Serie: Schauplätze der Geschichte:Fenster putzen an der Römer-Villa

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Im 2. Jahrhundert werden die bisherigen Okkupanten zu Einheimischen. Das Beispiel des iberischen Offiziers Publius Iulius Pintamus beweist das: Er baut sich einen Landsitz am Starnberger See und heiratet eine Ortsansässige. Hansjörg Hägele hat die Überreste des Gutshofs bei Leutstetten ausgegraben und dessen Geschichte erforscht

Von Otto Fritscher

Publius Iulius Pintamus. So hieß der erste Villenbesitzer am Starnberger See. Er lebte auf einem Anwesen an den Gestaden des Sees, vor fast 1900 Jahren, als das Wasser noch das heutige Leutstettener Moos bedeckte. Nicht weit entfernt von Bratananium, dem heutigen Gauting und damals Kreuzungspunkt zweier wichtiger Römerstraßen, ließ Pintamus sich einen Gutshof, eine Villa rustica, bauen. Ein erstklassiger Wohnsitz mit Blick auf den See und das Gebirge, auch schon im Jahr 137 nach Christus. Das konnte sich Publius Pintamus durchaus leisten, denn er war mit gut 50 Jahren ein Offizier der römischen Reitertruppe. Und ein weit gereister Mann. Geboren in Braga in Nordportugal, der römischen Provinz Hispania Citerior, machte er Karriere im römischen Heer, brachte es zum Dekurio, dem Führer einer aus bis zu 60 Reitern bestehenden Schwadron. Er heiratete nach dem ehrenvollen Ende seiner Militärkarriere eine Einheimische, Clementia Popeia, die ihn auf einer Inschrift auf der Grabplatte als "den besten aller Ehemänner bezeichnet". Sein Todesjahr ist nicht genau bekannt, aber das Ehepaar lebte auf dem Gutshof, der einem heutigen Aussiedlerhof gleich käme, vermutlich noch einige Jahrzehnte. Und die beiden mussten dabei auf Komfort nicht verzichten: Der Gutshof war mit einer Fußboden- und Wandheizung ausgestattet, die Fenster waren verglast. Was bei Häusern weiter im Süden nicht nötig war. Aber hier, im kalten keltischen Winter, wollte Publius auf eine mollig warme Stube nicht verzichten. Dass Pintamus ein weltläufiger Mann war, zeigt auch der Grundriss des Gutshofs. Er ist für die hiesige Gegend völlig untypisch, sondern stammt von Villen aus dem römischen Britannien.

Dass man den Alltag dieses Römers im zweiten Jahrhundert nach Christus so gut nachvollziehen kann, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Hansjörg Hägele. Er ist Vorsitzender der "Gesellschaft für Archäologie und Geschichte Oberes Würmtal", und zusammen mit einem Dutzend fleißiger Freiwilliger hat er vor von 2002 bis 2005 die Reste der römischen Villa ausgegraben, archiviert - und dafür gesorgt, dass über der Fundstelle eine Art gläserne Vitrine gebaut wurde, durch deren Glasscheiben man die Fußbodenheizung, das Hypokaustum, und einige Funde der Grabungen bewundern kann. Die schönsten Stücke, eine Schale aus Terra sigillata des südgallischen Großtöpfers Cinnamus etwa, sind in Münchner Museen und einer kleinen Ausstellung im Gautinger Rathaus zu sehen. In der Villa steht nur eine Kopie.

Nirgends nachzulesen sind die Geschichten, die Hägele manchmal bei einer Führung in der Villa einstreut. Etwa die Anekdote, dass es auch in römischen Zeiten schon gute Handwerker gab - und nicht so gute. Denn beim Bau des Hypokaustums, der Fußbodenheizung, wurde ein Schacht verlegt, ohne die vorherrschende Windrichtung aus Westen zu berücksichtigen. So wurde die Wärme des Feuers nicht in die Villa hineingetragen, bis ein neuer Schacht gemauert worden war. "Ja, das war Pfusch", sagt Hägele und lacht. Neben dem Gutshof liegen Gabionen, mit Steinen gefüllte Drahtkäfige, die den Grundriss der Villa nachzeichnen. Es gab einen Patio, einen Innenhof, eine große Küche und auch einen Keller. Neben den Grundmauer ragt ein Erdhügel auf. "Hierbei handelt es sich nicht um einen Grabhügel, sondern das ist einfach der Aushub, der bei den Ausgrabungen angefallen ist", räumt Hägele mit einer verbreiteten Ansicht auf. Die Archäologen hätten gerne noch weiter gegraben. Aber die Wittelsbacher, denen der Grund im Umgriff der Villa gehört, spielten nicht mit. Der Gutshof selbst steht auf einem Grundstück der Stadt München.

In der Nähe des Gutshofs wurden Emmer und Dinkel angebaut, aber auch die Rinderzucht war Pintamus und seinen vermutlich keltischen Knechten durchaus geläufig. Das beweisen Getreidespuren und Knochenfunde im Brunnenschacht, der überhaupt von entscheidender Bedeutung für die gründliche Erforschung der Villa war. "Wir haben zuerst nur eine dunklere Stelle im Boden bemerkt", sagt Hägele. Doch schnell war klar, dass es sich um den Brunnen des Gutshofes handeln musste.

In drei Metern Tiefe stieß man bei Grabungen auf die aus Eichenbohlen gezimmerte, sehr gut erhaltene Verschalung des Brunnens. "So konnte die Bauzeit sehr gut eingegrenzt werden", erklärt Hansjörg Hägele. Die damals rund 200 Jahre alte Eiche muss im Jahr 133 nach Christus gefällt worden sein. Die Villa, die Ausmaße von rund acht mal 25 Metern hatte, wurde den Erkenntnissen zufolge auch umgebaut. Was ein Buchenbrett, das mit Bauschutt in den Brunnen gelangte, dokumentiert. Das Buchenbrett stammt von einem Baum, der nach der dendrochronologischen Untersuchung im Jahr 147 nach Christus gefällt worden sein muss. Im Brunnen gefunden wurden Tierknochen, aber auch eine Schreibtafel sowie der Hausschlüssel zum Gutshof. "Hausrat, der nicht mehr gebraucht wurde, ist einfach in den Brunnen geworfen worden", sagt Hägele. Insgesamt muss der Gutshof rund 50 Jahre lang bewirtschaftet worden sein, bevor er aufgelassen wurde. Pintamus und seine Clementia hatten keine Kinder.

Wo der Villenbesitzer bestattet wurde, ist indes nicht ganz klar. Auch die Grabplatte, die heute in der Villa rustica ausgestellt wird, ist nur ein Abguss des Originals. Wo ist Pintamus denn nun begraben? "Vermutlich in einem der beiden Brandgräber, die in der Nähe des Gutshofs gefunden wurden. Aber sicher ist das nicht", erklärt Hägele. Und bevor Hägele etwas behauptet, möchte er es immer genau wissen, am besten beweisen können. Er ist nämlich studierter Mathematiker, hat bei IBM noch an Großrechnern gearbeitet, "die so groß waren, dass der Techniker durch eine Tür hineingegangen ist".

Zur Archäologie kam der 78-Jährige eher zufällig. Er wollte auf seinem Grundstück bauen, und in Gauting werden meistens archäologische Schnellgrabungen vorgenommen, bevor eine Fläche überbaut wird, denn oft werden hier Zeugnisse aus der Römerzeit gefunden. "2002 haben wir dann angefangen, an der Villa rustica zu graben. Die Leutstettener waren anfangs gar nicht begeistert, weil sie befürchtet haben, dass Massen von Touristen in ihr beschauliches Dorf einfallen werden", erinnert sich Hägele. So weit ist es dann doch nicht gekommen. Denn für viel Tourismus ist diese Villa rustica archäologisch zu unbedeutend.

Aber immerhin: Die Stadt Starnberg, auf deren Flur die Villa rustica liegt, hat sie unter ihre Fittiche genommen. Und Mitglieder des Archäologie-Vereins schauen mindestens einmal in der Woche vorbei, ob alles in Ordnung ist. "Bisher ist die Villa von Vandalismus verschont geblieben", sagt Hägele. Was den Hobby-Archäologen die meiste Arbeit macht? Auf diese Frage weiß Hägele sofort die Antwort: "Es ist schon mühsam, die großen Fensterflächen an der Villa jede Woche zu putzen."

Morgen: Im 3. Jahrhundert rollt der Verkehr auf Römerstraßen. Noch . . .

© SZ vom 21.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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