Bildung:Handwerk statt Schulbank

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Zimmerer Ludwig Ganseder (rechts) zeigt den Jugendlichen, worauf es in seinem Beruf ankommt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

268 Jugendliche nutzen den Tag der Ausbildung, um Betriebe im Landkreis kennenzulernen. Warum die Nachfrage bei den Schülern steigt und was sich die Unternehmen von der Aktion erwarten.

Von Yara van Kempen, Starnberg

Halb verschlafen, halb aufgeregt tummeln sich etwa 20 Schülerinnen und Schüler am Mittwochmorgen um 9 Uhr am S-Bahnhof Starnberg Nord. Aber hoppla, es ist doch Buß- und Bettag und das heißt in Bayern: schulfrei. Die Antwort auf den Trubel kommt in Form eines weißen Busses, der die Jugendlichen zum heutigen Event abholt: dem Tag der Ausbildung.

Am 22. November ging der Tag der Ausbildung in die zwölfte Runde. Statt der geplanten 250 Schülerinnen und Schüler hatten sich im Vorfeld mehr als 300 angemeldet, wie die organisierende Starnberger Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (GWT) mitteilte. Letztlich waren es 268 Teilnehmende, immerhin 40 mehr als im Vorjahr. Sie nutzten die Möglichkeit, 68 verschiedene Unternehmen als potenzielle Arbeitgeber kennenzulernen. Auf 18 Routen konnten die Jugendlichen kaufmännische, handwerkliche, technische, gastronomische und soziale Betriebe besuchen. Pro Route waren drei bis vier Unternehmen vertreten. Eine Route musste eine Woche vor der Veranstaltung abgesagt werden. Der Grund: mangelndes Interesse, so Anne Boldt, Projektleiterin bei der GWT.

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Isabell Bauch hat den "Tag des Ausbildung" schon mehrfach begleitet. Sie ist schon zum dritten Mal dabei. "Vielleicht auch zum vierten Mal", sagt sie und lacht. Bauch ist Projektleiterin Marketing bei der GWT. Sie nennt die Aktion eine "einmalige Chance" und freut sich, "zu sehen, was im Landkreis alles Inspirierendes passiert". Für sie sei es besonders wichtig, junge Menschen für Praktika zu begeistern. Diese spielten eine große Rolle bei der beruflichen Orientierung.

Warum die Anmeldungen in diesem Jahr im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen haben, darüber kann Bauch nur spekulieren. Zum einen könnte sie sich vorstellen, dass durch Corona die Wertschätzung und damit auch die Nachfrage nach derartigen Veranstaltungen gestiegen ist. Zum anderen glaubt sie, dass der Personalmangel auch für junge Leute immer spürbarer wird und der Wunsch nach Regionalität steigt. Ihre Kollegin Anne Boldt führt den Erfolg auch auf das gute und enge Verhältnis zu den teilnehmenden Schulen zurück. Die Lehrer seien sehr engagiert.

In der Zimmerei Ganseder zeigt Mitarbeiter Felix Wolff den richtigen Umgang mit der Abkantmaschine. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Lukas Eppinger demonstriert eine moderne Motorsäge. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Die Jugendlichen zeigen sich interessiert an handwerklichen Berufen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

In diesem Jahr hat Bauch die Aufsicht über die Route 15. Start ist um neun Uhr in Starnberg Nord. Mit dem Bus fahren die 20 Schüler und zwei Schülerinnen vier Stationen ab. Erste Station ist die Pharmatechnik GmbH & Co. KG in Starnberg, weiter geht es über die Schreinerei Pfisterer in Berg zur Zimmerei Anton Gansneder in Pöcking. Die letzte Station ist der Betrieb Elektro Saegmüller in Starnberg.

In der "Raumwerkstatt" der Schreinerei Pfisterer umgeben von Holzmustern, Vorhängen, Teppichen, Polstern und vielem mehr stehen die Jugendlichen um einen Tisch herum und Rupert Pfisterer erzählt, wie sie im Betrieb einen Küchenauftrag bearbeiten und planen. Pfisterer ist einer von drei Brüdern, die die Schreinerei 1995 als Familienbetrieb gegründet haben. Er ist überzeugt: "Besser kann man junge Leute nicht motivieren. Sie müssen sich vor Ort ein Bild vom Betrieb machen können." Vom Ausstellungsraum geht es durch den Garten und leichten Nieselregen in die Werkstatt. Sofort steigt ein süßlicher Holzgeruch in die Nase: Er kommt von dem Massivholz, das neben dem Eingang lagert. Einen Raum weiter drängt sich ein anderer Geruch in den Vordergrund, es handelt sich um ein bestimmtes Öl, mit dem die Küchen-Arbeitsflächen behandelt werden. Pfisterer präsentiert einen Schwenkarm, an dem Schleifmaschinen befestigt sind, und beantwortet viele Fragen, die die Jugendlichen angeregt stellen.

Die Gründe, warum sich die Schülerinnen und Schüler für den Tag der Ausbildung und damit gegen den freien Tag entschieden haben, sind unterschiedlich. Die meisten möchten sich aus eigenem Interesse umschauen und informieren, andere wurden von ihren Eltern dazu angehalten. Für wieder andere spielt das am Ende ausgestellte Zertifikat eine besondere Rolle. Mit diesem sei es dann besonders leicht, einen Praktikumsplatz in einem der besuchten Betriebe zu bekommen, heißt es.

Die Auszubildende mag die Anstrengung

Der weiße Bus fährt vor und bringt die ganze Mannschaft zur Zimmerei Anton Gansneder in Pöcking. Als die Schülerinnen und Schüler die Halle betreten, werden ihre Augen groß. Ihr Blick fällt auf einen Tisch mit Gebäck. Butterbrezen, süße Teilchen, Getränke und Bierbänke stehen bereit. Eine schwarze Katze huscht durch Tisch- und Menschen-Beine und springt kurzerhand auf den denkmalgeschützten Torbogen, der gerade in der Zimmerei restauriert wird. Kein Problem, die Katze scheint sich hier bestens auszukennen und gehört quasi zum Inventar. Die Auszubildende Leonie Hoiß erzählt von der Ausbildung und dem damit verbundenen Berufsbild, während ihr die Katze um die Beine streicht. "Mir gefällt, dass es manchmal auch sehr anstrengend ist. Dann spüre ich den Fortschritt, wenn ich abends nach Hause komme", sagt Hoiß. Eine Problematik als Frau in einer Männerdomäne bemerkt sie nicht. "Auf mich wird gut Rücksicht genommen, ohne dass ich eine Sonderstellung habe", sagt Hoiß.

Die Siebtklässlerin Emma interessiert sich sehr für handwerkliche Berufe, die mit Holz zu tun haben. Als eines von nur zwei Mädchen, die sich für die handwerkliche Route entschieden haben, wurde sie mehrmals darauf angesprochen, dass das doch untypisch für Mädchen sei. "Ich finde es schade, dass das immer betont wird. Ich fände es viel besser, wenn es als selbstverständlich angesehen würde." Für die Siebtklässlerin sind ihre Interessen ganz normal und sie findet den Beruf der Tischlerin oder Zimmerin sehr spannend.

An der letzten Station dürfen die Schülerinnen und Schüler einen speziellen Betonbohrer ausprobieren. (Foto: Yara van Kempen)

An der letzten Station gibt es noch einen Höhepunkt: Die Buben und Mädchen dürfen einen speziellen Betonbohrer ausprobieren. Zuerst möchte keiner anfangen, doch dann fasst Bjarne Gehrmann seinen Mut zusammen. "Das war sehr anstrengend, aber auch interessant", sagt er hinterher.

Für Projektleiterin Anne Boldt war der diesjährige Aktionstag ein voller Erfolg. Sie habe nur positive Rückmeldungen bekommen, erzählt sie. Sowohl die Betriebe als auch die Begleitpersonen seien begeistert gewesen. Von einer Schülerin gab es die Rückmeldung direkt an Boldt, dass sie sich sofort um einen Praktikumsplatz bewerben werde. "Es ist schön zu sehen, wenn solche Projekte Früchte tragen", so Boldt.

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