Tutzing:Der Wert der freien Religion

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Der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm mahnte zur Selbstkritik. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Evangelische Akademie versammelt bei Jahresempfang 400 illustre Gäste

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Jahr für Jahr kehren in Deutschland zwischen 300 000 und 500 000 Christen ihren Kirchen den Rücken. Die Kirchen bluten aus, Religion spielt kaum noch eine Rolle, hat man den Eindruck. Doch der täuscht angesichts der weltweiten Entwicklung. 85 Prozent aller Menschen fühlen sich heute einer Religion verbunden, Tendenz steigend. Anlass für Udo Hahn von der Evangelischen Akademie Tutzing, am Jahresempfang kritisch zu hinterfragen, was Religionen gegenwärtig leisten sollen und können. Den knapp 400 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Medienlandschaft und diplomatischem Korps wie die ehemaligen Minister Martin Zeil und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Unternehmensberater Roland Berger, Schriftsteller Johano Strasser, Moderatorin Carolin Reiber, TV-Journalist Heinz Klaus Mertes und Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter, vormals Chef der benachbarten Politischen Akademie, bot sich am Donnerstag jedenfalls eine gute Gelegenheit, im Schloss bei feinen Häppchen mit Vertretern verschiedener Religionen ins Gespräch zu kommen.

Den Austausch suchten neben dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm auch Prälat Lorenz Wolf, Charlotte Knobloch von der Israelitischen Kultusgemeinde, Imam Benjamin Idriz und der Erzpriester der Russisch-Orthodoxen Kirche in München, Nikolai Zabelitch. Akademiedirektor Hahn äußerte in seinem Grußwort den Wunsch zu einer intensiveren Zusammenarbeit der Religionen. Denn wo sie betrieben werde, stiegen die Chancen auf Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Landesbischof Bedford-Strohm mahnte einen selbstkritischen Blick auf die eigene Heilige Schrift und die damit verbundenen Auslegungstraditionen an. So sei für Christen "immer wieder beschämendes Beispiel" der über viele Jahrhunderte gewachsene christliche Antijudaismus.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann betonte, "dass Freiheit die notwendige Grundlage jeden Glaubens" sei. Es gelte, "alles daran zu setzen, dass Demagogen, Populisten und religiöse Fanatiker bei uns nicht das letzte Wort haben". Den Festvortrag hielt die weitgehend unbekannte Religionswissenschaftlerin Azza Karam. Die 1968 in Kairo geborene Muslimin wurde vergangenen August als erste Frau Generalsekretärin der internationalen Nichtregierungsorganisation "Religions for Peace" mit Sitz in New York. Seitdem warte sie auf ihre amerikanische Arbeitserlaubnis, merkte die zierliche Professorin süffisant an. In ihrer halbstündigen Rede über "Die friedensstiftende Kraft der Religionen - Erfolge und Grenzen" zündete Karam dann ein intellektuelles Feuerwerk in sehr elaboriertem Englisch. Viele Zuhörer vertieften sich dankbar in die deutsche Übersetzung ihrer Kernthesen, die dem Programm beigefügt waren. Karam plädiert dafür, das Verständnis von Religion neu zu bewerten. Sie kritisiert die Arroganz, die ihr in Gremien oder an Verhandlungstischen zuweilen begegnet. Religiöse Repräsentanten als Teil der Gesellschaft sollten bei allen zivilgesellschaftlichen Anliegen eingebunden sein und den Fokus auf Menschenrechte setzen.

© SZ vom 18.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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