Starnberger "Seearkaden":Blühender Schimmel, bröckelnder Putz

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Der Eigentümer des Komplexes hat seinem größten Mieter zum Jahresende fristlos gekündigt. Die Unternehmerfamilie Stangl hatte die Miete wegen unzumutbarer Zustände gemindert und muss jetzt so schnell wie möglich räumen

Von Peter Haacke, Starnberg

Aus und vorbei: Zum Jahresende gehen in den Starnberger "Seearkaden" in drei Betrieben die Lichter aus. "Wir haben die Schnauze voll und wollen nur noch raus hier", sagt Markus Stangl, gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Anita Stangl der bislang größte Mieter im Haus. "Wir machen das genauso, wie die das haben wollen." Das Bistro "Enjoy" schloss bereits vergangene Woche, für die Geschenkboutique mit "Dr. Stangls Lernakademie" in der Wittelsbacher Straße, die auch die Schachakademie für Kinder beherbergt, ist am 31. Dezember Schluss. Die Medien LB, Branchenführer im deutschsprachigen Raum für digitale Lerninhalte an Schulen, sitzt derweil schon auf gepackten Koffern. Und auch zwei Wohnungen im Obergeschoss sollen bis Jahresende geräumt sein.

Jahrelang haben die Stangls ihre Miete korrekt gezahlt. Doch nun hat die R+V Versicherung in Wiesbaden, Eigentümerin des Gebäudekomplexes gegenüber dem Bahnhof, mit Schreiben vom 12. Dezember die Mietverträge für alle fünf Objekte fristlos gekündigt. Grund: Die Stangls hatten Mietminderung geltend gemacht und zuletzt nur noch einen Bruchteil der Miete gezahlt. Seit Jahren haben sie im "Seearkaden"-Komplex Räume angemietet: Neben der Medien LB, die DVDs für Schulen produziert, zählen eine Geschenkboutique und das Bistro "Enjoy" - erst im Frühjahr 2018 eröffnet - zu ihren Unternehmungen. 500 000 Euro haben sie nach eigenen Angaben in die Sanierung der Gaststätte gesteckt. Doch jetzt ist Feierabend, weil es ihnen im wahrsten Sinne des Wortes stinkt.

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Schimmel, Pilz und ein nur schwer zu ertragender Geruch. Im DVD-Lager von Markus Stangl gammeln die Kartons.

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Im Untergeschoss der Seearkaden ist es immer feucht. Die Tiefgarage ist ein Biotop für Mikroorganismen.

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Rosemarie Stangl ist pflegebedürftig, auch sie muss demnächst ausziehen. Fotos: Nila Thiel

Zartbesaiteten Gemütern dreht sich der Magen bereits auf dem Weg in die Tiefgarage um: Die Luft wird zunehmend schwerer, es riecht faulig, modrig, ungesund. Am schlimmsten ist es im zweiten Untergeschoss: Der rissige Boden der Tiefgarage ist nass, von der Decke tropft Wasser, diverse Leitungen sind verrottet, Metalleinfassungen rosten vor sich hin. Eine rostige Stahltür wurde mal ersetzt, berichtet Markus Stangl, die Kosten wurden auf die Mieter umgelegt. Ein Schild darauf warnt: "Vorsicht Rutschgefahr - Glätte/Nässe". Auf dem Boden sind großflächig schwarze Flecken, an Decken und Wänden blüht der Schimmel. Ganz unten sind auch Kellerabteile für die Mieter und die Lagerräume der Medien LB. Rund 15 000 DVDs lagern hier, Unterrichtsmaterial für Gymnasien, Grund-, Mittel- und Realschulen. Im Programm sind 600 Lehrfilme über Länder in aller Welt: Israel, Benin, Mexiko, Mecklenburg-Vorpommern. Das Wasser aber steht hier zuweilen bis zu zehn Zentimeter hoch, berichtet Stangl. Am schlimmsten sei es, wenn es regnet: Dann drücke das Wasser überall rein. Stangl fischt einen Pappkarton aus einem der unteren Regalfächer. Es ist mit Schimmel übersät. Und auch an der Fassade bröckelt der Putz, das Haus ist nach 26 Jahren nicht in Bestform. Bei Youtube ist ein Video zu sehen, das die Schäden am Bahnhofplatz 8 dokumentiert.

Mitarbeiter hatten die Geschäftsleute auf die Wasserschäden aufmerksam gemacht. Stangls informierten daraufhin schon 2018 einen von der R+V Versicherung beauftragten Objektverwalter über die Mängel. Doch der winkte laut Stangl ab: "Die R+V wird nichts machen", habe der Mann erklärt. Auch auf direkte Nachfrage bei der R+V Versicherung in Wiesbaden habe man nie jemanden erreichen können. Gesprächsbereitschaft? "Nichts", sagt Stangl, dem nach gut einem Jahr vergeblicher Mühen der Geduldsfaden riss: Seit August 2019 reduzieren die Stangls die Mietzahlungen. Allein für die Räumlichkeiten des "Enjoy" in der Bahnhofstraße beträgt der Rückstand knapp 20 000 Euro, steht in einem der insgesamt fünf Kündigungsschreiben der bevollmächtigten Münchner Anwaltskanzlei, die im Auftrag der R+V handelt.

Fristlos gekündigt wurden auch zwei von den Stangls gemietete Wohnungen im "Seearkaden"-Komplex: In der einen lebt die gesundheitlich angeschlagene, pflegebedürftige 86-jährige Mutter von Markus Stangl. Die Frau soll nun kurzfristig vorerst in ein kleines Zimmer zu ihrer in Pöcking lebenden Tochter umziehen. In der anderen Wohnung lebt eine Angestellte der Unternehmer, die nun nebst Partner und Kleinkind händeringend eine neue Bleibe sucht. "Wir wissen nicht, was wird", sagt Stangl - und das ausgerechnet in der Weihnachtszeit, "in der wir nicht mehr handeln können". Stangls haben einen Anwalt eingeschaltet. Dabei ergaben sich zwei Optionen: Drinbleiben und klagen oder ausziehen und klagen.

Ein Teil der Belegschaft ist demnächst arbeitslos. Immerhin gibt es für die Medien LB mit ihren 15 Mitarbeiter ein neues Domizil in der Leutstettener Straße. Für die teuren Geräte aus der mittlerweile geräumten Gaststätte wird aber noch ein Lager gesucht, die Investitionen ins Bistro "sind vermutlich weg", glaubt Stangl. Die Geschenkboutique zieht als letztes aus, Stangl rechnet insgesamt mit Umsatzeinbußen. Neben Anita und Markus Stangl packen auch die beiden 15-jährigen Söhne Michael und Robert mit an. Umzugsstress zur Weihnachtszeit. Doch "einen Großkonzern interessiert das nicht", sagt der 50-Jährige.

"Wir haben Sie aufzufordern, die Mieträumlichkeiten in vertragsgemäßem Zustand bis spätestens zum 31. Dezember zu räumen und an unsere Mandantschaft nebst sämtlichen Schlüsseln herauszugeben", heißt es im Schreiben der R+V-Anwaltskanzlei. Stangl erwägt, einen Gutachter wegen des Schimmels im feuchten Untergeschoss zu beauftragen. Eine gerichtliche Auseinandersetzung scheint unausweichlich zu sein, womöglich könnte es um siebenstellige Beträge gehen. Doch er weiß auch, das Verfahren dürfte langwierig und schwierig werden. "Wir haben keine Möglichkeit mehr," sagt Stangl, "wir sind raus."

Eine SZ-Anfrage zur Angelegenheit bei der Pressestelle der R+V Versicherung blieb am Freitag in der Sache unbeantwortet. Doch immerhin signalisierte der Konzern ein gewisses Entgegenkommen. Ein Mitarbeiter der Konzern-Kommunikation teilte per E-Mail mit: "Die R+V hat die Kündigung der zwei Mietwohnungen bis auf Weiteres ausgesetzt. Wir prüfen den Sachverhalt und versuchen, in den kommenden Wochen mit dem betroffenen Mieter eine Lösung zu finden."

© SZ vom 23.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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