlaggebend dafür war schon meine Schulzeit, und ich war stark von meinem Elternhaus geprägt. Meine Eltern waren sehr in der katholischen Kirche engagiert und wollten von Hitler nichts wissen. Wir haben uns auch in der Schule mit dem Dritten Reich beschäftigt, ich habe immer politische Aufsätze geschrieben. Ich erinnere mich gut an den Satz von Schwester Columba: Ursula, Politik ist unweiblich.

Trotzdem haben Sie Politik studiert und sind auch gleich in die CSU eingetreten.

Das war sicher auch eine Trotzreaktion auf Schwester Columba. Ich hatte mich damals um ein Stipendium bei der Konrad-Adenauer-Stiftung beworben. Dafür brauchte ich ein Gutachten von der Uni. Ich war ein Fan von Adenauer und von da an abgestempelt. Da bin ich auf Politikwissenschaft umgeschwenkt, und es war für mich damals keine Frage, dass ich als Mitglied der Jungen Union auch in der Studentenpolitik aktiv wurde - schließlich waren die berühmten 68er Jahre. Es wurde aber später eine Frage für mich, 1969, als die Willy-Welle aufkam. Da habe ich sehr stark nachgedacht, alle meine Bekannten und Freunde standen auf der anderen Seite. Ich bin geblieben.

Die CSU ist nicht gerade bekannt dafür, Frauen zu fördern, ist immer noch eher ein Männerklub. Wie sehr stört Sie das?

Als ich anfing, lag der Frauenanteil bei acht Prozent, jetzt sind wir bei guten 20. Es geht also nach oben, wenn auch im Schneckentempo. Natürlich habe ich versucht, zu mobilisieren, aber zunächst mussten sich die Frauen organisieren. Die Frauen Union war lange nicht in allen Kreisverbänden vertreten. Ich brauchte eine gute Basis, um Einfluss zu gewinnen. Wenn sie was erreichen wollen, brauchen sie ein gewisses Druckpotenzial. Es war ein langer Kampf, dass Frauen überhaupt in Führungspositionen kamen. Es gab ja nur Reservate für Frauen. Man hat uns toleriert, als notwendiges "Übel".

Haben Sie viele Absagen kassiert, nur weil Sie eine Frau sind?

Ich wollte nach dem Studium in die Entwicklungspolitik gehen. Da wurde ich nicht genommen, weil ich eine Frau und Soziologin und Politologin war. Das war der Grund, warum ich anfing, mich so für die Frauen zu engagieren. In der Politik war die Frau, wenn es um Mandate ging, immer hinten dran, Füllmaterial oder nur schmückendes Beiwerk. 1972 habe ich das erste Mal erfolglos für den Bundestag kandidiert. 1976 war ich immerhin schon 4. Nachrückerin und bin tatsächlich reingekommen. Aber das eine Jahr hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich wusste, dabei möchte ich bleiben. Und ich habe gelernt, dass es ganz wichtig ist, Frauen nachzuziehen. So lange es nur einen Posten gibt, ist es schwierig, da ist man sich gegenseitig Konkurrenz. Wenn es mehr sind, müssen Frauen solidarisch sein. Wenn die Basis breit ist, kann man sich gegenseitig stützen, Leitern aufstellen und hochklettern, und die, die oben sind, können die anderen nachziehen.

Sie waren anfangs aber gegen die Quote.

Ja, ich dachte, wir brauchen sie nicht. Aber wir haben viel diskutiert, auch mit Mathilde Berghofer-Weichner, und haben erkannt: Es geht gar nicht anders. Wir brauchen eine kritische Masse. Und die bekommen wir nur mit der Quotierung. Da haben natürlich auch die moderne Frauenbewegung und die Sozialdemokratinnen geholfen, in deren Schatten sind wir gesegelt.

Wie war das Verhältnis zu den Frauen in den anderen Fraktionen?

Die Zusammenarbeit im Bundestag war viel besser als im Landtag. Ich hatte zum Beispiel ein sehr gutes Verhältnis zu Renate Schmitt, später auch zu Ulla Schmitt, beide SPD, und Waltraud Schoppe von den Grünen, die zeitgleich mit mir frauenpolitische Sprecherinnen waren. Wir haben uns zuerst heimlich, später öffentlich abwechselnd in unseren Büros getroffen und zusammen gefrühstückt. Es war die Zeit, in der es um Frauenthemen ging: Gewalt gegen Frauen, Prostitution, Vergewaltigung in der Ehe, Frauenhäuser, Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Da haben wir gemerkt, dass wir nur was durchsetzen können, wenn die Frauen die Parteigrenzen überwinden. Gerade bei den sexuellen Problematiken haben wir ausgezeichnet zusammengearbeitet, bei der Abtreibungsfrage ist es dann auseinandergedriftet. Im Landtag war ich momentan entsetzt, weil eine ziemlich aggressive Stimmung untereinander herrschte. Was sicher auch daran lag, dass die Frauen der Opposition nie etwas durchsetzen konnten.

Heute sind Sie die erste Frau an der Spitze der Hanns-Seidel-Stiftung und noch vor dem Amtsantritt angeeckt mit der Ankündigung, Sie wollten die starren Strukturen aufweichen. Ganz schön mutig.

Das ist natürlich als Angriff auf diejenigen angesehen worden, die vor mir da waren. Ich merke, Veränderungen sind schwierig und gehen langsam. Aber man muss manchmal überpointiert formulieren, um etwas in Gang zusetzen.

Sie mussten nicht erst 70 werden, um sich was zu trauen. Sie haben auch ihre Partei kritisiert. Hat Ihnen das geschadet?

Ganz sicher 1976, als ich gegen die Abspaltung der CSU von der CDU gestimmt habe. Da dachte ich, jetzt ist es vorbei mit der Politik. Aber ich war immer auch engagiert in meinem Beruf an der Stiftungsfachhochschule, gerade in den politisch nicht so erfolgreichen Jahren. Dass ich 1979 nachrücke, konnte ja niemand voraussehen. Und da hatte ich das große Glück, dass meine Jungfernrede im Bundestag im Fernsehen übertragen wurde: 20 Minuten zur besten Fernsehzeit in einem roten Kleid, das hat mir sehr genutzt für den Wiederaufstieg.

Sie hatten viele politische Ämter inne. Welches war das schönste?

Ich war sehr gerne Bundestagsabgeordnete. Als bayerische Ministerin für Bundesangelegenheiten konnte ich zwar viel machen, war aber nicht so unabhängig. Zwischen 1994 und 98 hatten wir ungefähr 100 zwischen Bundestag und Bundesrat kontroverse Gesetzestexte vorliegen, ich habe nächtelang im Vermittlungsausschuss zugebracht. Das waren harte Jahre, aber wahnsinnig spannende. Als das zu Ende war, habe ich sehr gelitten.

Stoiber hat Sie 1998 entmachtet, und die CSU hat Ihnen bei der Landtagswahl keinen eigenen Wahlkreis gegeben.

Das habe ich als große Ungerechtigkeit empfunden. Das war so ein Schlag in den Magen, da musste ich mich erst langsam wieder aufrappeln. Wenn du Ministerin bist, scharwenzeln alle um dich rum, und plötzlich bis du niemand mehr. Aber dann bin ich 2000 wieder nachgerückt. Ich habe also Erfahrung im Nachrücken. Aber die wirklich spannendsten Jahre waren die zwischen 1990 und 94 nach der Wiedervereinigung. Damals konnte der Bundestag wirklich gestalten.

Sie reisten in den Achtzigerjahren nach Thailand und auf die Philippinen. Seitdem engagieren Sie sich gegen Prostitution und Menschenhandel. Warum?

Ich bin immer schon viel unterwegs gewesen und habe das Leid vieler Frauen kennen gelernt. 1983 haben die Grünen die Thematik im Bundestag aufgegriffen. Ich dachte aber, was ändert dies, weil sie ja nichts durchsetzen konnten. Also mussten wir Frauen aus der Regierungspartei etwas tun. Wir informierten uns vor Ort über die Probleme, waren in allen Etablissements, die es gibt. Es war widerlich. Auf den Philippinen war es fast noch schlimmer. Es ist schon ein Schmuddel-Thema. Wenn ich zurück denke an meine Klosterschule, muss ich heute Wörter aussprechen, die wir damals nicht einmal gedacht haben.

Was haben Sie getan und was erreicht?

In der überparteilichen Frauensolidarität konnten wir was durchsetzen. Wir haben Flugzettel in der jeweiligen Landessprache über die Botschaften verteilen lassen, ein Kontaktnetz aufgebaut, sind im Notizbuch des Bayerischen Rundfunks, bei Mona Lisa und vielen anderen Medien zu Wort gekommen. Dass der Missbrauch von Kindern im Ausland bestraft wird, haben wir gegen den Widerstand der FDP und des Justizministeriums durchgesetzt.

Für Ihr Engagement haben Sie den Ellen-Ammann-Preis erhalten. Ihre schönste Auszeichnung?

Es hat mich sehr gefreut, weil es eine andere Form der Anerkennung ist. Von Frauen für Frauen. Ich konnte natürlich viel machen, weil ich Politikerin war. Sie brauchen Strukturen, müssen Geld locker machen können, brauchen Mehrheiten. Ich habe die Strukturen genutzt. Außerdem ist Ellen Amman eine faszinierende Frau. Sie hat die Bahnhofsmission in München mitbegründet, der Katholische Frauenbund und ein Säkularinstitut sind ihre Gründungen. Dennoch arbeitete sie schon vor mehr als 100 Jahren überkonfessionell. Sie hat die Probleme der Zeit erkannt und angepackt, die erste soziale Frauenfachschule in München aufgebaut. 1923 trug sie dazu bei, dass der Hitler-Putsch in München scheiterte.

Sie haben keine Kinder und spät geheiratet. Haben Sie Karriere gemacht, weil Sie keine Familie hatten, oder wollten Sie keine Familie, um Karriere zu machen?

Ich habe mich an einem Punkt meines Lebens bewusst gegen Heirat und Familie entschieden. Ich war schon immer sehr ehrgeizig. Beruflich etwas zu werden, war für mich sehr wichtig. Das galt auch für die Politik. Mit Kindern hätte ich auf etwas verzichten müssen, was mir viel bedeutete. Ich bereue diese Entscheidung nicht. Aber ich habe versucht zu erreichen, dass Frauen heute diese Entscheidung nicht mehr treffen müssen, dass sie Beruf und Familie vereinbaren können. Und ich glaube, da sind wir einen entscheidenden Schritt vorangekommen.

Aber geheiratet haben Sie schon.

Und das ist sehr schön. Ich hätte nie gedacht, dass eine Heirat eine Beziehung so qualitativ verändert.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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