Tutzing:Der Menschenfreund

Lesezeit: 4 min

Den idealen Tag verbringt Thorsten Otto am Starnberger See. Erst joggt er eine Runde, dann setzt er sich mit einem Buch auf eine Bank und liest. Spätestens mittags muss er dann wieder unter Menschen. (Foto: Georgine Treybal)

Radiomoderator Thorsten Otto liebt gute Gespräche. Jetzt hat der Tutzinger ein Bühnenprogramm entwickelt, mit dem er durch Bayern tourt

Von Carolin Fries, Tutzing

Er hat das Treffen nicht abgesagt, obwohl nur wenige Tage zuvor seine Mutter gestorben ist. Thorsten Otto wird das auch erst ganz am Ende des zweistündigen Gesprächs erzählen. Dass der 53-Jährige sich dennoch Zeit für die Lokalpresse genommen hat und locker plaudert, zeigt, dass er ein Unterhaltungsprofi ist. Das Gespräch kostet ihn kaum Anstrengung. Es zeigt auch, dass er ein Arbeitsmensch ist, streng und fordernd zu sich selbst. "Es wird weniger, aber manchmal bin ich unnachsichtig mit mir", hat er zuvor gesagt. Vor allem aber belegt es, dass Thorsten Otto ein Menschenfreund ist. Er braucht den Kontakt auch in Momenten, in denen sich andere eher zurückziehen.

Der Mann, der es gewohnt ist, Fragen zu stellen und zuzuhören, legt einfach los und redet. Dabei saugt er wie nebenbei seine Umgebung auf, erfasst jedes Detail der Gäste am Nachbartisch. Der ausgewählte Platz in einem Tutzinger Lokal präsentiert den Starnberger See einsam und wolkenverhangen. Mit ein bisschen Fantasie könnte man meinen, es handele sich um das Meer - dröhnten nicht deutsche Schlager aus der Musikbox. Seit 2005 wohnt der Bayern- 3-Mann hier mit seiner Familie zur Miete in einer Doppelhaushälfte, er findet es wunderschön, fast ein bisschen zu schön, wenn er ehrlich ist. "Wie ist das für die Kinder, diese heile Welt? Kann ich sie hier so auf die Welt vorbereiten, wie ich muss?" Die Tochter ist zwölfeinhalb Jahre alt, der Sohn fünf. Ehefrau Yvonne betreibt im Ort ein Pilatesstudio. Er hat sie im Urlaub auf Fuerteventura kennengelernt, damals war er 37. "Sie hat aus mir einen besseren Menschen gemacht", sagt er, einen Familienmenschen. Ja, er sei schwierig.

Vor allem aber ist er nett und höflich. Und es ärgert ihn, dass diese Attribute in der Welt der Talker gern als Synonyme für oberflächlich genommen werden. Das TV-Arschloch, das fiese Fragen stellt, genießt mehr Ansehen als der nette Radio-Onkel. Dabei weiß er längst: Es kommt in diesem Job nicht auf die Fragen an, die man stellt, sondern auf die Antworten, die man bekommt. Und da bekommt er regelmäßig tolle. "Mensch, Otto" heißt seine einstündige Sendung, die an vier Abenden in der Woche bekannte und unbekannte Menschen vorstellt und zu den meistgehörten in diesem Land zählt. Es war seine Idee, spannende Lebensgeschichten größer als in zweieinhalb-minütigen Häppchen auszubreiten. Der erste Gast war ein Apnoe-Taucher, der knapp einen Unfall überlebt hat. Seither hat Otto knapp 2000 Sendungen gemacht. Angela Merkel war ebenso da wie Veronika Ferres, Mario Adorf oder Boris Becker. Speziell die unbekannten Menschen und ihre Geschichten sind es aber, die begeistern. Wie die Geschichte von Gaby Sonnenberg, die zweimal an Leukämie erkrankt war und dennoch nicht ihren Lebensmut verlor. Für diese Sendung erhielt Thorsten Otto 2014 den Deutschen Radiopreis in der Kategorie "bestes Interview". Wie solche Gespräche gelingen? "Ich interessiere mich einfach, wie die Menschen ticken", sagt er. Und er habe ein Gespür dafür, was sie ihm erzählen wollten.

Das klingt, als würde er sich einfach ans Mikro hinsetzen, eine Stunde quatschen und wieder gehen. "Es ist harte Arbeit", sagt er. Zusammen mit zwei Redakteurinnen wählt er seine Gäste aus, die inzwischen fast zur Hälfte vorgeschlagen werden nach dem Motto "Mein Nachbar macht verrückte Sachen". Otto bereitet sich auf jeden einzelnen akribisch vor,im Idealfall wisse er mehr über seinen Gast als dieser selbst. Manchmal verraten sie ihm dann Dinge, die noch keiner wusste. Doch darum geht es nur am Rande. Otto gelingt es regelmäßig, dass die Menschen sich öffnen und einen Blick in ihr Innerstes zulassen. Kostbare Momente, die verlässlich Emotionen und Gänsehaut auslösen. Der Moderator sagt, er spüre sofort, ob die Sendung gut war. Er fühle sich dann "irgendwie bereichert".

Als ihm der Sender offenbarte, dass die sonntägliche Sendung "Stars am Sonntag!" aus Spargründen Ende 2016 eingestellt wird, war das ein Schlag. Jetzt laufen sonntags Best-Offs seines Wochenprogramms. Er hat es verdaut und weitergemacht. Ein Verlag fragte an, ob er nicht ein Buch schreiben wolle - warum nicht? "Das ist so ein Kernding von mir", sagt er, "wenn ich nicht weiß, ob ich's kann, probier ich's aus." Er hat sich rausgezogen aus der Familie, ist an den Tegernsee gefahren oder auf eine Hütte nach Österreich und hat geschrieben ("Die richtigen Worte finden", Münchner Verlagsgesellschaft). Rückblickend sagt er, sei die Familie zu kurz gekommen. Jetzt will er einen Roman schreiben. Die Geschichte hat er schon im Kopf, "im weitesten Sinn hat es mit Radio zu tun". Nebenbei hat er seine Radiosendung auf die Bühne gebracht, eine Art Late-Night-Kabarettprogramm-Talk mit wechselnden Gästen. Monika Gruber, Hannes Ringelstetter und Günter Grünwald sind mit dabei. Was dabei rauskommt? "Die Radiosendung in wild und mit Publikum", sagt Otto.

Er muss es sich immer wieder beweisen. Das war schon damals so, zuhause in Weiden in der Oberpfalz. Als ältestes von drei Kindern wächst er in einem Richterhaushalt auf. Wenn er überlegt, was daheim wichtig war, dann kommt er auf den Beruf des Vaters. Ihm will er sich beweisen, erst recht, nachdem die Mutter ihm im zarten Alter von 13 Jahren erzählt, dass er nicht das leibliche Kind dieses Mannes ist. Er beginnt ein Jura-Studium, das er nach dem ersten Staatsexamen für die Arbeit bei einem Radiosender abbricht. Zuhause erntet er damit wenig Begeisterung, "Moderator kam kurz vor Zuhälter." Vermutlich wäre Thorsten Otto ein solider Nachrichtenleser geworden, wäre er nicht Menschen begegnet, die ihm mehr zutrauten. Und hätte er nicht beim Tennis und Basketball Selbstvertrauen gesammelt. "Über den Sport habe ich fast alles gelernt, was ich heute brauche", sagt er. In der Schule nur Englisch und die Liebe zur Literatur, immerhin.

Der Adoptivvater lebt nicht mehr, dafür hat er seinen leiblichen Vater nach einem ersten Treffen vor knapp 25 Jahren noch einmal kontaktiert. Es war der Wunsch der todkranken Mutter. Er weiß, dass es einen Halbbruder gibt. Was er daraus macht, weiß er noch nicht. Weil es viel komplizierter ist, als die anderen Dinge, die man projektmäßig packen kann wie segeln, Buch schreiben oder sich vorzunehmen, künftig regelmäßig Pilates zu machen. Am liebsten würde er ja wegfahren, einfach los in Richtung Süden. Oder sich einen Traum erfüllen und sich als Radio-Talker in New York ausprobieren. Doch zunächst einmal bleibt er hier in Tutzing. Am See bastelt er sich perfekte Tage zusammen, dafür braucht er keinen Sonnenschein, es reicht ein gutes Buch. Mittags holt er dann seinen Sohn im Kindergarten ab und lässt sich zu einem Abstecher in den Spielzeugladen überreden. "Konsequenz ist nicht meine Stärke", sagt er.

"Thorsten Otto! live" am Freitag, 5. Mai, mit Günter Grünwald in der Eventhalle Westpark in Ingolstadt, am Sonntag, 7. Mai, mit Amelie Fried im Spektrum in Augsburg.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: