Starnberg:Immer in Bewegung

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Ausgezeichnet: Der Berliner Regisseur Paul Scheufler mit dem Preis des Festivals für den besten Kurzfilm. (Foto: Georgine Treybal)

Der Kurzfilm "Ein Ozean" gewinnt das "Goldene Glühwürmchen"

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Immer wieder läuft dieser Film in seinem Kopf ab: wie er als blonder Junge auf einem mit weißen Laken bezogenen Bett liegt, und neben ihm ist ein kleiner dicker Mann mit erigiertem Penis. "Es ist da und wieder weg, dann wieder da und wieder weg", sagt Markus Diegmann in "Ein Ozean". Diegmann ist als Kind missbraucht worden, seit 49 Jahren lebt er mit diesem Trauma, mit seinem Wohnmobil ist er immer in Bewegung. Er hat den Verein "Tour 41" gegründet und kämpft darum, dass Missbrauch als Straftat nicht verjährt. Seine Geschichte hat er Jungregisseur Paul Scheufler zur Verfügung gestellt, der sich mit seinem Kurzfilm nun auf dem Fünfseen-Festival durchsetzte: "Ein Ozean" wurde mit dem "Goldenen Glühwürmchen" ausgezeichnet. Der Short-Plus-Award ging an "Ala Kachuu - Take and Run" von Maria Brendle, den Preis für das beste Video bekam "Absent Wound" von Maryam Tafakory. Insgesamt gab es 400 Kurzfilmeinsendungen, etwa 50 wurden laut Festivalchef Matthias Helwig gezeigt.

Den Filmtitel "Ein Ozean" hatte Scheufler in Anlehnung an den Lieblingssong von Markus gewählt, den dieser anhört, als er nach mehr als 40 Jahren mit seinem Wohnmobil erstmals wieder seinen Heimatort ansteuert. Treffend und tief berührend beschreibt Markus sein Trauma, das ihn noch immer verfolgt. Der zweite Missbrauch sei in seinem Elternhaus geschehen, damit sei noch sein "sicherer Ort kaputt gegangen". Bei der Preisverleihung sagte Scheufler, für ihn sei es eine "Herzensangelegenheit" gewesen darzustellen, wie sich ein Trauma noch nach Jahrzehnten auf das Leben auswirken kann.

Der zweitplatzierte Film "Das abstürzende Luftschiff" von Ivan Dubrovin ist eine Science-Fiction-Geschichte: Eine 400-Seelen-Gemeinde, die von riesigen Ballons getragen durch die Luft schwebt, droht abzustürzen. Die Einwohner ignorieren alle Warnungen und steuern auf die Katastrophe zu. Dubrovin ist der Sohn von Einwanderern aus Kiew. Mit dieser Idee hatte er sich für die Hochschule für Fernsehen und Film in München beworben und sie für seinen Erstjahresfilm ausgebaut. Der drittplatzierte Film "Lass uns nicht vergessen" von Marcus Hanisch befasst sich mit dem schwierigen Thema Sterbehilfe. Er habe einen Fall im Bekanntenkreis, sagte Hanisch. Er ist ebenfalls Student an der Filmhochschule und hatte nur 500 Euro Etat für zwei Drehtage zur Verfügung.

"Den Rest mache ich morgen" von Benjamin Kramme handelt vom Auszug von Zuhause und davon, wie schnell Pläne durch Rassismus zerstört werden. Er erreichte den vierten Platz. Allerdings fiel das Ergebnis laut Helwig knapp aus. Den Gewinner des Glühwürmchens bestimmte das Publikum, die Preise für das beste Video sowie den Short-Plus-Award vergaben Jurys. Auch diese Kurzfilme behandeln spannende Themen. Besonders "Ala Kachuu - Take and Run" ging unter die Haut. Sezim will studieren, wird aber entführt und zwangsverheiratet. Regisseurin Maria Brendle hat über einen Freund von dem Schicksal erfahren, das schätzungsweise mehr als 60 Prozent aller Frauen in Kirgisistan widerfahre. "Tausende von Frauen werden jedes Jahr unter Gewaltanwendung verheiratet", so Brendle. Sie dankte den Frauen, die den Mut hatten, ihr die Geschichte zu erzählen. Auch in "Absent Wound" geht es um die Unterdrückung von Frauen. Hier wurde der Raum für rituelle Tänze der Männer, den Frauen nicht betreten dürfen, dem Waschraum der Frauen gegenübergestellt.

© SZ vom 31.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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