"Nachdem vorher alle überhaupt tragfähigen Fahrzeuge mit Blumengewinden und bunten Lampions geschmückt worden, flammen bei Einbruch des Abenddunkels als Zeichen zu Beginn des Festes auf den Höhen die Freudenfeuer empor, und gleichzeitig stoßen überall die bekränzten und illuminierten, dicht mit fröhlichen Menschen besetzten und oft von schönen Händen geruderten Kähne vom Ufer ab."
So beschreibt eine damals deutschlandweit verbreitete Illustrierte einen Abendkorso, der am Vorabend zum Wiegenfest und Namenstag von König Ludwig II. stattgefunden haben soll. Der Artikel erschien im Februar 1886. Pünktlich zum 175. Geburtstag des Märchenkönigs am 25. August konnte die Leiterin des Kaiserin-Elisabeth-Museums in Possenhofen, Rosemarie Mann-Stein, die damalige Berichterstattung der Zeitung "Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Chronik der Gegenwart" mit dem dazu gehörigen Bild eines Holzstichs bei Ebay ersteigern. Sie hat das Blatt für sich privat erworben und stellt es dem Museum als Leihgabe zur Verfügung. Allerdings kann das Exponat derzeit nicht besichtigt werden. Das Museum ist Corona-bedingt geschlossen. "Es ist unglaublich aktuell, und mich hat es gleich inspiriert", freut sich Mann-Stein über ihre Neuerwerbung. Der Artikel, der im Februar 1886 erschienen ist, wirft jedoch viele Fragen auf. Auch Ludwig-Experten können über den Bericht nur Vermutungen anstellen, und so wird "das ewig Rätsel" um den Märchenkönig noch 134 Jahre nach seinem Tod ein weiteres Mal befeuert.
Der Bericht in der Illustrierten, die laut Mann-Stein 26 Mal pro Jahr in einem Stuttgarter Verlag erschienen ist, lässt offen, ob es sich um einen Rückblick auf Ludwigs 40. Geburtstag 1885 handelt oder um eine Vorschau auf das Fest im kommenden Sommer. Fakt ist jedenfalls, dass der Abendkorso 1886 und danach nicht mehr stattfand, weil König Ludwig II. bekanntlich seinen 41. Geburtstag nicht mehr erlebt hat.
Der Münchner König-Ludwig-Forscher Jean Louis Schlim konnte keine zusätzlichen Quellen finden, die über einen Abendkorso anlässlich des Geburtstags zu Ehren von König Ludwig berichten. Da das Volk aber überall im Oberland den Geburtstag seines Regenten mit Bergfeuern gefeiert habe, sei es wohl möglich, dass man dies in Starnberg mit einem Korso auf dem See tat, glaubt er. "Da dies zu der Zeit aber etwas mehr oder weniger Normales war, vermute ich, dass nur einmal ein solcher Bericht seinen Weg in die Presse gefunden hat", so die Erklärung des Forschers. Laut Schlim pflegte der König seine Geburtstage auf dem Schachen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu feiern, sodass er sicherlich nicht bei den Feierlichkeiten am Starnberger See anwesend war. "Solche Feiern fanden keinesfalls in seiner Anwesenheit statt", ist auch der Regensburger Experte Marcus Spangenberg überzeugt. Nach seinen Angaben hat Ludwig II. seinen Geburtstag nur zwei Mal am Starnberger See verbracht, nämlich 1873 und 1876 auf Schloss Berg. Spangenberg hält es für unwahrscheinlich, dass der Korso regelmäßig stattgefunden hat. Damals habe es eine Tourismus-Hochphase gegeben. "Das wäre sicherlich am Starnberger See genutzt worden", ist er sich sicher. Seiner Meinung nach könnte das Thema aufgegriffen worden sein, um mit den Bildern Interesse zu wecken.
Der Regensburger Experte, der selbst über diesen Artikel aus der illustrierten Familienzeitung verfügt, bezeichnet das Erscheinungsdatum im Februar 1886 als "kurios" und hat inhaltliche Zweifel. "Ob der Text stimmt, da setze ich ein dickes Fragezeichen dahinter", sagt er.
Laut Kreisheimatpfleger Gerhard Schober hat der Abendkorso zu Ehren des Königs sicherlich stattgefunden, aber vermutlich nicht regelmäßig. Da der 25. August gleichzeitig der Namenstag des Regenten war, der in Bayern damals ein stärkeres Gewicht gehabt hatte als heutzutage, sei dieser Tag bestimmt nicht unbeachtet geblieben. "Der König war ja überaus populär."
Der Abendkorso könnte seiner Meinung nach eine "typische Erscheinung der altbayerischen Fest-Lust" gewesen sein. Und er habe auf jeden Fall ohne den König stattgefunden, sagt Schober.
Rosemarie Mann-Stein jedenfalls gefällt das poetische Stimmungsbild, das in dem Text gezeichnet wird. Sie fände es wunderbar, wenn eine derartige Veranstaltung auch zum 175. Geburtstag des Bayernkönigs am kommenden Dienstag angeboten würde. Bislang jedoch hat am Starnberger See lediglich das Hotel Kaiserin Elisabeth in Feldafing das Thema aufgegriffen. Es bietet ein Candlelight-Dinner mit Konzert an und ist bereits ausgebucht.