Tassilo-Kulturpreis der SZ:Getanzte Geschichten

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"Mein Leben wäre um so vieles ärmer, wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte": Bettina Fritsche zuhause in Gauting. (Foto: Nila Thiel)

Bettina Fritsche liebt als Choreografin das Experiment. Mit älteren Amateuren und Anfängern entwickelte die Gautingerin, die lange zum Ensemble des Gärtnerplatztheaters gehörte, drei erfolgreiche Bühnenproduktionen

Von Katja Sebald, Gauting

Es war eine höchst ungewöhnliche Anzeige im Programmheft des Gautinger Kulturhauses Bosco. Gesucht wurden für ein von der großen Pina Bausch inspiriertes Tanzprojekt Menschen über sechzig: "Sie wollten schon immer mal tanzen und hatten bis heute keine Gelegenheit? Sie haben schon immer gern getanzt und suchen nach neuen Herausforderungen? Sie sind begeisterter Theaterzuschauer und möchten auf die Bühne? Sie sind neugierig, was noch alles in Ihnen steckt?"

Sage und schreibe 36 Damen und zwei Herren aus Gauting und Umgebung meldeten sich, um mit der Tänzerin und Choreografin Bettina Fritsche ein Bühnenprojekt für ältere Menschen zu entwickeln. Nur zwei sprangen nach den ersten Proben wieder ab - und der gemeinsame Auftritt im Sommer 2012 wurde ein voller Erfolg. Es entstand ein dreiteiliger Zyklus und schließlich eine Gruppe von zirka zwanzig Tänzern, die sich immer noch einmal wöchentlich treffen.

"Mein Leben wäre um so vieles ärmer, wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte", sagt auch Bettina Fritsche selbst rückblickend. Die Energie, mit der sich die Tänzer in die Proben stürzten, hätte sie nicht erwartet. "Die Begeisterung, mit der sich die Menschen auf etwas völlig Neues einließen, war für mich sehr beeindruckend", erinnert sie sich. Dennoch war die intensive Begegnung mit völlig fremden Menschen auch eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Nachdem die Gruppe gemeinsam den Film über Pina Bauschs Projekt "Kontakthof" angeschaut hatte, machte man sich selbst daran, ausgehend von persönlichen Erlebnissen und Empfindungen eine Art Collage aus Tanzbildern zu entwickeln. Eine Teilnehmerin, wie die meisten bis dahin ganz ohne Tanzerfahrung, dafür aber mit viel Lebenserfahrung, sagte: "Wenn ich es jetzt nicht ausprobiere, dann werde ich es nicht mehr machen und nie erfahren, ob ich tanzen kann." Aus der Summe aller Lebensalter entstand der Titel für die erste Produktion "Bewegtes Leben 2068". Die zweite hieß "Gratwanderer", und die dritte, aufgeführt 2016, schlicht "No.3". Danach verordnete Bettina Fritsche sich und der Gruppe eine Pause, gemeinsam getanzt wird aber immer noch. Und über kleinere Bühnenprojekte wird auch schon wieder nachgedacht.

Fritsche ist eine Grenzgängerin, sie liebt das Interdisziplinäre und noch viel mehr das Experiment. Sie ist mit dem Schauspieler Matthias Friedrich verheiratet und lebt mit ihm und zwei Töchtern in Gauting. Ihren Mann hat sie am Theater kennengelernt, und auch sie selbst hat eine große Affinität zum Schauspiel.

Am Tanzen, so sagt sie, interessiert sie mehr das Darstellen denn die Technik: "Ich möchte mit dem Tanz Geschichten erzählen." So ist es kein Wunder, dass sie schon früh eigene Choreografien im Bereich Schauspiel, Musical und Oper entwickelt hat. Heute liegt dort der Schwerpunkt ihrer Arbeit. Das Gautinger Publikum setzte sie aber vor einiger Zeit auch mit einem ungewöhnlichen Projekt in Erstaunen, bei dem sie in der evangelischen Kirche zu zeitgenössischer Orgelmusik tanzte. Für die Reihe "Literarischer Herbst" trat sie auch zusammen mit ihrem Mann auf, unter anderem zwischen den Geräten eines Fitness-Studios bei einer Lesung zum Thema Körper und Maschine.

Angefangen aber hat alles ganz "klassisch": Geboren 1964 in Münster als Tochter eines Orthopäden und einer Tänzerin, kam Bettina Fritsche schon früh zum Ballett. Im Alter von 12 Jahren bestand sie die Aufnahmeprüfung an der John-Cranko-Ballettschule in Stuttgart und kam dort ins Internat. Es folgte die Ballettakademie der Württembergischen Staatstheater Stuttgart und mit 19 Jahren das erste feste Engagement am Theater in Ulm.

24 Jahre lang war sie Ensemblemitglied am Gärtnerplatztheater in München. Sie unterrichtete an Ballettschulen und an der Hochschule für Musik. Eigene Choreografien entwickelte sie unter anderem für das Residenztheater, für die Bayreuther Festspiele sowie für eine Vielzahl freier Produktionen.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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