Tassilo-Kulturpreis der SZ:Spiel mit Worten

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Die Inninger Schülerin Anna Münkel hat schon ihren dritten Gedichtband veröffentlicht. Das Mädchen gehört zu den Schnellschreibern, doch ihre Poeme gehen klar über Kinderlyrik hinaus

Von Ute Pröttel, Inning

Es ist schon ein Kreuz mit diesen festen Spangen. Sich mit Brackets und Draht im Mund klar und deutlich zu artikulieren, ist eine Herausforderung, die praktisch jeder Jugendliche kennt. Viele halten in der unvermeidlichen Phase ihrer Zahnregulierung lieber den Mund. Sie sei eher schüchtern und ruhig, erzählt die 16-jährige Anna Münkel. Dabei sitzt sie ganz selbstbewusst mit Hut in einem Seminarraum ihrer Schule. Und wenn es darum geht, ihre eigenen Gedichte vorzutragen, ist von Schüchternheit nichts zu spüren.

Anna steht auf, konzentriert sich kurz und beginnt: "Nedendei läuft dei mir nedenbessen ein Spiegeldei bordei." Okay. Mit Spange vortragen, heißt vortragen unter erschwerten Bedingungen. Doch die glänzenden Brackets in ihrem Mund schränken Anna nicht wirklich ein. "Haus bleibt Haus/Und Maus bleibt Maus/Dach wird zu Bach und Bach zu Dach//Ich din broß und nicht boof/Ich din broßer als bu//Garten wird zu Barden/Und Barden wird zu Darden//Das Audo macht dumm/Und Bu bist nicht bumm//Nedendei läuft dei mir nedenbessen ein Spiegeldei bordei."

Kindisch? Kindlich? Kinderlyrik? Sie gibt ihrem Gedicht einen ganz eigenen Rhythmus. Ihr Vortrag erinnert an die Poetry-Slams von Julia Engelmann. Was im ersten Moment vielleicht wie ein kleinkindliche Sprachfehler anmutet, entpuppt sich als melodiöses Spiel mit den Buchstaben d und b. Den Schlüssel dazu liefert Anna im zweiten Vers ihres Gedichtes "Dach wird zu Bach /Und Bach zu Dach". Intuitiv fügt sie das d bei Spiegeldei so ein, dass sich in dem einen Wort schließlich vier Worte spiegeln: Spiegel, Geld, Ei, Spiegelei und wenn man so will auch noch Spiel.

"Spiegeldei" heißt der dritte Gedichtband der Inninger Schülerin, die in Zankenhausen bei Türkenfeld lebt. Dreißig Gedichte publiziert die junge Autorin darin. Lange hatte sie überlegt, dem Band den Titel "SchokoCo" zu geben, weil Bücher für sie wie Schokolade sind: "Man kann nie genug davon bekommen." Außerdem liebäugelte sie mit einem Duftlack für das Cover, der beim Berühren oder Reiben immer wieder verführerisch nach Schokolade duftet.

Anna dichtet nicht für sich allein, sondern wendet sich mit ihren Gedichten an ihre Umwelt. Der Titel ihres ersten Gedichtbandes, den sie 2014 zusammen mit ihrer Mutter im Eigenverlag bei Epubli herausgab, lautet "Dein Gedicht". Vierzig Gedichte umfasst das kleine Büchlein im CD-Format. Es enthält kurze Gedichte mit den Titeln "Die Rose", "Die Nacht", "Glocken". Das Gedicht "Das Wasser" geht so: "Man verdurstet fast/Und braucht wenigstens einen Tropfen/Wasser/Zum Leben/Wasser ist kalt oder auch warm/Es gibt dreckiges, ungesundes Wasser und trinkbares Wasser/Und es gibt Wasser zum Waschen." Unter dem Titel "Hitze" dichtet die damals Neunjährige: "Es ist so heiß/Es ist so heiß/Und nicht so weiß/Das ist die Hitze/Alle schwitzen/bei dieser Hitze."

Was unterscheidet Lyrik von Kindern von Lyrik für Kinder? Für Anna Münkel bedeutet Lyrik: mit Worten zu spielen. Über Versmaß oder Metrik macht sie sich keine Gedanken. Sie dichtet intuitiv, und wenn sie von ihren Gedichten spricht, dann nennt sie die auch oft Lieder. Gedichte von Wilhelm Busch und Ringlnatz gefallen ihr. Aber auch Goethe und Schiller kennt sie.

Ihre Gedichte, so erzählt sie, entstehen in einem Rutsch. Oft benötige sie nur zehn Minuten, um ein paar neue Verse zu Papier zu bringen. Die Ideen dazu kommen ihr, wenn sie mit ihren Hunden unterwegs ist, im Strandbad oder beim Geburtstag feiern. Ihre Gedanken dann auch aufzuschreiben, dazu wurde sie von der Grundschule an von ihren Montessori-Lehrern in Inning ermutigt. Der zweite Gedichtband entsteht im Rahmen einer frei wählbaren Projektarbeit an ihrer Schule. Er trägt den Titel "Namen". Sein Herzstück ist ein beinahe acht Seiten langes Gedicht mit dem gleichen Titel.

Auch ihren neuen Gedichtband durfte sie an einem Abend im November an der Montessori Schule vorstellen. Zu ihrer Überraschung hatte der Chor der Lehrer eines ihrer Gedichte "Kaffee lattee" vertont. "Wir lernen an der Montessori-Schule früh, frei zu sprechen und Projekte zu präsentieren", erzählt Anna. Dennoch waren viele ihrer Mitschüler beeindruckt, dass sie bereits den dritten Gedichtband herausgibt. "Und ich habe schon wieder bestimmt vierzig Neue geschrieben", erzählt sie vergnügt. Liest man die drei Bändchen, so fallen die Leichtigkeit und der Sprachrhythmus auf. Und: Die Gedichte entwickeln sich. Neben dem fröhlichen Wortspiel um b und d gibt es in "Spiegeldei" auch Prosagedichte mit philosophischem Ansatz. Die junge Autorin setzt sich mit Heimat, Träumen, Fantasie auseinander. In "leben lauf!" folgt das lyrische Ich einem roten Faden, der es durchs Leben führt, sich verliert und wiederfindet. Kinderlyrik ist das in jedem Fall keine mehr. Gedichte wie dieses dürften der Grund dafür sein, dass der Herausgeber der Zeitschrift "Das Gedicht", Anton G. Leitner, auf Anna Münkel aufmerksam wurde. Im Vorwort zu "Spiegeldei" schreibt er: ". . . diese Nachwuchsdichterin versteht es, in vollen Zügen zu genießen, was ihr der Tag an großen und kleinen Überraschungen zu bieten hat."

Die junge Autorin hat sich nun auch für Leitners alljährlichen Dichterwettstreit, "Den Lyrikstier", angemeldet. Sie wird als jüngste Teilnehmerin neben 25 Lyrikerinnen und Lyrikern am Samstag, 27. Januar, im Gautinger Bosco antreten. Mit Zahnspange und Hut. Der ist nämlich Annas selbst gewähltes Markenzeichen.

© SZ vom 25.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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