Starnberg:Bürgermeistern auf die Finger geklopft

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Die Zahl an Dienstaufsichtsbeschwerden steigt sprunghaft - für heuer wird ein neuer Rekord erwartet.

Christiane Bracht

Aufmerksam machen auf Missstände - dazu fühlen sich im Fünfseenland offenbar immer mehr Bürger berufen. Das zeigt sich auch an der Zahl an Dienstaufsichtsbeschwerden, die beim Starnberger Landratsamt eingereicht wurden:

(Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Früher musste die Kommunalaufsicht immer nur vier bis sieben Beschwerden pro Jahr bearbeiten. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl verdoppelt. Heuer erwartet man in der Kreisbehörde sogar einen Rekord, denn im ersten Quartal sind schon elf Beschwerden von unzufriedenen Bürgern eingegangen - fast so viele wie im ganzen Jahr 2008.

"Die Bürger sind kritischer geworden, besonders in den Gemeinden um München herum", kommentiert Jürgen Busse vom Bayerischen Gemeindetag diesen Trend. Einige versuchten auf diese Weise auch politische Entscheidungen durchzudrücken.

Das weiß Busse auch aus seiner kommunalpolitischen Arbeit im Starnberger Stadtrat. Die Baulandpreise seien hoch, das ziehe "potente Leute an, die genauer kontrollieren". Die Zeiten, in denen Bürgermeister mit solider Mehrheit "dominant regieren konnten" seien vorbei, so Busse. Das zeige schon, dass nur noch drei von 14 Rathauschefs im Landkreis der CSU angehören.

Die Erfolgsaussichten von Dienstaufsichtsbeschwerden sind jedoch äußerst gering. Unter Juristen sagt man auch: "formlos, fristlos, fruchtlos". "Frustrierend ist das schon", findet Rosmarie Brosig aus Gilching, die schon acht solcher Rechtsbehelfe in den vergangenen fünf Jahren verfasst hat.

Auch der Kraillinger Eric Heuscher hat schon viel Erfahrung gesammelt. "Es kostet erheblichen Aufwand, eine Beschwerde zu formulieren, die Hand und Fuß hat", sagt er. "Tagesfüllend" sei es, wenn man den Rechercheaufwand bedenke. Heuscher studiert im Kraillinger Rathaus öfter Akten und Unterlagen. Die Dinge, die er bemängelt, sind sehr verschieden. Meist stehen sie in Zusammenhang mit größeren Bauprojekten der Gemeinde. "Ich will es der CSU-Mehrheit so schwer wie möglich machen, und Dienstaufsichtsbeschwerden sind die Daumenschrauben des kleinen Mannes", sagt er. Allerdings greife er nur zu diesem Mittel, wenn Gespräche mit der Bürgermeisterin, Anfragen vor den Gemeinderatssitzungen oder Leserbriefe "nicht geholfen" hätten.

"Marginale Erfolge" hat Heuscher eigenem Bekunden nach bereits errungen. Zuletzt gab ihm das Landratsamt recht, als er bemängelte, dass eine Gemeinderätin, die ein großes Bauprojekt vorhat, am Ratstisch saß, als ein Bebauungsplan, der ihr Grundstück umfasst, beschlossen wurde. Ungültig wurde er dadurch jedoch nicht, da das Votum einstimmig war. Heuscher: "Steter Tropfen höhlt den Stein." Dass er auch Anfeindungen und anonyme Drohbriefe bekommt, nimmt der Kraillinger hin.

Auch im Rathaus ist er nicht wohl gelitten: "Pro Beschwerde brauche ich einen halben Tag, um zu recherchieren und eine Stellungnahme zu schreiben", klagt Bürgermeisterin Christine Borst, die jedes Jahr drei bis vier dienstaufsichtliche Verfahren am Hals hat. "Das habe ich wohl von meinem Vorgänger geerbt." Sie führt es auf das seit 60 Jahren gewachsene "Feindbild" zurück: die CSU-Mehrheit. Und darauf, dass viele Kraillinger am liebsten alle Annehmlichkeiten haben wollen, aber nichts davon im eigenen Ort. Störendes soll zu den Nachbarn.

Auch in Gilching hat es immer wieder zahlreiche Dienstaufsichtsbeschwerden gegeben. Allein 2007 kassierte Bürgermeister Thomas Reich zehn Stück. "Er hat einen als blöd hingestellt und als Melkkuh behandelt. Da geht man eben auf die Palme", erklärt Brosig, die sich gegen die Berechnung der Wassergebühren und den Straßenausbau gewehrt hat. Zurecht, wie sich vor Gericht herausstellte.

Reichs Nachfolger Manfred Walter hatte bislang nur zwei Beschwerden. "Er ist nicht besser, aber freundlicher", sagt Brosig. Auch in Herrsching ist es in Sachen Dienstaufsicht seit der Kommunalwahl deutlich ruhiger geworden. Rathauschef Christian Schiller hat bislang nur eine Beschwerde bekommen, pikanterweise von seiner Amtsvorgängerin Christine Hollacher, die in den sechs Jahren zuvor viele Klagen erhielt. "Zirka 40 Seiten Papier umfasst die Akte", sagt Schiller. "Es war enorm viel Arbeit."

Tutzings Bürgermeister Stephan Wanner, über den sich heuer auch schon einige Bürger beschwerten, sieht die Sache gelassen: "Es ist das Recht der Bürger." Und sein Recht sei es auch, sich gegen die Kommunalaufsicht zu wehren.

© SZ vom 16.6.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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