Trinkwasser: Tutzing rüstet sich für die Zukunft:Versiegende Quellen, sprudelnde Brunnen

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Die Gemeinde musste immer wieder um ihr Trinkwasser bangen. Heute wird viel in moderne Anlagen investiert

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Als sich im 19. Jahrhundert die ersten reichen Münchner in Tutzing ihre Sommervillen bauen ließen, war der Zugriff auf eine eigene Wasserquelle das A und O. Wer es sich leisten konnte, legte sich fließend Wasser ins Haus, ein echter Luxus. Weil aus dem Moränenhügel Tutzings genügend Wasser sprudelte, hatten zuvor schon viele Bewohner bis zum Grundwasser hinunter gegraben, Hausbrunnen errichtet und daneben ihre Hütten. Das Schloss Tutzing verfügte über eine eigene Quelle, aus der sich auch andere Anwesen wie das Midgardhaus und die Villa Trutz versorgen durften. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Zuzug aber so rasant, dass Wasserläufe und Grundwasseradern teilweise versiegten. Vor allem die höher gelegenen Häuser litten immer wieder unter Wassermangel.

Was für eine Erleichterung, als 1896 in Tutzing eine zentrale Wasserversorgung für alle Bürger gebaut wurde. Einer der Besitzer von Gut Kerschlach, Graf Landberg, hatte der Gemeinde in Kerschlach unentgeltlich Grund überlassen. Man fasste eine Quelle dort als Brunnen und verlegte mit dem natürlichen Gefälle von Monatshausen aus eine Leitung bis nach Tutzing. Die moderne Wasserleitung wurde 1897 mit einem großen Fest im damaligen Hotel Simson gefeiert, wie Klaus Wallisch vom Ortsgeschichtlichen Arbeitskreis in seinem historischen Abriss "Vom Hausbrunnen zur Wasserversorgung" berichtet.

Der Hochbehälter in Monatshausen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Bis heute beziehen alle Tutzinger südlich der Bahnlinie bis zur Lindemannstraße sowie in den Ortsteilen Monatshausen, Diemendorf, Fischerbuchet und Unterzeismering ihr Wasser aus Kerschlach. Drei Brunnen in Wieling versorgen die Bewohner in den Ortsteilen Tutzing-Nord oberhalb der Bahnlinie bis Lindemann- und Marienstraße, in Traubing und Obertraubing. Auf ihre eigene Wasserversorgung legt die Gemeinde - wie alle Nachbarkommunen - großen Wert. Auch in Zukunft will Tutzing seinen Bürgern autark das lebenswichtige Gut in bester Qualität bereitstellen. Um das auch bei einem erwarteten weiteren Zuzug in den 10 000-Einwohner-Ort zu gewährleisten, nimmt die Gemeinde seit Jahren viel Geld in die Hand. Wolfgang Marchner (Bürger für Tutzing) begleitet als Wasserreferent des Gemeinderats alle Entwicklungen kritisch, die dem Trinkwasser schaden könnten.

Denn lebhaft erinnert man sich in der Seegemeinde daran, wie 1989 nach hohen Atrazin-Messwerten der Hahn in zwei alten Kerschlacher Flachbrunnen abgedreht werden musste. Die Grenzwerte des Pflanzenschutzmittels und seiner Abbauprodukte waren im Wasser bis um das Dreifache überschritten, als Ursache galt intensive Landbewirtschaftung auf Gut Kerschlach. Altbürgermeister Peter Lederer zeigte sich noch Jahre später geschockt. Der Schadensfall sei für das Rathaus "wie die Katastrophe von Tschernobyl" gewesen, gab er 1998 der SZ zu Protokoll.

Mit Tanklastwagen ließ die Gemeinde aus dem Wielinger Becken Wasser zu den betroffenen Ortsteilen schaffen. Mit Eimern holten sich die Menschen das Wasser aus den Tanks und den eiligst installierten öffentlichen Zapfstellen am Rathaus. Auf die Frage, warum ein damals 80-jähriger Rentner in seinem hohen Alter diese Strapazen noch auf sich nehme, soll dieser gesagt haben: "Mir schad' das schlechte Wasser nix mehr, aber ich hol' es für meinen Hund." Die Notversorgung dauerte ein halbes Jahr, schwangere Frauen aus den betroffenen Gebieten durften sich zwei Jahre Mineralwasser auf Kosten der Gemeinde kaufen. Bis 1995 hatten die Tutzinger eine Sondergenehmigung zur Förderung des immer noch belasteten Grundwassers aus den beiden Brunnen. Die Wasserhähne am Rathaus blieben so lange für die Öffentlichkeit erhalten.

In der Zwischenzeit hatte Tutzing einen neuen Brunnen in Kerschlach gebohrt und 1996 ans Wassernetz geschlossen. Knapp 100 Meter tief - "so tief wie die Münchner Frauentürme hoch sind", verdeutlicht Wasserreferent Marchner bei einem Ortstermin die Dimension - und frei vom Spritzmittel Atrazin. Dessen Verwendung war 1991 in Deutschland verboten worden. Was man in Kerschlach einen Steinwurf von den Gutsgebäuden entfernt von der Wasserversorgung sieht, ist ein unscheinbares Häuschen auf einem Hügel. Darin geschützt die Brunnenstube. Ein paar Meter weiter eine kleine Baustelle. Dort wird am alten, nach der Atrazin-Verunreinigung stillgelegten Flachbrunnen gearbeitet, um ihn als Reserve wieder zu aktivieren. Jahrelang wurde er gespült, bis es keine Atrazinspuren mehr gab, 2018 wurde neu überbohrt. Der folgende Pumpversuch sei erfolgreich gewesen, teilte Bürgermeisterin Marlene Greinwald (Freie Wähler) in der Bürgerversammlung mit. 2019 solle das Brunnenhaus gebaut und der Brunnen ans Netz angeschlossen werden. Dafür investiert die Gemeinde 700 000 Euro.

Wassermeister Rudolf Schilling. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Den Zwillingsbrunnen als Reserve begrüßt Marchner sehr. War doch am Aschermittwoch 2017 im Kerschlacher Tiefbrunnen die Pumpe ausgefallen. 98 Bewohner am Gut und in Monatshausen mussten von der Feuerwehr notversorgt werden, bis eine neue Pumpe beschafft und eingebaut war. Harsche Kritik äußerte der Wasserreferent jedoch wiederholt im Tutzinger Gemeinderat und im Gespräch mit der SZ an den Ausbauplänen der Privateigentümer für Gut Kerschlach. Die Gemeinde Pähl hat unter anderem zusätzliche Wohnungen und Pferdeställe genehmigt (siehe unten). Tutzing war als Nachbar gehört worden, der Gemeinderat hatte im Oktober 2017 aber mehrheitlich beschlossen, keine Bedenken vorzubringen. Auch Bürgermeisterin Greinwald vermag Marchners Sorge nicht zu teilen. Sie begrüßt, dass für das Gut ein Bebauungsplan erstellt wird. Das sei ein Weg, "der das Ganze einschränkt".

Marchner wiederum sieht sich als Mahner in der Wüste. "Was sich in Kerschlach in unmittelbarer Nähe unseres Hauptbrunnens abzeichnet, passt mir gar nicht", sagt der langjährige Gemeinderat der SZ. Eigentlich dürfe dort überhaupt keine Bebauung mehr sein. Marchner prognostiziert, dass die Pläne jetzt nur der Anfang seien für eine weitere Ausdehnung des Guts. Das sei "eine latente Gefahr, weil das Gut Kerschlach unmittelbar an das Wasserschutzgebiet angrenzt." Konkret hat er Bedenken, weil alle Fäkalien nach Pähl hinuntergepumpt werden müssten. Das Rohr entspreche nicht dem heutigen technischen Standard. Es liege weder in einem Hüllrohr noch verfüge es über eine Differentialmessung, moniert der Ingenieur. Darauf habe er den Pähler Bürgermeister hingewiesen.

Wasserreferent Wolfgang Marchner am neuen Brunnen in Kerschlach. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Um nicht allein auf Kerschlach angewiesen zu sein und da mittelfristig die drei Flachbrunnen in Wieling abgeschaltet werden sollen, hat Tutzing schon vor mehr als zehn Jahren einen weiteren Tiefbrunnen in der Pfaffenbergrinne südöstlich von Traubing ins Auge gefasst. 2007 startete das Projekt, stockte aber immer wieder wegen zahlreicher Schwierigkeiten. Nach einer Havarie - Bohrrohre steckten fest - und jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen sprudelt dort aber jetzt in großer Ergiebigkeit Trinkwasser, etwa 38 Liter pro Sekunde. Gerade steckt Tutzing mitten im Wasserrechtsverfahren: Das Wasserschutzgebiet um den Brunnen wird festgelegt. 2019 sollen von der Traubinger Straße aus Wasser- und Stromleitungen verlegt werden. Für den Brunnen Pfaffenberg hat Tutzing seit 2017 im Haushalt 1,25 Millionen Euro veranschlagt. Wann er ans Netz geht, ist offen.

Tutzings Wassermeister Rudolf Schilling schaut seit 30 Jahren beim Tutzinger Trinkwasser nach dem Rechten. Er kennt so gut wie jeden Schieber im 115 Kilometer langen Rohrnetz, weiß von Hausanschlüssen, die hundert Jahre alt und noch aus Gusseisen sind. Spätestens nach 70 Jahren sollte man solche Hausanschlüsse austauschen, rät er. Wer an der Tutzinger Hauptstraße wohnt, kann dies günstig bei der anstehenden Umgestaltung machen lassen. Interessenten können sich beim Rathaus melden. Der Wassermeister hebt die "1a-Qualität" des Tutzinger Trinkwassers hervor, das bei regelmäßigen Proben keinerlei Anlass für Beanstandungen gebe.

2382 Haushalte bezogen im Jahr 2017 Trinkwasser von der Gemeinde Tutzing. Die verkaufte 564 000 Kubikmeter Wasser. Gefördert wurden aus den vier Brunnen - der Tiefbrunnen in Kerschlach, drei Flachbrunnen in Wieling - allerdings sieben Prozent mehr. Die Differenz ist der Schwund in lecken Leitungen. Der Wassermeister ist mit der Verlustquote zufrieden, auch wenn sie 2012 bei nur 5,9 Prozent lag. Mit dem Wert rangiere man noch weit vor anderen Kommunen, die bis zu 40 Prozent Verluste in maroden Systemen beklagten. Für ihr Wasser müssen die Tutzinger seit 2017 pro Kubikmeter 1,87 Euro bezahlen, Zum Vergleich: Starnberg verlangt nur 1,37 Euro für den Kubikmeter, Berg 1,89 Euro.

Macht dem Wassermeister das extrem trockene Jahr 2018 Sorgen? Lässt die Fördermenge nach? Schilling verneint. Die tägliche Ergiebigkeit aller vier Brunnen liege unverändert bei 4700 Kubikmeter. Gespeichert wird das Wasser in zwei mit Edelstahl ausgekleideten Hochbehältern. Späht man in die großen Becken hinein, leuchtet das Wasser türkisfarben wie in einem Pool. Mit nur elf Grad fließt es kühl und frisch zu den Tutzingern, die heute nur noch den Hahn aufdrehen müssen für ihr Trinkwasser.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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