Tutzing:"Spießrutenlauf" statt Spaziergang

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Tutzinger Gemeinderäte auf Testfahrt mit Rollstuhl und Rollator. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Tutzinger Gemeinderäte mit Rollstuhl und Rollator auf Tour

Von Clara Brügge, Tutzing

Wenn zu hohe Bordsteine, zu tiefe Schlaglöcher und zu huckelige Pflastersteine zu bedrohlichen Hindernissen werden, kann das zwei Ursachen haben. Erste Möglichkeit: Man hat einen feuchtfröhlichen Abend in der Wirtschaft hinter sich. Oder aber: Man ist beim Vorwärtskommen auf Hilfsmittel wie einen Rollstuhl oder einen Rollator angewiesen.

Dass Letzteres problematisch sein kann, wenn man sich einfach nur durch Tutzing bewegen möchte, erfuhren neun Mitglieder des Gemeinderats nun am eigenen Leib: Im Rollstuhl sitzend, auf einen Rollator gestützt oder einen Kinderwagen schiebend begaben sie sich auf einen Rundgang durch die Gemeinde. "Wir wollen einfach mal sehen, wo die Problemstellen liegen", erklärte Bürgermeister Rudolf Krug. Wolfgang Marchner bezeichnete die Aktion als einen "Selbstversuch, der das Bewusstsein fördert", ehe er sich in einen Rollstuhl setzte, um sich die Rampe am Rathauseingang runterschieben zu lassen. Und schon tat sich das erste Problem auf: Der Untergrund ist zu uneben, die Rampe zu schmal. Bevor es zu einem Malheur kommen konnte, sprang Marchner mit den Worten "Na, das ist mir zu gefährlich" aus dem Rollstuhl. Krug sah das Problem woanders liegen: "Herr Marchner ist einfach ein politisches Schwergewicht."

Gehbehinderte Einwohner können natürlich nicht einfach aufspringen - und genau aus diesem Grund sieht der Bürgermeister "Nachholbedarf" in ganz Tutzing. Das findet auch seine Stellvertreterin Elisabeth Dörrenberg, die den Rundgang anlässlich der Umsetzung des Seniorenkonzepts initiierte: "An allen Ampeln und Kreuzungen müssen die Bordsteine abgesenkt werden, langfristig sollten an diesen Stellen Platten den Asphalt ersetzen", mahnte sie. Auch die Ampelphasen seien zu kurz für gehbehinderte Einwohner, die etwas länger bräuchten, um die Straße zu überqueren. Das bekam auch Wolfgang Behrens-Ramberg zu spüren, als er versuchte, bei der Ampel am Gymnasium mit seinem Rollator den rund 15 Zentimeter hohen Bordstein zu überwinden. Normalerweise ist es hier für viele selbstverständlich, einfach einen großen Schritt zu machen. Diesmal half jedoch der Perspektivenwechsel, um zu erkennen, welche Schwierigkeiten Gehbehinderte hier haben. "So habe ich Tutzing wirklich noch nie erlebt", betonte auch Dörrenberg. Doch den Bordstein ganz abzusenken, löse das Problem auch nicht, gab Bernd Pfitzner zu bedenken: Zwar hätte er keine Schwierigkeiten mehr, seinen Kinderwagen auf die andere Straßenseite zu befördern. Aber sehbehinderte Einwohner könnten dann den Gehsteig nicht mehr ertasten. "Hier gibt es konkurrierende Interessen", fasste Stefan Feldhütter zusammen.

Dass aber definitiv etwas unternommen werden müsse, darüber waren sich am Ende alle Gemeinderatsmitglieder einig - nicht zuletzt, weil die Tutzinger den höchsten Altersdurchschnitt im Landkreis haben. "Wir müssen darauf achten, Baumaßnahmen immer seniorengerecht zu gestalten", resümierte Krug. Allerdings, sagte Dörrenberg, werde man nicht sofort "mit dem Bagger anrücken". Dazu fehlten die Mittel im Gemeindeetat. Doch demnächst soll im Umwelt- und Verkehrsausschuss beraten werden, wie man aus einem "Spießrutenlauf" durch Tutzing, wie es Marchner ausdrückte, wieder einen Spaziergang machen kann.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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