Stockdorf:Leben mitten im Chaos

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Eine der beiden Gautinger Obdachlosenunterkünfte wird abgebrochen, weil es schlicht unzumutbar ist, darin zu wohnen - und das wohl schon lange

Von Michael Berzl, Stockdorf

Das Brennholz holt Josef Huber auf dem Gepäckträger seines Fahrrades selbst aus dem Wald. Er darf das, denn er habe einen Leseschein, erzählt der 78-Jährige. Bei ihm hat alles seine Ordnung, dabei lebt er mitten im Chaos. Seine Bleibe ist schon lange ein einfaches Häuschen in der Obdachlosenunterkunft am Rand von Stockdorf. Rundherum stapelt sich Müll, aber bei Huber ist aufgeräumt. Seit 50 Jahren schon lebt der ehemalige Maurer dort; in der Zeit hat er schon viele Gescheiterte kommen und gehen sehen. Und während er versucht, sein Zuhause einigermaßen gemütlich zu gestalten, so gut das geht, ist rundherum der Verfall nicht mehr aufzuhalten. Eine der Baracken ist mittlerweile so heruntergekommen, dass die Gemeinde sie abreißen und durch einen Neubau ersetzen will.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges stehen zwei einstöckige Behelfsunterkünfte am Ende der Forstkastenstraße. Viele Ausflügler radeln dort an den Wochenenden auf dem Weg zum Biergarten vorbei, das Elend direkt daneben fällt den wenigsten auf. Das Leben in der Waldlichtung kann manchmal sogar idyllisch sein, derzeit sieht es dort aber wieder besonders schlimm aus. Defekte Fahrräder, kaputte Möbel, Hausrat vergammelt im Freien, alte Frottee-Handtücher hängen nass auf einem Wäscheständer. Vor der mittlerweile geräumten Baracke steht ein blaues Sofa, das nach den Regenfällen völlig durchweicht ist. In Regalen und Schächtelchen ist noch Spielzeug zu sehen, hinter dem Fenster eine verdorrte Topfpflanze.

Die Baracke gegenüber will die Gemeinde Stockdorf abreißen lassen. (Foto: Georgine Treybal)

Drinnen ist es noch schlimmer. Der Geruch von Ruß und Moder hängt in der Luft, der Fußboden ist stellenweise durchgebrochen, staubige Spinnweben hängen an der Decke, ein Käfig und ein selbst gebauter Katzenbaum sind das einzige Mobiliar, aus Illustrierten herausgerissene Seiten mit Fotos nackter Frauen sind an die verschmutzte Wand geklebt. Kaum zu glauben, dass hier bis vor kurzem noch jemand gelebt hat. Muss aber wohl so sein, denn am Eingang zu der Unterkunft hängt ein Zettel mit dem Hinweis für den Briefträger: "bin umgezogen in Haus 8", mit Datum vom April dieses Jahres. An der Tür zu einer weiteren Wohnung hängt noch ein Verschlusssiegel der Kriminalpolizei. "Da ist einer gestorben im Winter", weiß Josef Huber. Übrig geblieben sind Schuhe, Matratze, eine Stereoanlage und wieder eine Menge Müll, die noch in dem verlassenen Zimmer liegen. Unbewohnbar sind diese Räume wohl eigentlich schon länger.

"Es geht nicht mehr. Ich bin schon lange der Meinung, dass da etwas geschehen muss", sagte die Grünen-Gemeinderätin Beatrice Cosmovici am Dienstag im Bauausschuss. Und mit dieser Meinung ist sie nicht alleine. "Kaum noch zumutbar", nennt die Rathausverwaltung in einer Beschlussvorlage die Zustände. Es gab schon mehrfach Ortsbesichtigungen und Besprechungen mit dem Kreisbauamt in Starnberg, und nun bereitet die Gemeinde Gauting einen Neubau vor. Doch das ist gar nicht so einfach. Zwar soll auch die neue Unterkunft nur in einfacher Bauweise entstehen, doch auch dafür muss erst das Baurecht geschaffen werden, denn die mittlerweile abbruchreifen Baracken sind eigentlich nur übergangsweise aus einer Notsituation heraus im Außenbereich errichtet worden.

Josef Huber räumt auf. In seinem Haus in der Stockdorfer Obdachlosenunterkunftsorgt er für Ordnung. (Foto: Georgine Treybal)

Zunächst ist geplant, nur eine der beiden Unterkünfte abzubrechen. Das zweite Haus, in dem Josef Huber und seine Nachbarn wohnen, bleibt stehen. Zwei Männer sind dort noch untergekommen und auch eine Mutter mit zwei Töchtern. Veteran in dem Asyl ist jedoch der 78-jährige Huber. Er hat es sich wohnlich eingerichtet in seinem Häuschen, ein großer Ofen sorgt dafür, dass es nicht klamm und feucht wird in der Bude. Man kann es dort schon aushalten. Zunächst war Huber mit seiner Familie dort eingezogen, seine vier Kinder besuchen ihn immer noch gerne draußen am Waldrand. Für seine vier Zimmer zahle er 360 Euro im Monat. Ob er gerne woanders wohnen würde? Schwierig, etwas zu finden, weiß der Rentner und reibt den Daumen an Zeige- und Mittelfinger. Und er ist nicht der Einzige. "Da ist ein unheimlicher Anstieg zu verzeichnen", beobachtet Christiane Ait vom Bauamt. Selbst schwangere Frauen müssten manchmal irgendwie untergebracht werden.

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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