Tutzing:Aus dem Vollen geschöpft

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BR-Kammermusiker mit Wiener Werken von Beethoven bis Berg

Von . Reinhard Palmer, Tutzing

Eines ist sicher: Ohne Wien und seine Mäzene wäre die Musikgeschichte um ein dickes Kapitel ärmer. Von der Wiener Klassik über die Romantik bis zur (Zweiten) Wiener Schule ist die Entwicklung der ernsten Musik eng mit der Geschichte der Stadt jener Epochen verwoben. Wer dies zum Thema eines kammermusikalischen Abends macht, schöpft aus dem Vollen. Seltenes Repertoire nicht ausgeschlossen, war die Produktion in Wien so umfangreich, dass viele qualitativ hochwertige Kompositionen bis heute im Schatten der großen Meister kaum Aufmerksamkeit bekommen.

Bettina Faiss (Klarinette), Marije Grevink (Violine), Uta Zenke-Vogelmann (Violoncello) und Dina Ugorskaja (Klavier) machten das vielgesichtige Wien in Triokonstellationen zum Thema des 2. Kammermusikkonzerts der BR-Symphoniker im fast ausverkauften Konzertsaal der Evangelischen Akademie Tutzing. Die Gefahr, mit allzu viel Schönklang und Harmonie der Romantik in seichtes Wogen zu geraten, inklusive. Zumal der sehr kultivierte Zugriff sowie die weibliche Einfühlsamkeit der Interpretinnen die Geschmeidigkeit der Interpretationen betonten. Aber darum ging es denn auch im Programm: um kantable Themen, Farbigkeit, sinnenfreudige Klangsubstanz. Und diese Weiche stellte gleich zu Beginn Schuberts sogenanntes "Notturno", der Klaviertriosatz Es-Dur D 897 aus seinen letzten Lebensmonaten.

Das berührende Werk rief gleich die innigsten Emotionen auf den Plan. Die Homogenität des weiten Bogens von zartestem Gesang bis zur triumphalen Gemütswallung profitierte von der kantablen Pianistik Ugorskajas in den melodischen Passagen. Und der schönmusikalische Klang bekam mit der Klarinette eine sehr farbige Dimension. In der Konstellation mit Violoncello und Klavier im Trio a-Moll op. 40 von Carl Frühling reichte die Skala sogar von schwärmerischer Romantik über poetische Melancholie bis hin zur orchestralen Fülle mit folkloristischer Verve. Anerkennung für seine Werke erhielt der jüdische Komponist zeitlebens nicht. Obgleich auch Hans Gál, ebenso jüdischer Abstammung, an Brahms anknüpfte, zeigte sich in seinem Trio für Klarinette, Violine und Violoncello op. 93 eine markantere musikalische Sprache, die rhapsodisch in reich wechselnden Stimmungsbildern erzählte. Faiss, Brevink und Zenke-Vogelmann formten ein unentwegtes Changieren, in besonders frischem Kolorit in den humorvollen Passagen der Burletta und im Giocoso-Schlusssatz.

Hier kündigte sich schon die Musizierlust an, die in der Konstellation von Klarinette, Violoncello und Klavier im Gassenhauer-Trio B-Dur op. 11 von Beethoven für ein fulminantes Finale sorgen sollte. Wer den Namen Alban Berg (Adagio aus dem Kammerkonzert, hier in der Version für Violine, Klarinette und Klavier) im Programm fürchtete und ein anstrengendes Hörerlebnis vermutete, war gewiss überrascht: Es fehlte darin nicht an kraftvollen Ausbrüchen, die eine mächtige Spannung aufbauten. Doch mangelte es gerade an dieser Spannung in den melancholischen Abschnitten, die im Schönklang vielmehr an die Romantik anknüpften. Anders im geisterhaften Finale, das einen bleibenden Eindruck hinterließ und ein Ventil in Beethovens Werk fand. Das recht frühe Werk des Komponisten bot jedenfalls viel Spielraum für lustvolles Musizieren. Das Brio im Kopfsatz machte sich zwar noch etwas zaghaft bemerkbar, aber die Dramaturgie der Wirkungssteigerung ging in der wuchtigen Heiterkeit und im virtuosen Wirbeln des Schlusssatzes gänzlich auf. Begeisterter Applaus

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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