Stockdorf:Die Zeit einatmen

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Schriftstellerin Susanne Betz weiß genau, was ein Pfund Mehl 1791 in Weimar gekostet hat und wo man im Paris der Revolution nachts ausging (Foto: Arlet Ulfers)

Susanne Betz recherchiert ihre Romane bis ins Detail. Ihr neues Buch beleuchtet Weimar um 1791

Von Sabine Bader, Stockdorf

Die Gegend ist im besten Sinne gut bürgerlich: Einfamilienhäuser, einige schon in die Jahre gekommen, eingewachsene Gärten, kleine Gemüse- und Blumenbeete, alles überschaubar. Das Ambiente innen ist urgemütlich. Im Wohnzimmer viele hundert Büchern, eine portable Leiter an der Bücherwand macht auch die Werke in den oberen Regalen erreichbar. Es sind Romane, Fachbücher und Historisches, quer durch den Literaturbetrieb. In diesem leseaffinen Haus ist die Redakteurin und Autorin Susanne Betz mit ihrer Familie daheim. Hier, in Stockdorf, habe sie "Wurzeln geschlagen", sagt sie.

Vor drei Wochen ist ihr dritter Roman erschienen. Es ist, wie schon die beiden vorangegangenen, ein historischer Roman. "Tanz in die Freiheit", heißt er, und spielt um 1791 im intriganten Weimar, in direkter Nachbarschaft zum Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe. Von der Französischen Revolution erfährt man zu jener Zeit in Deutschland nur gerüchteweise und ist dennoch auf eine eigentümliche Art fasziniert davon. "Es gab einen regelrechten Revolutionstourismus", sagt Betz. Sie weiß bestens Bescheid über diese Zeit. Ihre Devise lautet schlicht: Alles recherchieren, jedes kleine Detail. Aber eben nicht alles verwenden. "Das ist das Kunststück." So weiß Betz zum Beispiel, wie viel ein Pfund Mehl in Weimar um 1790 gekostet hat und welche Menge an Mehl man brauchte, um eine Stadt mit 600 000 Einwohnern einigermaßen satt zu kriegen. Und was bitte kostete ein Pfund Seife in Paris? Wo ging man zu jener Zeit abends hin? Auch das hat Betz recherchiert.

Man mag das Genre des historischen Romans faszinierend finden oder nicht, doch Betz' Bücher haben zweifellos etwas Besonderes. Sie sind detailgenau recherchiert. Denn bei vielen historischen Werken mangelt es nach ihrer Erfahrung genau daran. Die Recherchen sind zu oberflächlich und zuweilen gar falsch. Das bringt Betz auf die Palme. "Es gibt kaum etwas Schlimmeres", sagt sie. "Nur allzu oft geht es in historischen Romanen auch allein um drei Themen - Sex, Crime und Mittelalter." Das ist ihr zu banal, zu wenig pfiffig. So leicht will sie es sich nicht machen. Da ist im neuen Buch zum Beispiel ein Koffer mit mathematischen Berechnungen und Formeln, den ein Geschwisterpaar aus Weimar gemäß des Testaments der verstorbenen Mutter zu einem geheimnisvollen Menschen nach Paris bringen muss.

Betz ist es, als würde sie mit jeder neuen Romanidee eine Türe aufstoßen in eine fremde, faszinierende Welt. "Ich will, dass der Leser diese Zeit einatmet", sagt sie. Natürlich braucht man zum Schreiben auch ein Ambiente zum Wohlfühlen. Zwei Orte hat Betz dafür auserkoren: Ihr Zuhause in Stockdorf am Schreibtisch im ersten Stock mit Blick auf den Garten. Und eine kleine Wohnung in einem Bauernhaus am Geroldsee zwischen Garmisch und Mittenwald. Vor allem in dieser findet die Autorin die Muse, die sie zum Schreiben braucht. "Zuhause habe ich oft das Gefühl, dass ich endlich die Fenster putzen sollte oder sonst etwas machen müsste", sagt sie. Und dann ist da ja auch noch Nellie. Sie ist eine schwarze Labradorhündin. Betz' vierbeinige "Assistentin", wie sie sagt. Mit Nellie geht Betz oft zwei oder drei Stunden an der Würm entlang oder durchs Grubmühler Feld. Die Gedanken ordnen. Danach geht es meist mit dem Schreiben wieder besser.

Susanne Betz ist 57 Jahre alt. Eine Protestantin aus Mittelfranken, geboren in Ansbach, studierte in Würzburg und in Washington. Sie hat in Geschichte promoviert. Kein Wunder also, dass sie eine ausgeprägte Liebe zum Detail hat. In Chicago hat sie bei der "Chicago Tribune" gearbeitet, wieder zurück in Deutschland bei der Main-Post volontiert. Schon das Studium verdiente sich Betz mit journalistischem Arbeiten, genauer mit Besprechungen politischer Bücher. So bekam sie Kontakt zum Hörfunk und fasste schließlich Fuß in der Fachredaktion Politik und Hintergrund des Bayerischen Rundfunks (BR). Seit 23 Jahren ist der Sender ihr Arbeitgeber.

Vor nunmehr 15 Jahren hat die Familie ihr Haus in Stockdorf gekauft. Zuvor lebte sie in München/Obermenzing und davor in der Stadtmitte in Schwabing. Je mehr die Familie wuchs (die Kinder sind heute 22, 21 und 13 Jahre alt), desto weiter zog es die fünf in Richtung Land. Längst ist das Würmtal das Ideale für sie. "Denn es ist stadtnah und grün zugleich."

Susanne Betz liest am Donnerstag, 24. November, um 19 Uhr in der Starnberger Bücherjolle aus ihrem neuen Roman "Tanz in die Freiheit", der bei C. Bertelsmann erschienen ist.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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