Tutzing:Erfrischende Farbigkeit

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Leider nicht im Schlosshof, sondern witterungsbedingt nur in der Halle: Reiner Ginzel dirigierte in Tutzing das Georgische Staatskammerorchester. (Foto: Nila Thiel)

Reiner Ginzel leitet das Georgische Staatsorchester durch starke Emotionen, ohne ins Pathos abzugleiten

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Es sind nun bereits 27 Jahre vergangen, seit sich das 1964 gegründete Georgische Staatskammerorchester in den Westen abgesetzt hat. Seither ist es in Ingolstadt beheimatet und konnte, geleitet von bedeutenden Dirigenten, jahrzehntelang Erfahrungen auf internationalen Bühnen sammeln. Und so war es auch ein herausragendes Ereignis, dass dieses Orchester zur 1275-Jahr-Feier der Gemeinde und zum 45-jährigen Bestehen der Musikfreunde Tutzing eingeladen war, um mit einem Konzert unter der Leitung des Vereinsvorsitzenden und Celloprofessors Reiner Ginzel mitzufeiern - wenn auch nicht wie geplant im Schlosshof der Evangelischen Akademie, sondern vor Regen sicher in der eiligst ausgestatteten Würmseehalle.

Die Qualität des Georgischen Kammerorchesters lässt sich an vielen Aspekten festmachen. Der alles Überragende davon ist wohl die Musikalität, mit der das Ensemble jeden Ton feinsinnig und in höchster Sorgfalt formt und kultiviert. Und dabei stilistisch dem jeweiligen Komponisten gerecht wird sowie die Klänge treffsicher ausformt. Doch das Orchester zeichnet auch eine eigene Handschrift aus und beherrscht den schlanken Ton in Leichtigkeit des Duktus und erfrischender Farbigkeit. Das brachte für Mozarts Sinfonie A-Dur KV 201, eine der Salzburger Sinfonien des seinerzeit 17-Jährigen, einen beschwingt-galanten Impetus im Kopfsatz gegenüber einem zart fließenden Andante. Das Menuetto lag mit seiner straffen Rhythmisierung und einem melodiösen Trio schon nah am Scherzo. Eine Rhetorik, die geradewegs auf einen spielfreudigen Schlusssatz hinsteuerte, wie er eine Haydn-Sinfonie hätte beenden können. Der beherzte Kehraus in edler Klanglichkeit untermauerte noch einmal die Hinwendung zum Wiener Stil.

Großen Einfluss auf den jungen Mozart hatte Johann Christian Bach, der mit seiner Es-Dur-Symphonie op. 6/5 schon deutlich vorklassische Kraft entfaltete. Als einziger der Söhne von Johann Sebastian Bach verließ er Deutschland und lernte die italienische und englische Stilistik vor Ort kennen. Seine Es-Dur-Sinfonie dürfte in London der 1760-er Jahre entstanden sein, jener Zeit, als er dort Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart kennenlernte, was dem Wunderkind neue musikalische Horizonte eröffnete.

Am sogenannten empfindsamen Stil geschult, verstand es der jüngste Bach-Sohn, in seiner Musik starke Emotionen umzusetzen, die Ginzel auch entsprechend in seinem Dirigat deutlich exponierte. Aber es gehören schon großartige Instrumentalisten dazu, die Dramatik und Ausdrucksgestik dabei nicht ins Pathetische abgleiten zu lassen. Das empfindsame, feierlich-melodische Fließen im Andante changierte dann auch behutsam in die emotional aufgeladene Molltrübung.

Ein derartig organisches Gebilde schwebte Ginzel wohl auch vor, als er seine hier uraufgeführte "Brahms-Metamorphose I" komponierte. Der allmähliche Aufbau blieb anfangs aber allzu additiv, bis der Satz richtig in Fahrt kam: Mit dem Brahms-Thema konnte sich dann eine orchestrale Anlage durchsetzen, um die thematische Entwicklung schlüssiger fortzuführen. Nicht weniger, als Brahms an die heutige Zeit heranzuführen, hatte Ginzel versprochen - doch die Komposition schaffte es allenfalls bis zur Wende zum 20. Jahrhundert.

Ein Meisterwerk organischer Formung boten Ginzel und das Georgische Kammerorchester indes mit Dvořáks Streicher-Serenade E-Dur op. 22. Das fünfsätzige Werk ist zwar formal auch in die Zeit Mozarts zurückgewandt - doch mit seiner vergnüglichen Melancholie und bisweilen volkstümlich zupackenden Verdichtungen lässt es sich auch wieder im Entstehungsjahr 1875 verorten. Die Serenade atmete in Tutzing die Wärme alter böhmischer Melodien und changierte überaus behutsam mal ins Beschwingte, mal ins Sentimentale, mal ins Heiter-Energische. Und bot so einen an Empfindungen und Farben üppigen Abschluss.

© SZ vom 11.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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