Söcking:Das verzauberte Haus

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Die sieben "Künstler aus dem Einbauschrank" feiern ein Happening in einer alte Abbruchvilla und erreichen ein bemerkenswert bunt gemischtes Publikum

Von Katja Sebald, Söcking

Kann Kunst Spaß machen? Ja, kann sie. Kunst kann witzig und klug zugleich sein. Kunst kann, wenn sie gut gemacht ist, die Welt erklären und manchmal sogar die Welt ein bisschen besser machen. Und Kunst kann Menschen zusammenbringen, die sich sonst vielleicht nie begegnen würden. Das alles ist am vergangenen Wochenende in einem alten Haus in Söcking passiert, das der Landkreis längst von der Liste seiner wertvollen Besitztümer gestrichen hat und das demnächst einem Neubau weichen muss: Die sieben "Künstler aus dem Einbauschrank" und die rund sechzig Mädchen aus dem Gautinger Wohnheim haben dort drei Tage lang höchst eindrucksvoll unter Beweis gestellt, was mit Kunst alles möglich ist.

Kunst an Warmwasserboiler: Bei der Kunstaktion waren skurrile Installationen und witzige Bilder zu entdecken. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Gewundert hat sich darüber nicht nur Barbara Beck, die als Kulturreferentin des Landkreises das Kunstprojekt im Nachklang des letztjährigen Kulturförderpreises organisiert hatte: Eigentlich habe man lange gar nichts gesehen, bekannte sie, auch bei ihrer letzten Inspektion zwei Tage vor der Vernissage sei das Haus einfach ein leerstehendes Haus gewesen. Am Freitagabend aber saß Christian Schiller in Gestalt des Herrschinger Bürgermeisters im Keller und las Goethe, ein schwarzes Schaf hatte sich versteckt und konnte nur mit viel Mühe wieder eingefangen werden. Im Erdgeschoss fraßen sich merkwürdige Riesenmaden durch die Decke und spuckten mit fürchterlich schmatzenden Geräuschen Farbtupfer auf den Fußboden. Im ersten Stock wurde die Farbe in Tellern und Gläsern serviert. Die Motten waren aus ihrer Mottenkiste entfleucht, Travis, Tailor und Taimy feierten mit Winston, Wilma und Winnie eine tolle Party. Im Dachgeschoss tanzte sowieso der Bär. Und über all dem stand "Sigmund freud sich". Oder "alles ist besser als nichts". Oder "if in doubt draw a pineapple". Das Schönste war vielleicht, dass jeder sich im Treppenhaus per Abreißzettel ein bisschen Zeit nehmen konnte, eine Stunde, einen ganzen Tag oder - wenn man sich traute - einfach "ausgiebig". Und noch schöner war vielleicht, dass wirklich jeder da war: Kunstfans und zwangsverpflichtete Politiker, Familien mit Kindern, junge Leute, die mal wieder was erleben wollten, und alte Leute, die das Haus endlich mal von innen sehen wollten, Zaungäste und jede Menge andere Flaneure.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Im Speicher der Villa gab es eine Musikperformance...

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

...und Emmeline Puntsch verschönerte die Wände.

Cristina Blank, Gesine Dorschner, Steffi Kieffer, Felix Maizet, Enno Müller-Spaethe, Stefanie Pietsch und Monika Roll mischten mit "Kunst im Einbauschrank" 2012 erstmals die Herrschinger Kulturszene auf, zwei weitere Ausstellungen in Herrsching und 2014 dann der Kulturförderpreis des Landkreises Starnberg sollten folgen. Die "Gelegenheitskünstler", die allesamt aus kreativen Berufen kommen, stellen vorzugsweise in leerstehenden Abbruchhäusern aus. Sie gehen dabei installativ vor, reagieren auf die Gegebenheiten des Ortes und verzaubern ihn mit ihren Wortspielereien. Sie hängen aber auch ganz einfach schön gemalte Bilder und lustige Plakate auf, die jeder für wenig Geld kaufen kann. Ihr Angebot ist geistreich, poetisch und vor allem extrem niedrigschwellig: Man muss kein Kunstkenner sein, um mit dieser Kunst Spaß zu haben.

Und genau dieser Aspekt machte die "Künstler aus dem Einbauschrank" am vergangenen Wochenende auch zu idealen Ausstellungspartnern für die Kunstpädagogin Ursa Wilms, mit der sie sich bereits den Kulturförderpreis geteilt hatten. Sie schuf mit ihren Schülerinnen in drei der insgesamt sechs Wohnungen sehnsuchtsvolle "Lebensräume", wie sie wohl viele der Mädchen bislang nicht erlebt haben: In einem Zimmer, in dem die jungen Künstlerinnen himmelblaue Wände und eine Sternenhimmel vorgefunden hatten, wurde "Das Recht auf Kindheit" thematisiert, in einem anderen ging es um gesunde Ernährung und um Wachstum: Auf blauem Samt standen selbst getöpferte bunte Schalen mit Wasser, dazwischen waren selbstgezogene Kräuter, Obst und Gemüse drapiert. Ihre Träume und Wünsche von einem besseren Leben hatten die 14- bis 18-jährigen Mädchen sehr konkret in ihren Bildern formuliert, manchmal auch direkt auf die Wände gemalt oder geschrieben. Ursa Wilms hatte sich ebenfalls einen Ausstellungsraum für ihre abstrakten und lebensfrohen Bilder eingerichtet.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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