Tutzing:Berührender Schlussakkord

Finale der Brahmstage mit dem Henschel Quartett

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Diesen vollkommenen Frieden, den Beethoven seiner Cavatine im Streichquartett op. 130 einhauchte, hätte man gerne in aller Stille mit auf den Weg genommen. Hier war das Henschel Quartett in seinem Element - gänzlich der Gesamtwirkung hingegeben. Die Musiker nach dieser großartigen Zugabe ohne stürmischen Beifall zu entlassen, wäre nicht fair gewesen. Auch gegenüber den Tutzinger Brahmstagen nicht, die heuer wieder überaus erfolgreich über die Bühne gegangen sind. Das ausverkaufte Schlusskonzert setzte dem Unternehmen zweifelsohne die Krone auf.

Als 2011 Markus Henschel das Quartett verließ und vom einstigen Mitglied des Petersen Quartetts, Daniel Bell, ersetzt wurde, war man gespannt, ob die erarbeitete extreme Feinsinnigkeit des Ensemblespiels erhalten bleiben konnte. Wie hier in der Evangelischen Akademie Tutzing deutlich zu vernehmen war, entschied sich das Quartett offenbar, die Umbesetzung für einen neuen Weg zu nutzen, den der üppigen Klangsinnlichkeit, mit lauteren und impulsiveren Ausbrüchen. Die "Italienische Serenade" G-Dur von Hugo Wolf bot dafür großartiges Material. Das Henschel Quartett zeigte sich spielfreudig, griff sogleich in den Farbkasten und ließ den Emotionen freien Lauf. Mit gewandten Charakterwendungen war die Interpretation für viele Überraschungen gut. So bekam die szenische Erzählung, die hinter dem rhapsodischen Werk vermutet wird, reichlich Imagination und suggestive Wirkung.

Die Serenade hatte wenig mit Brahms zu tun. Um so mehr allerdings mit Ottorino Respighi und seinem lyrischen Poemetto "Il Tramonto". Es ist anders als alle anderen Vertonungen Respighis von Texten des englischen Romantikers Percy B. Shelley. Einerseits durch die Einschränkung des Instrumentariums aufs Streichquartett. Andererseits durch das Abrücken von der Kantatenform. Die Gesangsstimme, die Mezzosopranistin Susanne Kelling mit maßvoller emotionaler Gestik von der liebestrunkenen Glückseligkeit in die Dramatik des Todes führte und der Hoffnungslosigkeit, ist kein exponierter solistischer Part. Sie ist vielmehr die fünfte Stimme im Ensemble, die sich immer wieder neue Verbündete unter den Instrumenten sucht. Manchmal steht sie über dem Ensemble, manchmal isoliert von ihm.

Das Henschel Quartett behielt die satte Substanz im bewegten Auf und Ab der dramatischen Erzählung bei. Für Kelling ergab sich daraus eine heikle Gratwanderung zwischen nötigem Volumen und emotionaler Empfindsamkeit. Die resultierende Klangpracht hatte schon etwas Barockes an sich. Das versöhnliche, zarte Finale wirkte um so sanftmütiger und friedvoller.

Brahms in dieser Manier anzugehen, wäre nicht der richtige Zugriff gewesen, abgesehen von der Klangfülle, die das Henschel Quartett bis in die weiten Rücknahmen beizubehalten vermochte. Die Farben changierten entsprechend stets warm temperiert. Und die unterschwellige Ruhelosigkeit des Werkes ließ bis zum letzten Ton nicht nach, selbst in der gebetsmäßigen Offenbarung des Andantes nicht. Die Leichtigkeit von Wolf und Respighi war ergreifendem Ernst gewichen. Das seelentiefe Wogen der Gefühle und die Leidenschaft des Werkes brachte das Ensemble geradezu zum Glühen, besonders im Schlusssatz, der sich zu symphonischen Größe emporschwang. Ein eindrucksvolleres Finale hätte man sich nicht wünschen können.

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