Tutzing:Partnerschaft und Politik

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Die Begeisterung der Tutzinger für eine Fahrt nach Balatonkenese hat schwer nachgelassen: Viele wollen nicht in ein Ungarn unter Viktor Orbán. Die Freunde am Plattensee indes freuen sich sehr über die wenigen Gäste

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Fünf Zitherspieler, die inbrünstig die deutsche Nationalhymne zur Begrüßung intonieren, historische Ritterspiele an der mittealterlichen Burg Sümeg, eine Höhlenerkundung per Boot und jede Menge Wein samt Palinka-Schnaps - die ungarischen Gastgeber haben sich für ihre Freunde aus Tutzing wirklich mächtig ins Zeug gelegt. Aus Tutzing hatte sich am Wochenende allerdings nur eine kleine Delegation aus 18 Männern und Frauen auf den Weg an den Plattensee gemacht, um die seit 24 Jahren bestehende Partnerschaft mit Balatonkenese zu untermauern.

Viele aus dem fast 100 Mitglieder starken Freundeskreis hatten diesmal vor der viertägigen Fahrt abgewunken. Sie wollten nicht in ein Ungarn unter Viktor Orbán. Zudem standen am Wochenende mehrere offizielle Veranstaltungen in Tutzing an. So reiste aus dem Gemeinderat einzig Stefanie von Winning (CSU) mit. Sie nahm vor allem ihre Funktion als Vorsitzende des Freundeskreises wahr, der die Kontakte an den Plattensee für ebenso wichtig hält wie die zur französischen Gemeinde Bagnéres.

Beim offiziellen Empfang des ungarischen Bürgermeisters István Törmör für die deutschen Gäste und ihre Gastgeberfamilien demonstrierte von Winning diplomatisches Geschick. Zwischen Gulaschsuppe und gewaltigen Fleischtellern sprach sie von vielen persönlichen Freundschaften, die in den Jahren entstanden sind. Deutschland werde nie den Beitrag vergessen, den Ungarn zur friedlichen Hebung des Eisernen Vorhangs geleistet habe. Derzeit erlebten Europa und die Welt wieder turbulente Zeiten mit Krieg und Terror, die viele in die Flucht trieben. Wie die Probleme zu lösen seien, würde heftig diskutiert. "Kontroverse Diskussionen gehören zur Demokratie und müssen ausgehalten werden", machte die CSU-Politikerin deutlich. Sie hoffe, dass man Europa gemeinsam weiter gestalte. "Wir können im Gespräch bleiben", versicherte von Winning, bevor sie sich mit Gastgeschenken für das umfangreiche Programm und die großzügigen ungarischen Gaben bedankte.

Vor allem private Ausflüge mit den Gastfamilien am Freitag ermöglichten einen intensiven Austausch. Bei einer Stadttour durch die alte, hübsch restaurierte Krönungsstadt Veszprém und ins nachsaisonal verschlafene Lavendeldorf Tihany kam die Rede rasch auf das Referendum. Die einen hatten es befürwortet, "weil wir nach 40 Jahren Kommunismus unsere Ruhe wollen und mit den Roma schon genug Probleme haben", wie eine Gastgeberin sagte. Andere haben aus Protest gar nicht abgestimmt. Im Vordergrund der Gespräche stand aber das Interesse am ganz normalen Alltag des anderen. Dass fast jeder in seiner Garage selbst Schnaps destilliert, ganz legal. Wie gut der Fisch aus dem Plattensee schmeckt. Was die Enkel machen.

Einige von ihnen sind mittlerweile schon aktiv in der Partnerschaft. Etwa die 16-jährige Mia Juhász. Sie war vier Mal mehrere Wochen zum Deutschlernen bei Margit Schubert und Jochen Günther in Tutzing. Ihr Großvater Tibor Juhász freut sich als Vorsitzender des ungarischen Partnerschaftsvereins über dieses Interesse. Denn von Deutsch- oder Englischkenntnissen der Ungarn hängt auch eine tiefer gehende Kommunikation ab. Weil etwa Kati Wabnegger so gut Deutsch spricht, konnte die ehemalige ungarische Rathausmitarbeiterin mit ihrer deutschen Kollegin Liselotte Garke in den 90er Jahren die Partnerschaft festigen. Längst besuchen sich die Damen gegenseitig auch privat. Hubert Hupfauf war nach der Wende treibende Kraft für eine Partnergemeinde im Osten. An einem See sollte sie liegen - wie Tutzing. Dass Balatonkenese am Nordostufer des Plattensees einen deutschen Soldatenfriedhof sorgsam pflegt, habe den Ausschlag gegeben. Heute sorgt sich Hupfauf um die Partnerschaft. "Auch wenn man nicht mit der großen Politik einverstanden ist", unterstrich der Senior, "sollte man die Kontakte von Mensch zu Mensch pflegen".

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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