SZ-Serie: Wie es Starnbergern in der Corona-Auszeit zuhause ergeht:"Mir fehlt der persönliche Kontakt"

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Im Home-Office: Heike Zellner, Mathe- und Physiklehrerin am Landschulheim in Kempfenhausen, arbeitet von zuhause aus. (Foto: Arlet Ulfers)

Heike Zellner, Lehrerin am Landschulheim Kempfenhausen, unterrichtet mit Wochenplan und Videoschalte

Interview von Sabine Bader, Pöcking

Gymnasiallehrerin im Home-Office - ein ungewohntes Berufsbild. Für Heike Zellner ist es gerade Alltag. Die 57-jährige Studiendirektorin unterrichtet seit 30 Jahren am Landschulheim Kempfenhausen Mathematik und Physik - derzeit von ihrem Haus in Maising aus. Über ihren neuen Tagesablauf in der dritten Woche nach der Schulschließung, über Probleme und Chancen der derzeitigen Situation sprach sie mit der SZ.

SZ: Frau Zellner, wie geht es Ihnen?

Heike Zellner: Gut, ich kann nicht klagen. Die erste Woche war hart, weil noch nicht alles geklappt hat. Die Kommunikationswege mit Eltern und Schülern mussten zum Teil erst erschlossen werden, und es mussten in Windeseile sich selbst erklärende Hefteinträge und zugehörige Arbeitsmaterialien erstellt werden.

Fehlt Ihnen die lärmende Horde?

Mir fehlt der persönliche Kontakt. Und weil Sie von "lärmender Horde" sprechen: Es macht in den Videositzungen, die ich mit sechs Klassen abhalte, einen großen Unterschied, ob es sich um Fünftklässler handelt oder um Schüler der elften Klasse. Für die Fünfklässler ist das so spannend, dass jeder was sagen will, und alle gern gleichzeitig. Da bin ich froh, dass ich die Schüler auch stummschalten kann, sodass sie nur reden können, wenn sie an der Reihe sind. Natürlich will auch jeder im Bild sein. Bei der elften Klasse hingegen verläuft die Videokonferenz sehr diszipliniert. Im Unterschied zu den Kleinen schalten die Großen die Kamera meist ab - das "Posen" wird wohl als peinlich empfunden.

Das klingt spannend.

Ist es auch! Ich habe das von Anfang an mit großer Freude gemacht. Es ist auch super, dass die meisten Schüler dabei sind. Bei den Fünftklässlern zum Beispiel waren von Anfang an 25 von 30 Schülern online. Bei den anderen Jahrgängen sind es auch die meisten. Nur einzelne wenige Schüler denken wohl, sie hätten "coronafrei" - zumindest habe ich diese bisher weder im Videomeeting noch im Chat gesehen.

Oh je, sind Sie dann praktisch den ganzen Unterrichtstag lang in Videositzungen?

Nein. Das wäre nicht sinnvoll, zumal die Schüler ja auch noch Übungsaufgaben bekommen. Am Sonntagabend schicke ich die Arbeitspläne für die ganze Woche raus. Am Montag sollen sie dann den ersten Teil der Arbeitsaufträge erledigen. Dienstags findet die erste 40-minütige Videokonferenz statt. Daraus ergeben sich zusätzlich Übungen, und die restlichen Aufgaben müssen ja auch erledigt werden. Am Donnerstag ist dann die nächste Videoschalte. So strukturieren wir die Woche.

Klappt das?

Ja, das klappt gut. Viele arbeiten diszipliniert und auch mit großem Eifer. Wir sind lehrplantechnisch auf dem richtigen Stand, ich bekomme meinen Stoff durch. Aber den Schülern fehlt der Alltag miteinander, und mir auch.

Steckt in der augenblicklichen Situation auch eine Chance?

Ganz sicher. Jetzt wird zwangsläufig von den Schülern mehr Eigenverantwortung gefordert. Das bereitet sie auf das spätere Studium vor und ist von pädagogischer Seite mit dem Konzept "Flipped Classroom" auch erwünscht. Im normalen Schulalltag ist dies allerdings schwer vermittelbar, weil es die Schüler gern als Faulheit der Lehrer missdeuten. Ich habe festgestellt, dass viele Schüler mit dem jetzigen Arbeitsalltag gut zurecht kommen. Aber Jugendliche, die von zu Hause aus wenig Unterstützung erhalten, haben es schwerer und sind mit den Arbeitsmaterialien allein oft aufgeschmissen. Ich fürchte, die Schere zwischen guten und schlechten Schülern geht weiter auseinander.

Bietet Ihre Schule auch Notbetreuungen an?

Ja, wir haben zwei Sechstklässler in der Notbetreuung, deren Eltern im medizinischen Bereich arbeiten. Wir Lehrer betreuen sie reihum. Da wir 56 Lehrer sind, kommt man selten an die Reihe.

Finden Sie es gut, dass das Abi verschoben wurde?

Tja, ich glaube, es war nötig. Aber ich würde mir wünschen, dass die Schüler in jedem Fall die noch ausstehenden Schulaufgaben schreiben und das Abitur selbst dann machen können, wenn die anderen Klassen noch nicht wieder Unterricht haben - mit dem gebotenen Abstand und, wenn nötig, mit Mundschutz.

Auf was freuen Sie sich nach der Krise am meisten?

Ich freue mich wirklich darauf, meine Schüler zu sehen, mit ihnen zu lachen und mit ihnen mathematische Wettspielchen zu spielen. Wir müssen wieder Emotionen spüren. Schließlich bringen wir Lehrer unseren Schülern nicht nur den Stoff bei, sondern auch den Umgang miteinander.

Viele Dank und bleiben Sie gesund!

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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