Stegen:Zwischenwelt des Verfalls

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"Abteilung Nr. 3": Tornike Abduladze hat auch sie im Stahlwerk Rustawi besucht, um seine Impressionen dort in großformatige Gemälde umzusetzen. (Foto: Thiel)

Der georgische Maler Tornike Abuladze zeigt in seinen Bildern ein gigantisches Stahlwerk seiner Heimat: Der ehemalige Stolz der Sowjetrepublik bietet heute eine fast surreale Szenerie der Leere

Von Katja Sebald, Stegen

Die Idee ist alles andere als neu. Dennoch ist es mehr als ungewöhnlich, dass ausgerechnet ein junger georgischer Künstler in einem der größten Stahlwerke der untergegangenen Sowjetunion malt: Tornike Abuladze zeigt derzeit in der Ausstellung "Rustawi" Bilder, die in der gleichnamigen Stahlfabrik etwa zwanzig Kilometer südlich der georgischen Hauptstadt Tiflis entstanden. Der Ausstellungsraum mit seinen rohen Ziegelwänden und dem Betonboden im Keller der Alten Brauerei in Stegen, ebenfalls ursprünglich ein Industriegebäude, verleiht dieser Bilderschau noch einen zusätzlichen Reiz.

Tornike Abuladze, der heute im Landkreis Starnberg lebt, wurde 1987 in Tiflis geboren und studierte an der dortigen Kunstakademie. 2013 fuhr er einen ganzen Monat lang täglich mit den Arbeitern in die Stahlfabrik Rustawi ein und hielt vor Ort seine Eindrücke in großformatigen Skizzen fest. Zu Stalins Zeiten arbeiteten einst 14 000 Menschen in der riesigen Fabrikanlage, die der Stolz der Sowjetrepublik war. Heute ist ein Großteil der Hallen auf dem 700 Hektar großen Gelände dem Verfall preisgegeben. In der maroden Anlage wird aber zwischen Ruinen, Stahlgerippen und Müll immer noch gearbeitet, an den Decken fahren gigantische Kräne, die Schmelzöfen verbreiten Hitze und Rauchwolken.

Industrieller Fortschritt und Arbeitergesellschaft waren Bildthemen, die im sogenannten "Sozialistischen Realismus" der Repräsentation des Staates dienten. Ganz anders hingegen war die Faszination, die von der neuen Welt der Technik, von ihrer Geschwindigkeit und Atmosphäre auf die französischen Impressionisten ausging. Adolph Menzels Gemälde "Das Eisenwalzwerk", 1875 erstmals in der Berliner Nationalgalerie gezeigt, gilt als die erste Darstellung von industrieller Arbeit. "Wochenlang von morgens bis abends habe ich da zwischen den sausenden Riesenschwungrädern und Bändern und glühenden Blöcken gestanden und skizziert", notierte Menzel über die Arbeit an diesem epochemachenden Bild, das zu seiner Entstehungszeit einem Tabubruch gleichkam. Er fokussiert sich auf die Arbeiter, die sich ameisengleich in der damals hochmodernen Werkhalle bewegen. Während Menzel erstmals Menschen darstellt, die der Arbeit ausgeliefert sind, ihre Anstrengung, ihre schwitzenden Körper und die Bedingungen unter denen sie ihr Werk verrichten, hat Abuladze in unserem postindustriellen Jahrtausend ein ganz anderes Sujet: Ihn interessieren die beinahe surreal anmutenden Szenerien in den riesenhaften Hallen, die er auf großformatigen Leinwänden einfängt. Ihn interessieren die Leere, der Stillstand, der Verfall und die sich daraus ergebende Zwischenwelt. Auf einem der ersten Bilder sind zwar noch Maschinenteile, Rohre und Kräne zu erkennen. Diese Details verschwinden jedoch nach und nach völlig, bis es schließlich nur noch um den Raum geht, in dessen scheinbarer Unendlichkeit sich der Betrachter verliert.

In dieser unwirklichen und menschenleeren Zwischenwelt, in den Räumen, die auf den ersten Blick so greifbar wirken, doch dann auch nach langem Hinschauen einfach kein Ende haben, sieht er das Erhabene, das er auf eine geradezu romantisierende Weise darstellt. Zwar sind auf dem Bildgrund noch die Konstruktionslinien zu sehen, die auf einen Fluchtpunkt zulaufen, zwar erkennt man architektonische Details, dennoch lösen sich seine überaus dynamischen Bildwelten zuletzt in flirrende und lichte Farbigkeit auf.

Die Ausstellung im Viersäulensaal der Alten Brauerei Stegen ist noch bis einschließlich 13. September zu sehen. Öffnungszeiten sind donnerstags bis sonntags, jeweils von 16-21 Uhr.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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